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Klimabewegung versus IAAJetzt gegen das Auto

Die Klimabewegung erklärt den privaten Pkw zum neuen Hauptfeind – und nimmt sich die Internationale Automobilausstellung vor.

Proteste bei der Internationalen Automobil-Ausstellung im September 2019 in Frankfurt/Main Foto: Björn Kietzmann

Hamburg taz | Eine Automesse, das klingt im Klima-Wahlkampfjahr 2021 wohl selbst dem Verband der Automobilindustrie (VDA) zu oldschool. Der VDA präsentiert die Internationale Autoausstellung dieses Mal nicht mehr in Frankfurt am Main, sondern in München – und mit neuem Konzept als „Mobilitätsmesse“ statt als reine Autoschau. Die weltweit größte Ausstellung rund ums Auto soll sich vom 7. bis 12. September über weite Teile der bayerischen Landeshauptstadt verteilen – diesmal mit einer 12 Kilometer langen „Umweltspur“ als Verbindung zwischen Messegelände und City-Standorten zur Präsentation von „Low- und No-Emission-Fahrzeugen“.

Aus Sicht der Klimabewegung alles reinstes Greenwashing. Gleich mehrere Bündnisse rufen zu Protesten und Blockaden auf. Auch ein Camp soll es in diesem Jahr geben. Im Gegensatz zur Aktion vor zwei Jahren dürften die Proteste diesmal wesentlich größer ausfallen. Das liegt nicht nur am Datum im Wahlkampf-Endspurt, sondern auch am Thema Verkehrswende, das derzeit Hochkonjunktur bei den Kli­ma­­ak­ti­vis­t*in­nen hat. Die Besetzungen im hessischen Dannenröder Wald, in der Altmark in Sachsen-Anhalt, im Flensburger Bahnhofswald oder im brandenburgischen „Tesla“-Wald richteten sich allesamt gegen den Ausbau von Autoinfrastruktur. Anfang Juni protestierten Ak­ti­vis­t*in­nen bei einem deutschlandweiten Aktionstag in über 50 Städten gegen die autozentrierte Verkehrspolitik. In Berlin besetzte das Bündnis „Ende Gelände“, das bis vor einem Jahr noch auf Kohlein­frastruktur fokussiert war, eine Autobahn.

Themenwoche Straßenkampf

Die Bundestagswahl ist eine Klimawahl. Ab dem 28. Juni stellen wir deswegen eine Woche unsere Berichterstattung unter den Fokus Mobilitätswende: Straßenkampf – Warum es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wie wir mobil sind. Alle Texte: taz.de/klima

Gegen die IAA planen die Ak­ti­vis­t*in­nen neben symbolischen Aktionen und Demonstrationen auch Blockaden, die die Zufahrten zur Messe versperren und den reibungslosen Ablauf verhindern sollen. „Hinter den kapitalistischen Nachhaltigkeitslügen steht noch immer das alte zerstörerische Geschäftsmodell ‚schneller, größer, mehr‘“, kritisiert Lou Winters, die Berliner Sprecherin des Bündnisses „Sand im Getriebe“, das maßgeblich hinter den Protesten steht. Dass die Autoindustrie mit einem angepassten Konzept auf den Klimadiskurs reagiert habe, sei nur trügerischer Schein, sagt Winters.

Vielmehr habe man in den Chefetagen der Konzerne offenbar erkannt, dass das Klima vielen Menschen am Herzen liege – und die Marketingstrategie entsprechend angepasst. „Das Interesse der Autoindustrie liegt nicht bei klimagerechter Mobilität, sondern einzig darin, die eigenen Profite zu steigern“, sagt Winters.

Widersprüche gemeinsam überwinden

Neben dem seit 2019 bestehenden bundesweiten Bündnis, das sich anlässlich der IAA-Blockade in Frankfurt gegründet hatte und im vergangenen Jahr Waldbesetzungen und Autobahn-Proteste unterstützte, mobilisieren auch die lokalen Bündnisse „No IAA“ und „Smash IAA“ nach München. Während „No IAA“ mit Verdi, Attac, der Grünen Jugend und den Parteien Die Linke und Die Partei auch ein bürgerliches Spektrum abbildet, betont „Smash IAA“ die klassenkämpferische Dimension des Konflikts und fordert die Enteignung der Autoindustrie und die Überwindung des Kapitalismus.

Grundsätzlich teile man aber das gleiche Anliegen und die Kernforderung nach einer sozial gerechten und klimafreundlichen Mobilitätswende, sagt die Sprecherin von Smash IAA, Anna Meyer. Für tiefgreifende Veränderungen brauche es breiten gesellschaftlichen Rückhalt auch von den Ar­bei­te­r*in­nen in den Fabriken und im ÖPNV.

