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Klimaforscherin über Russland-Sanktionen„Arktis-Messungen ausgesetzt“

Der Russland-Boykott führt auch zu wegfallenden Klimadaten aus Sibirien. Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut über ein akutes Forschungsproblem.

Enge Kooperation: Die Polarstern und der russische Eisbrecher Akademik Fedorov im Jahr 2020 Foto: Jan Rohde/AWI
Interview von Petra Schellen

taz: Frau Boetius, wie stark ist das Alfred-Wegener-Institut von den Russland-Sanktionen betroffen?

Antje Boetius: Die Sanktionen sind Teil des europäisch abgestimmten Boykotts, der auch die Wissenschaft betrifft – alle Maßnahmen mit staatlichen Institutionen sind auf Eis gelegt. Das betrifft dann auch unsere Arktisforschung, weil ein großer Teil der Arktis zur Russischen Föderation gehört – einschließlich des von Meereis bedeckten Ozeans und des Permafrosts. Wir kooperieren mit russischen Instituten seit Jahrzehnten bei Messungen zum schwindenden Meereis, tauendem Permafrost, zu Veränderungen der sibirischen Tundra. Diese Kooperation zu den Folgen vom Klimawandel muss jetzt ausgesetzt werden. Die Sprachregelung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) besagt, dass wir – unabhängig von der Disziplin – keine Technologien mehr austauschen und für die beteiligten russischen Institutionen keine finanzielle oder personelle Unterstützung mehr leisten.

Das heißt konkret?

Dass wir derzeit keine Geräte oder Leute dorthin schicken, keine Infrastrukturen mieten. Also müssen wir die aufwändigen Messungen zu den Auswirkungen des Klimawandels aussetzen. Eigentlich tauschen wir die Messgeräte jedes Jahr bei unseren sommerlichen Feldexpeditionen aus und unterstützen einander beim Zugang zu den extremen Lebensräumen in Sibirien.

Wie sehen diese Messungen aus?

Da sind etwa Temperaturmessketten, die auf Eis oder in den Boden gesetzt werden. Es werden Tiere und Pflanzen identifiziert, Eis-, Wasser- und Bodenproben genommen. Das sind Messungen im Feld, die man nicht über Satellit ersetzen kann.

Wobei unklar ist, wie lange die Messungen stagnieren.

Ja. Aber es ist klar, das angesichts des Angriffskriegs niemand einfach weitermachen kann. Das BMBF hat eine Leitlinie veröffentlicht und eine Taskforce eingesetzt, die Regelungen erarbeitet. Wichtig ist, dass der institutionelle Boykott klar unterschieden wird von der Interaktion mit den Menschen selbst. Denn Wissenschaft baut Brücken, sie hat enorm große Probleme zu bearbeiten – auch in Zeiten des Krieges: die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels, des Biodiversitätsverlusts, die Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften.

Sina Schuldt/dpa
Im Interview: Antje Boetius

55, Marinebiologin, seit 2017 Direktorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts, seit 2009 Professorin an der Uni Bremen, tritt als Scientist for Future für Klimaschutz ein.

Ist es verantwortbar, Klimaforschung zu stoppen?

In einigen Disziplinen gab es solche Diskussionen: Wo ist ein Aussetzen von Zusammenarbeit gar nicht zielführend als Sanktion? Wie geht man mit multilateralen Verträgen für große Infrastrukturen um? Mit zunehmender Aggression Russlands verstärkte sich das Bestreben, in der EU einheitlich zu agieren, und es werden immer mehr Projekte eingefroren, sogar in der international aufgestellten Raumfahrt und der Meteorologie. Die BMBF-Leitlinie sagt hier, dass völkerrechtliche Verpflichtungen bei multilateralen Projekten eingehalten werden. Sie werden eventuell niederschwellig fortgeführt, wenn es dafür einen Rahmen gibt. Das könnte eventuell für große Klima- und Umweltschutzprojekte und Verträge geltend gemacht werden.

Wäre das auch ein Weg für das AWI?

Auch in unserem Bereich gibt es internationale Klima-, Ozean- und Biodiversitätsprogramme, wo Beiträge russischer ForscherInnen eine wichtige Rolle spielen. Da könnte temporär auf einfachen Austausch über Daten- und Probenbanken oder niederschwellige Kommunikation zurückgefahren werden. Denn es geht ja um eine gesamtgesellschaftliche Mission: Wir haben wenig Zeit, globalen Klimaschutz und Schutz von allem Leben zu organisieren. Der Dialog mit den zivilgesellschaftlichen Strukturen der Wissenschaft in Russland sollte da soweit wie möglich fortgesetzt werden.

Wie dramatisch ist das Einfrieren der Permafrost-Forschung konkret?

Es gibt schon gravierende Veränderungen in kurzer Zeit, die wichtig zu beobachten wären: Denken Sie an die Tundra­brände von 2021. Da bestehen Fragen: Wie geht es dort weiter, erholen sich die Ökosysteme? Oder nehmen Sie Austritte von Gas und Öl. Zunehmend betrifft der schmelzende Permafrost natürliche Vorkommen, aber auch gebaute Infrastruktur. Wir forschen ja deshalb so intensiv in der Arktis, weil sie sich schneller erwärmt als jede andere Region. Dort zeigen sich früh klima­bedingte Veränderungen, die uns alle betreffen. Da wäre es schon gut, wenn es einen Weg gäbe, solche Fragen weiter gemeinsam zu bearbeiten.

