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Kleist an der Schaubühne BerlinMensch bleiben im Krieg

Wie soll man als Soldat im Krieg nicht verrückt werden? Um diese Frage kreist Jette Steckels Inszenierung vom „Prinz von Homburg“in Berlin.

Szene aus Jette Steckels „Prinz von Homburg“, mit Bastian Reiber (l.) und Renato Schuch Foto: Armin Smailovic

Prinz Friedrich von Homburg erschießt sich in der Berliner Schaubühne. Regisseurin Jette Steckel greift hier massiv ins Kleistsche Ouevre ein. Denn Heinrich von Kleist lässt Friedrich von Homburg am Ende des gleichnamigen Stückes nur in Ohnmacht fallen. So erleichtert ist er, dem vom Kriegsgericht verhängten Todesurteil entronnen zu sein. Und dann wird „sein“ Sieg in der Schlacht gefeiert – und den im Traum heiß ersehnten Lorbeerkranz bekommt er auch.

Jette Steckels Homburg hingegen schleudert dem Kurfürsten nach seiner plötzlichen Begnadigung seine gesammelte Verachtung für den Soldatenstand entgegen (es sind Kleists eigene Erfahrungen, die hier ins Stück eingefügt werden). Dann wirft er den soeben erhaltenen Lorbeerkranz von sich, nimmt die Pistole und bringt sich um.

Es ist das konsequente Ende einer Inszenierung, die sonst nah an Kleists Text bleibt, aber das Setting verändert. Steckel verlässt den geschützten Rahmen des Kammerspiels und setzt Kleists ProtagonistInnen der Front aus. Bühnenbildner Florian Lösche greift Kleists erste Regieanweisung einer Rampe, die vom Schloss in den Garten führt, auf. Aber die riesige Rampe, die er auf die Bühne stellt, ist komplett bedeckt mit gefüllten schwarzen Plastiksäcken.

Ganz am Anfang lässt Steckel den Prinzen von Homburg mit einer MG auf dem Schlachtfeld stehen. Er erschießt sein feindliches Gegenüber, um selbst zu überleben, und leidet darunter, den anderen langsam sterben zu sehen. Steckel fügt dem Kleistschen Schauspiel also am Anfang und am Schluss der Inszenierung eine eigene inhaltliche Setzung hinzu. Von dieser Kommentar-Klammer aus wird über die Figur des Prinzen von Homburg nachgedacht.

Verrückt werden

Renato Schuch stattet seinen Homburg mit einer berührenden Fragilität aus. Wenn er geht, scheint es, als würde ihn eine unsichtbare Last nach unten drücken. Sein Homburg steht für den Menschen, der in den Krieg geworfen wird und versucht Mensch zu bleiben. Mit dem Blick eines gehetzten Tieres exerziert er und führt alle vor, die am Krieg nicht verrückt werden. Trotzdem fährt er einen Sieg ein, weil er schnell und richtig reagiert hat, und wird für sein eigenmächtiges Handeln zum Tode verurteilt. Da rollt er sich wie ein übergroßer Embryo ein in den Schoß der Kurfürstin.

Steckel gelingt es, in den 150 Minuten Spieldauer kurze einprägsame Szenen zu modellieren, die wie Gemälde (nach)wirken. Elementar für diesen Gesamteindruck ist die sensible Lichtregie von Erich Schneider, die nuanciert exakte Stimmungsbilder kreiert. Und das punktgenaue Spiel des Ensembles.

Das fällt besonders auf in den Schlüsselszenen, z.B. als der Kurfürst begreift, dass es Homburg ist, den er dem Kriegsgericht überantworten muss. Axel Wandtke legt in die Augen des Kurfürsten ein ins Mark treffendes, nach Innen gerichtetes Erschrecken, bevor er dem Prinzen den Degen abnimmt. Und Schuchs Homburg – sein Gesicht ist ein einziges Fragezeichen – händigt ihm eine MG aus.

Steckel verschränkt produktiv zwei Zeitebenen: so trifft die Kleistsche Spiegelung einer Realität vor mehr als 200 Jahren auf den Versuch einer Annäherung an das Kriegsgeschehen der Gegenwart. Unwillkürlich denkt man beim Anblick der schwarzen Bühnenrampe an die Schwarzerde der Ukraine.

Die SchauspielerInnen rennen gebückt querfeldein drüber. Sie hängen im Schützengraben ab und rollen wie tot die Rampe herunter. Frontgeräusche werden sparsam eingesetzt, genauso wie der verstörende Klangteppich, der sogar den Nussknacker zitiert. Es entsteht eine Unmittelbarkeit, die den Abend trägt und einen stark bewegt. Ein starker nachdenklicher Kommentar ins Reale hinein.

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