Klassentreffen der ost-taz: Eine fällige, freie, freche Zeitung
Mit einer Doku erinnert Michael Biedowicz an eine besondere Episode der taz-Geschichte. Am Sonntag feierte der Film in Berlin Premiere.
BERLIN taz | Giovanni di Lorenzo, Hans-Ulrich Jörges, Hajo Schumacher, Friedrich Küppersbusch – alle vier komplett ahnungslos. Dabei hätten die Größen des (westdeutschen) Journalismus, die ja immer alles wissen, sie eigentlich kennen müssen: die ost-taz.
Oder die taz DDR, wie sie damals hieß, als von Ende Februar bis Anfang Juni 1990 in Ostberlin eine neue kleine taz erschien. Junge Menschen aus dem Osten produzierten aus einer – wenn man so will – spontanen Idee und Laune heraus eine Zeitung, die so war, wie sie sie nach dem Mauerfall haben wollten: fällig, frei, frech.
Dreißig Jahre später kommt jemand auf die vier Granden zu und sagt so was wie: Hey, ich mache einen Film über eine kleine Zeitung aus der DDR, die nach der Wende eine kurze Zeit hatte, mehr kann ich noch nicht verraten, machst du trotzdem mit? Ja, klar, bin ich doch dabei. Und dann sitzen sie da und blättern durch die Ausgaben der ost-taz: ein großes, grünes Buch mit dem DDR-Emblem Hammer und Sichel im Ährenkranz.
Bis auf Friedrich Küppersbusch kam keiner der – Achtung, Triggerwarnung – Journalisten auf die Idee, die Goole-Maschine anzuschmeißen, Hajo Schumacher ist beim Blättern ehrlich entrüstet: „Warum weiß ich das nicht? Weiß keiner, oder?“ Nächste Triggerwarnung: Giovanni di Lorenzo war damals DDR-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung.
Klassentreffen zur Weltpremiere
So ist es charmant festgehalten im Film „Alles anders machen – Das kurze Leben der ost-taz“, den der ost-taz-Fotograf und nun auch Filmemacher Michael Biedowicz in den vergangenen Monaten gedreht hatte. Am Sonntag hatte die Doku im „Babylon Mitte“ Weltpremiere, wie Kinoking Knut (Elstermann) den Film anmoderierte.
Der Saal war rappelvoll, die Lacher zahlreich und der Applaus leidenschaftlich. Filmteam, Protagonisten, darunter der einstige ost-taz-Chefredakteur André Meier, Geschäftsführer Jürgen Kuttner, Redakteurin Anja Baum und Bildredakteurin Karoline Bofinger, waren natürlich da, auch damalige West-tazler:innen und Leute aus dem aktuellen taz-Kosmos.
Später gab es draußen Freibier (drinnen lief der nächste Film). Ein tippitoppi Klassentreffen, bei dem sich sogar fast alle erkannt haben. „Wir waren sehr jung“, sagte André Meier, Chefredakteur der ost-taz auf Kinoking Knuts Frage, was die Protagonisten heute über die Zeit von damals denken.
Sonnige Gemüter an einem verregneten Sonntag, und nur ein einziger klitzekleiner Eklat. Kuttner nannte Georgia Tornow, damals taz-Chefredakteurin, den „Helmut Kohl der West-taz“. Dazu muss man wissen, dass die Erlöse der ost-taz der gesamten taz zugute kamen. Das Geld nahmen wir gern, sagt Tornow sinngemäß im Film. Auf der Babylon-Bühne wollte sie partout nicht neben Kuttner stehen, Anja Baum rettete die Situation und stellte sich dazwischen. Und über Kalle Ruch, bis 2019 taz-Geschäftsführer, erfährt man im Film, dass er ein sehr schönes Haus im Osten hat.
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