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Klimaexperte über Flut in Pakistan„800.000 Nutztiere sind verendet“

Mehr als 1.000 Menschen sind tot, Millionen auf der Flucht. Die Folgen des Klimawandels kann Pakistan nicht allein bewältigen, sagt Klimaexperte Fahad Saeed.

Motor- versus Wasserkraft in Nowshera, Pakistan. Ein Drittel des Landes steht derzeit unter Wasser Foto: Fayaz Aziz/reuters
Natalie Mayroth
Interview von Natalie Mayroth

taz: Herr Saeed, über 33 Millionen Menschen sind von den derzeitigen Fluten in Pakistan betroffen, mehr als 1.100 Menschen verstorben. Warum sind in diesem Jahr die Überschwemmungen während des Monsuns so schwerwiegend?

Fahad Saeed: Die aktuelle Wetterlage wird durch das Klimaphänomen ENSO, die sogenannte El Niño Southern Oscillation, ausgelöst. Derzeit erleben wir im äquatorialen Pazifik einen La-Niña-Zyklus. Einerseits erwärmt sich Oberflächenwasser im Pazifik, andererseits kühlt es ab. Die dadurch aufsteigende heiße Luft sorgt für starken Regen und kann zu folgenschweren Naturkatastrophen führen, wie wir sie gerade in Form von Überschwemmungen in Pakistan erleben.

Ist das mit den schweren Fluten von 2010 vergleichbar?

Vor 12 Jahren gab es ebenfalls ein La-Niña-Phänomen im äquatorialen Pazifik, was starke Niederschläge zur Folge hatte. Aber in diesem Jahr kommt noch eine Anomalie der Meeresoberflächentemperatur im Indischen Ozean hinzu. Beide Phänomene sind dafür bekannt, dass sie mehr Feuchtigkeit aus dem Ozean auf das Land bringen. Was die Verwüstung angeht, stehen wir vor größeren Herausforderungen. 2010 waren schätzungsweise 15 bis 20 Millionen Menschen betroffen. Aber bei dieser Flut sind es bereits 33 Millionen Menschen. Der damalige Schaden 10 Milliarden US-Dollar wird wohl überschritten. Und wir erleben gerade aufeinander folgende Katastrophen. In den Monaten März und April hatten wir eine noch nie dagewesene Hitzeperiode mit bis zu 50 Grad im Land, die große Teile Pakistans und einige Teile Indiens erfasste.

Im Interview: Fahad Saeed

Fahad Saeed

42 Jahre alt, ist Klimaexperte beim Berliner Wissenschaftskonsortium Climate Analytics in der Funktion als Regionalleiter für Südasien und den Nahen Osten. Er lebt in Islamabad.

Sie konnten belegen, dass diese Hitzewelle durch den Klimawandel 30-mal wahrscheinlicher geworden ist. Gibt es diese Hinweise auch bei den Überschwemmungen?

Aufgrund meiner Erfahrung kann ich sagen, dass der Klimawandel diese Art von Ereignissen wahrscheinlicher macht. Er verschlimmert sie. Im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC wurde darauf hingewiesen, dass Wetterextreme mit der steigenden Erderwärmung wahrscheinlicher geworden sind. Dabei sind wir erst bei einer Erderwärmung von 1,2 Grad Celsius und noch nicht bei 1,5, dem Ziel des Pariser Abkommens. Wenn diese Fluten vorbei sind, sollte unbedingt eine ähnliche Analyse wie die der Hitzewelle durchgeführt werden.

Von Landwirten hört man oft Beschwerden, dass es nun kürzer, aber heftiger regnet. Können Sie das bestätigen?

Die Schwankungen bei den Niederschlägen nehmen in der Tat zu. So ist zum Beispiel in diesem Jahr während der Monsunzeit in der Provinz Belutschistan die Niederschlagsmenge 300 Mal höher als der Durchschnitt. In der Provinz Sindh ist es 400 Mal höher als der Durchschnitt. In diesen beiden Regionen fällt während des Monsuns sonst kaum Niederschlag.

Wer ist am stärksten betroffen?

Es trifft vor allem die ärmere Bevölkerung. Schätzungsweise eine Millionen Häuser wurden zerstört. Es gibt nun die Sorge, dass sich Durchfall, Cholera und Dengue-Fieber ausbreiten.

Wie stark sind die Auswirkungen die Landwirtschaft? Fast 800.000 Nutztiere sind verendet, dabei sind sie die Lebensgrundlage für so viele. Wir sollten nicht vergessen, dass Pakistan ein Agrarland ist, das während der Hitzewelle in diesem Jahr bereits fast drei Millionen Tonnen Weizen verloren hat. Das sind 10 Prozent der Weizenproduktion. Es gab Waldbrände und einen Gletscherbruch. Auch die Obstplantagen litten. Damit ist Pakistan mehr und mehr auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Zudem hat das Land mit politischer und wirtschaftlicher Instabilität zu kämpfen.