Keine Autofabriken, keine Jobs mehr? Die Widersprüche zwischen dem Interesse, Arbeitsplätze zu erhalten, und der Abkehr von der auf Wachstum und Export ausgerichteten Autoproduktion müsse man gemeinsam überwinden. Zentral sei dafür die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. ArbeiterInnen bei Zulieferfirmen, die nicht mehr gebraucht würden, könnten stattdessen andere Produkte herstellen, wie sich in der Pandemie gezeigt habe.

Antikapitalistischer Ton

„Die Menschen arbeiten nicht in der Autofabrik, weil sie möglichst riesige SUV herstellen wollen, egal was mit dem Planeten passiert“, sagt Meyer. „Sie arbeiten da, weil sie Geld verdienen müssen.“ Der gemeinsame Gegner sei folglich das „Kapital“ und die Zustände in der Produktion schon lange nicht mehr so gut wie ihr Image. „Wir kämpfen zusammen dafür, dass der notwendige Wandel nicht auf dem Rücken der Ar­bei­te­r*in­nen abgeladen wird“, sagt Meyer.

Der antikapitalistische Tenor der Proteste ist zwar in der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht neu, steht aber seit der Coronakrise stärker im Vordergrund.

Dazu dürften mehrere Faktoren beigetragen haben: das erfolgreiche Berliner Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und die durch die Pandemie stärker zutage getretene gesellschaftliche Ungleichheit, mit den Diskussio­nen um die globale Freigabe der Impfstoffpatente sowie um die Frage, wer letztlich die Kosten für die Krise zahlt.

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10 Kommentare

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  • Autos zerstören unsere Welt! Sie belasten das Klima, nehmen uns den Lebensraum und töten Fahrradfahrerinnen und spielende Kinder. Sie machen aus unseren Städten lebensfremde Räume. Es ist an der Zeit sich dem vehement zu widersetzen. Ziel muss es sein das Auto durch progressive Mobilitätskonzepte komplett abzulösen.



    Wer trotzdem Auto fahren will, der soll gefälligst für die Schäden aufkommen, die er damit verursacht. Autofahren sollte man endlich die Rechnung ihres tödlichen Verhaltens präsentieren.

    • @V M:

      Ach ja, na gut - nochmal...

      Laut kba fahren wir so 730Mrd km/Jahr:



      www.kba.de/DE/Stat...ve21301?nn=2351536

      Laut diesem Bericht waren es 2005 ca 32Mrd Unfall/Folgekosten



      (15Mrd Personen & 17 Sach)



      bast.opus.hbz-nrw..../209/file/M208.pdf

      Des wären wohl 4 Cent/km; betrachtet man die (Wirtschafts)Leistung dahinter, tja...



      ...ich bin weiter "dafür"...?



      Und, äh, die og Schäden werden sehrwohl vom Fahrer gezahlt (anderes nicht, NOx zB?



      erst später, mit den KrankenVersbeiträgen...)

      Naja. Dennoch ist jedes der 3.400 (Todes)Opfer eins zuviel - klar...



      und ähm, des Auto alleine fährt ja keinen platt, bei nem Unfall



      passen ja meist 2 nicht auf; der Fahrer & die Eltern...??



      (so wie bei den paar 100.000 die jährl. so sterben Übergewicht, Alkohl, Kippen etc)

      Wer was gegen Autos in Städten hat, der könnte ja vielleicht auf dem Landwohnen?

      Insgesamt is ja vielleicht auch bissl Demokratie?



      80% fahren ja nun mal Autos? Und ca 40% der km "für Spaß"...



      Tja. Vielleicht kommt später ja noch der Vorschlag, man sollte



      die Wohnung besser nur auf 16Grad heizen; glaube, denn sage



      ich meiner Frau lieber nicht, dass ich "Grün" wähle...^^

      Vielleicht nochmal ein Wort zu Autobahnen:



      (Richtung "Autoabschaffer") Wer mag, kann ja mal



      den Zeitaufwand vergleichen:



      Ne 400+km Strecke bei GoogleMaps mit "Autobahnvermeiden"



      (also "übers Land fahren" dauert da gern mal doppelt solange



      & vermeidet wohl auch dadurch "Verkehrsumgehungen", um bei



      "Tünnes an der Miste" vorbei zu donnern?

      Wer/wie da wohl die Regale im Supermarkt passend füllt



      ("Fabriken" ham ja keine Regale mehr, lieg eh aufm LKW)



      paar mehr würde man da wohl brauchen...?

      Und wo ich dabei bin:



      Mein CO2 neutrales, (dann) 20 Jahre altes StromAuto braucht



      auch Straßen?