Selbst wenn nur ein Jahr lang Daten ausfallen: Kann in dieser Zeit Gravierendes passieren?

Natürlich. Es kann das heißeste Jahr aller Zeiten werden, es kann Phänomene mit gigantischem Umweltimpakt geben wie Riesenbrände oder Ölunfälle. Sibirien mit seinen riesigen Dimensionen ist elementar für die Nordhalbkugel. Dort wird das Meereis auf dem Schelf geboren, dort gibt es besondere endemische Vielfalt von Arten. Dort wird durch den auftauenden Kohlenstoff im Boden viel Methan freigesetzt.

Und wie gehen Sie im AWI mit russischen und ukrainischen KollegInnen um?

Wir haben allen vom Krieg betroffenen Menschen den Dialog und Hilfe angeboten. Außerdem beteiligt sich das AWI an der Unterstützung ukrainischer Geflüchteter. Wir haben nun auch die ersten Nachfragen nach Arbeitsplätzen von AkademikerInnen und versuchen zu helfen.

Verändert der Krieg die Stimmung im Team?

Unabhängig von Nationalität und Beruf sind viele entsetzt. Hinzu kommt eine andere Sorge vieler Mitarbeitender. Platt gesagt: Es gibt so viel zu retten auf der Erde, es kostet so viel Kraft, die Transformation zu schaffen. Wie geht es jetzt weiter? Fällt der Klimaschutz wegen dieses Krieges zurück – oder schaffen wir es trotzdem? Wird das EU-Paket „Fit for 55“ umgesetzt, das den Weg einschlägt in Kohleausstieg und nachhaltige Landwirtschaft? Das wird ja gerade debattiert: Was davon können wir uns leisten, was geht in Zeiten des Krieges? Und die Klimaforschung muss sagen: Wir können uns kein Verschieben dieser Ziele leisten.

Ist der Krieg selbst auch klimaschädlich?

Krisen und Kriege zeigen in der globalen CO2-Kurve meist negative Ausschläge. Immer, wenn Gas, Öl und Kohle teuer werden, geht die Nutzung runter. Das wird auch jetzt zu einem Rückgang der Emissionen führen. Das Problem ist, dass auf Krisen immer eine Aufholreaktion folgt, wenn man keinen nachhaltigen Weg baut, weniger und andere Energieformen zu benötigen.

Hat das AWI Mitarbeitende nach ihrer Haltung zum Krieg befragt?

Das ist nicht unserer Aufgabe als Arbeitgeber. Wir haben allerdings einen Kodex, der Diskriminierung ablehnt und die friedliche, internationale Zusammenarbeit als elementar für die Zukunft betrachtet. Das formuliert auch die Leitlinie von BMBF und Auswärtigem Amt: „Wir setzen uns dafür ein, dass russische und belarussische WissenschaftlerInnen und Studierende, die in Deutschland arbeiten, nicht diskriminiert, stigmatisiert und isoliert werden. Die Freiheit von Wissenschaft, Lehre und Forschung sind unverzichtbare Bestandteile unabhängiger Demokratien.“

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1 Kommentar

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  • Danke für das Interview. Ich kann mir vorstellen, dass das frustrierend ist und sie hat es dafür sehr gut kommuniziert, aber es sollte auch nicht der Eindruck entstehen, die Sanktionen wären jetzt ursächlich für all die Schwierigkeiten. Das ist nun immer noch der Krieg. Und auch sie ja gerade Teil von Bemühungen, diesem Grundlagen zu entziehen oder ihn wenigstens zu verkürzen. Auch weil der Konflikt ja bereits seit etlichen Jahren schwelt, hätte es sie vielleicht schon früher geben sollen. Nun fällt sowas nicht vom Himmel, wo soviele Interessen berührt sind und deshalb waren wir alle gefragt. Ich denke gerade auch in der Wissenschaft und da sie ja allergrößtes Interesse daran haben müssen, es möglichst gar nicht soweit kommen zu lassen wie jetzt. Das mit der verschütteten Milch darf sich beim Klimawandel auf keinen Fall wiederholen. Etwas überrascht hat mich ihre Aussage zum Effekt der Konflikte auf diesen. Da wurde sich nun scheinbar ein Faktor herausgegriffen, den temporären Einfluss auf zivile Nachfrage, aber das ergibt ja noch keinen Saldo sondern bestenfalls einen Ausschnitt. Zumal auch diese im aktuellen Fall global sehr unterschiedlich ausfallen dürfte, schon auch weil ganz unterschiedliche in Preise eingegriffen werden kann. Nach meiner Kenntnis gibt es schlicht keine größere Sünde an Umwelt wie Klima als Krieg, das gilt für die unmittelbaren wie mittelbaren Folgen, wobei sie einen Rebound nicht zuletzt auch bei den oft (und hier garantiert) anschließenden mil. Aufrüstungen über den Status quo ante hinaus übergeht, Wiederaufbau und erhöhte Mobilität durch Rückkehr und Wiederansiedlungen kommt dann noch dazu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das in der Summe noch negativ ausnimmt, ggf. bezieht sie sich da auf Erfahrungen aus den Weltkriegen, aber das wär'n ja Äpfel und Birnen. Jetzt wirkte dem Effekt in weiten Teilen der Welt auch noch die Aufholreaktion auf Corona entgegen. Und klimaschädlich ist ja nicht zuletzt das: Klimawissenschaft zu behindern.