Pakistan hat mit Sherry Rehman immerhin eine Klimaschutzministerin, aber reicht das aus?

Es gibt neben dem Ministerium für Klimawandel in Islamabad in jeder Provinz eine Katastrophenschutzbehörde. Doch wie wirksam sie sind, ist eine andere Frage. Für jedes Land mit niedrigem und mittlerem Einkommen und sogar für Industrieländer ist es sehr schwer, mit dieser Art von Extremen fertig zu werden. Es ist wirklich höchste Zeit, dass Industriestaaten Ländern wie Pakistan helfen, die Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren, indem sie ihnen zumindest die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die sie benötigen, um sich auf diese Art von Katastrophen vorzubereiten. Wir müssen unsere Infrastruktur klimaresistenter gestalten, auf nachhaltiges Wohnen setzen und widerstandsfähigere Pflanzen einführen. Bei den kommenden Klimagespräche im November in Ägypten ist daher der Tagesordnungspunkt namens „Verluste und Schäden“ wichtig

Kommt mittlerweile immerhin Fluthilfe in Pakistan an?

Es gibt internationale NGOs, die derzeit vor Ort sind, und auch die Regierung leistet einen Teil der Unterstützung, um den Menschen zu helfen, die im Moment in der Flut gestrandet sind. Aber das Ausmaß der Zerstörung ist gewaltig, sodass wir viel Hilfe von internationalen Gebern benötigen werden, um die Menschen zu rehabilitieren und ihre Häuser wieder aufzubauen.

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3 Kommentare

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Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es ist aber auch höchste Zeit, dass Pakistan, angesichts der sich verstärkend wiederholenden Naturkatastrophen selbst aktiver wirksame Vorsorge trifft.



    Für Atomwaffen ist ja auch genügend Geld vorhanden.

  • Mein Eindruck ist, dass die Industriestaaten für sich den Klimawandel managen wollen. Demgegenüber werden Verheerungen in Ländern der Dritten Welt in Kauf genommen.

    Der Klimawandel führt zu einem weiteren Verlust der Anerkennung der Universalität der Menschenrechte. Dieser Verlust ist sowohl egoistisch als auch rassistisch geprägt:

    Die reichen Ländern richten sich darauf ein, in einem Meer der Zerstörung sich weiter etablieren zu können.

    Gleichzeitig wird menschlichem Leid, wenn es dunkelhäutige und/oder nicht christliche Menschen betrifft, ein erheblich geringeres Gewicht zu gewiesen, als wenn es weiße und christliche Menschen betrifft.

    Dieser klassische und kulturelle Rassismus ist dabei den Betreffenden womöglich nicht einmal explizit bewusst, er ist jedoch an den Folgen erkennbar.

    Dies ist auch in der taz ablesbar:

    Nicht einmal im Ansatz wird dem Leid afrikanischer, asiatischer etc. Menschen, selbst wenn dies ungeheuerliche Ausmaße erreicht hat, das gleiche Gewicht an Platz und Regelmäßigkeit in der Berichterstattung eingeräumt, wie dem Leid der Ukrainer:innen. Gesammelt wird für die Ukrainer:innen, nicht für die Menschen in Tigray.

    Die Ressourcen sind begrenzt und sie werden auf die konzentriert, die einem am wichtigsten erscheinen. Immer wenn einige Menschen in Aktionen (z.B. eine Sammlung) einbezogen werden und andere nicht, ist dies das Ergebnis einer Abwägung.

    Wir sehen, wie der Klimawandel alles umwirft, was wir gegenwärtig noch als Lippenbekenntnisse wiederholen, womöglich ohne zu merken, dass es längst ein leeres Ritual ist.

    • @PolitDiscussion:

      Schöner, treffender Beitrag. Es ist eben doch relevant, ob in China oder Pakistan auch nur ein Sack Reis umfällt, bildlich gesprochen. Oft liegen Verkettungen von Ereignissen vor. Die Aufmerksamkeitsschwelle ist hier schon recht hoch für "ferne" Länder. Globalisierungserfolge privatisieren und Globalisierungsmiseren sozialisieren, egal ob Mikro- oder Makroökonomie, ohne großräumige und großzügige Kooperationen wird zukünftig vielleicht gar kein Sack mehr umfallen können. Ob das Wort Solidarität Konjunktur bekommt, darf gespannt erwartet werden.