      Wieß evtl. jmd, ob die vielen mietbaren eBikes, MoFas, Roller



      (Auto)km sparen

      • 8G
        8190 (Profil gelöscht)
        @StSx:

        Es gibt genau drei Arten, zu rechnen: man kann sich reich rechnen (vor Freundinnen und Freunden), man kann sich arm rechnen (vor Behörden) und man kann richtig rechnen. Eigentlich wollte ich in Vanessa M. entgegensetzen, dass Auto-Mobilität bisher extrem viel zu unserem Wohlstand beigetragen hat. Aber nach Ihrer Liste glaube ich, dass das nur noch grotesk wäre. Was nützt uns der Wohlstand, wenn er die Menschen zu Tieren macht?

        Sie kommen da mit 4 ct./Kilometer 'Unfall/Folgekosten' um die Ecke, haha, das ist ja hübsch wenig. Das zahlen unsere Kinder mit ihrem Taschengeld und behalten noch das meiste übrig, oder?

        (Hinweis am Rande: die Gesamt-Kosten betragen ungefähr das doppelte der privaten Kosten, nach bisheriger Studienlage. Von mir, pi mal Daumen. Wen die Zahlen interessieren, der findet sie auch selbst mit der Zeit)

        Die Verwendung von Autos hat seit 1945 weltweit wie viele Menschen getötet? Sagen Sie's mir. Ich dachte immer so was um die 70 Millionen. Ist es uns das wert?

        Mit Ihrer Einlassung bei Unfällen 'passen ja meist 2 nicht auf; der Fahrer & die Eltern...??



        ' sollten Sie eigentlich zeitnah den Führerschein abgeben, wenn Sie einen haben. Zumindest eine MPU halte ich für angebracht.

  • Der Kapitalismus soll also abgeschafft werden. Und was kommt danach? Alle getesteten Alternativen haben sich bisher als noch menschenfeindlicher und umweltzerstörerischer erwiesen als der Kapitalismus. War kürzlich in einem sauberen See schwimmen, der zu DDR-Zeiten ein stinkendes totes Wasser war.

  • Wenn mich jemand zur Arbeit fährt oder ein ÖPNV Netz auf dem Land stellt das bezahlbar ist und sich nach meinem 3 Schicht Arbeitszeiten richtet kann ich gerne aufs Auto verzichten

  • Die mit Abstand meiste Energie wird für das Wohnen (Heizen, Warmwasser, Hausstrom und Telekommunikation) verbraucht.



    Was dieser kleine Staat Deutschland mit seinem Individualverkehr in Kurzstrecke zum Klima beiträgt, scheint irgendwie „umstritten“, wo kommt sonst die Narzisstische Hybris her? Wenn alle Deutsche Fahrrad fahren ist das Klima gerettet?

    • @TazTiz:

      Wir müssen uns in jedem Sektor von fossiler Energie verabschieden: Stromerzeugung, Gebäudeheizung, Verkehr.

      Bei der Stromerzeugung haben wir bereits rund 50% geschafft. Bei der Gebäudeheizung haben wir die Technik gemacht, und wir sind mit Vorgaben und Maßnahmen zur Wärmedämmung auf dem Weg.

      Beim Verkehr gibt es praktisch keine Einsparung seit 20 Jahren. Hier muss was passieren. Und dabei kann man sich auch gleich von einem Vekehrssystem verabschieden, dass Städte zunehmend unbewohnbar macht, weil immer mehr Strassen immer mehr motorisierten Individualverkehr produzieren, und Verkehr immer gefährlicher und zeitraubender.

      Und nein, Elektroautos sind vielleicht eine Brücke, eher eine Krücke, aber gewiss keine gute Lösung.

      Wie es geht, machen die Niederlande vor:

      www.youtube.com/watch?v=n-AbPav5E5M

    • 8G
      8190 (Profil gelöscht)
      @TazTiz:

      Na klar! Jeder Kilometer mit dem Rad spart dem Staat einen Euro. Zumindest für Kopenhagener Verhältnisse, das ist doch mal eine Ansage. Es gibt nirgends so viele Vorteile gleichzeitig, mit weniger Aufwand, als sich aufs Rad zu schwingen.

      Und für die Wohnerei gilt das gleiche, ist aber wesentlich komplizierter. Es gibt schon lange Häuser mit extrem wenig Energieverbrauch, nur wechseln wir die Häuser nicht so häufig, wie unsere Fahrzeuge.

      Narzisstische Hybris ist vielleicht eher, zu glauben, wir hätten einen Anspruch darauf, die planetaren Lebensbedingungen in die Tonne zu kloppen.

  • Familientreffen in Deutschland : 4 Person und 5 Autos.

    • @Paule :

      ..Hauptsache die aus Südamerika eingeflogenen Avocados sind bio ;)