Klagen gegen Freizeit-Shutdown: Schlechte Aussichten vor Gericht
Die Schließung von Kneipen und Freizeiteinrichtungen könnte zu einer Klagewelle führen. Doch die Chancen auf gerichtliche Hilfe dürften gering sein.
Gewiss: Die Zahl der erfolgreichen Klagen gegen Corona-Maßnahmen war in den letzten Wochen ungewöhnlich hoch. Vor allem Beherbergungsverbote für Gäste aus inländischen Risikogebieten wurden reihenweise von Verwaltungsgerichten gekippt. Auch Sperrstunden für die Gastronomie wurden mehrfach von Gerichten beanstandet. Für Betroffene liegt der Impuls nahe, nun erst recht gegen den Shutdown ihrer ganzen Branche zu klagen.
Aber die Konstellation ist nun eine andere oder wird zumindest so dargestellt. In den letzten Wochen verwiesen die Gerichte oft auf das Robert-Koch-Institut (RKI), das vor allem private Feiern als Treiber der Pandemie ausmachte – während Hotels und Gaststätten hierzu wenig beitrügen.
Bei 75 Prozent der Fälle ist der Infektionsort unklar
Nachdem das RKI von Seiten mancher Länder gerüffelt wurde, betont es aber inzwischen, dass man in 75 Prozent der Fälle gar nicht wisse, wo und wie sich jemand infiziert hatte. Damit ist jeder Branche die Behauptung erschwert, dass sie nur unwesentlich für das Steigen der Fallzahlen verantwortlich sei. Kurz: Man weiß es eben nicht.
Die Politökonomin Maja Göpel hat mit „Unsere Welt neu denken“ einen Besteller geschrieben. Wir haben mit ihr über mögliche Zukünfte, das Befreiende von Verboten und eine Kindheit unter Hippies gesprochen – in der taz am wochenende vom 31. Oktober/1. November. Außerdem: Ein Blick auf die letzten Tage vor der US-Präsidentschaftswahl. Und: Das Wichtigste zum Corona-Teil-Lockdown. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Außerdem wird der Freizeit-Shutdown nun als kohärentes Gesamt-Konzept dargestellt, mit dem ein klar definiertes Ziel erreicht werden soll. 75 Prozent der Kontakte sollen reduziert werden, um die Zahl der Neuinfektionen wieder in die nachverfolgbare Größenordnung von unter 50 neuen Fälle pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen zu bringen. Wenn es um ein Gesamtkonzept geht, werden die Gerichte einzelne Maßnahmen vermutlich weniger streng prüfen, solange sie einen nennenswerten Beitrag zum Gesamtkonzept leisten können.
Es genügt dann auch nicht, wenn Gaststätten und Konzertveranstalter auf ihre klug ausgetüftelten Hygiene-Konzepte verweisen. Die Infektionszahlen haben sich nun mal trotz der Hygienekonzepte binnen Wochenfrist jeweils verdoppelt. Die Politik, die ja auch Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung hat, muss also etwas tun. Wenn sie dabei entscheidet, dass sie auf die Schließung von Schulen, Kitas, Handel und Wirtschaft möglichst verzichten will, so gibt es dafür gute sachliche Gründe. Es liegt dann keine rechtswidrige Ungleichbehandlung vor.
Friseure dürfen offen bleiben, Kosmetiksalons aber nicht
Probleme mit der Gleichbehandlung kann es allenfalls in Detailfragen geben: Warum müssen Kosmetiksalons schließen, während FriseurInnen diesmal weiterarbeiten dürfen? Doch ein Erfolg vor Gericht müsste nicht zwingend zur Öffnung der Kosmetik-Angebote führen, sondern könnte auch die Schließung der Friseursalons zur Folge haben.
Natürlich geht es bei allem auch ums Geld. Viele Betriebe sind schon durch die letzten Monate stark gebeutelt. Allerdings hat der Staat diesmal einen großzügigen Ausgleich versprochen. Bei Unternehmen bis 50 MitarbeiterInnen sollen bis zu 75 Prozent des Umsatzes vom November 2019 als Entschädigung ausgezahlt werden. Das ist in vielen Fällen vielleicht sogar mehr als bei geöffnetem Betrieb hätte erwirtschaftet werden können.
Schließlich sind die meisten Kunden derzeit deutlich zurückhaltender als vor der Pandemie. Wenn das Geld fair verteilt wird, haben Entschädigungsklagen also kaum eine Chance. Vielleicht ärgern sich sogar die FriseurInnen, dass sie mit großen Verlusten weiterarbeiten müssen, während die KosmetikerInnen fürs Schließen des Salons 75 Prozent Entschädigung erhalten.
Maßstab ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit
Noch sind das aber alles Spekulationen. Die Absichtserklärung der MinisterpräsidentInnen vom vorigen Mittwoch müssen erst in Rechtsverordnungen der Bundesländer umgesetzt werden. Erst gegen diese kann dann geklagt werden. Zuständig sind in der Regel die Verwaltungsgerichte der Länder. Ihr Maßstab ist angesichts der weiten Ermächtigung im Infektionsschutzgesetz vor allem das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das für jedes staatliche Handeln gilt.
Es geht also um eine Abwägung zwischen dem Nutzen, der erzielt werden kann und dem Schaden, der dabei angerichtet wird. Die Abwägung kann also von Woche zu Woche anders ausfallen. Je höher die Infektionszahlen und je gefährdeter das Gesundheitssystem, um so tiefere Eingriffe kann der Staat den BürgerInnen und Unternehmen zumuten.
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