Klage gegen Ex-Papst und Kirchenobere: Ein Dienst an der Gesellschaft

Ein Betroffener von sexualisierter Gewalt klagt gegen Kirchenobere. Damit könnte erstmals ein weltliches Gericht über deren Mitschuld verhandeln.

Eine weiße Kirche, davor ein schwarzes Kreuz mit einer Jesusfigur daran.

Die Kirche St. Nikolaus in Garching: Hier soll ein Priester jahrelang Kinder missbraucht haben Foto: Britta Schultejans/dpa

Die Kirche hat Julian Schwarz sexualisierte Gewalt angetan, zum passiven Opfer aber lässt er sich nicht machen. Der 38-Jährige klagt jetzt gegen den direkten Täter, gegen Bischof und Bistum und sogar gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. Er leistet damit der ganzen Gesellschaft einen schweren, aber wichtigen Dienst.

Denn Schwarz, der eigentlich anders heißt, und sein Anwalt Andreas Schulz nehmen die strafrechtliche Verjährung der Gewalttaten des Priesters Peter H. nicht hin. Die zivilrechtliche Klage, die sie nun beim Landgericht Traunstein eingereicht haben, betritt juristisches Neuland und hat Recht, vor allem moralische Gerechtigkeit zum Ziel.

Schwarz war etwa 11 Jahre alt, als der Priester seiner Heimatgemeinde in Garching an der Alz einen Porno einlegte, dazu masturbierte und begann, das Kind anzufassen.

Peter H. war zu diesem Zeitpunkt bereits vorbestraft. Ein Psychiater hatte eine „narzisstische Grundstörung mit Päde­ras­tie und Exhibitionismus“ bei ihm diagnostiziert, schon bevor er in Garching Pfarrer wurde. Trotzdem übernahm das Münchner Erzbistum den aus Essen stammenden Pfarrer 1980. Trotzdem setzte es ihn im Gemeindedienst mit Kontakt zu Kindern ein – mit verheerenden Folgen nicht nur für Schwarz.

Wunsch nach Feststellung des Unrechts

Damals an der Spitze des Bistums: Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. Dieser habe „Kenntnis von allen Umständen“ gehabt, heißt es in Schwarz’ und Schulz’ Klageschrift, über die Correctiv, Die Zeit und der Bayerische Rundfunk zuerst berichtet haben. Das Traunsteiner Gericht solle jetzt rückwirkend prüfen, ob Peter H., das Münchner Erzbistum, der Ex-Erzbischof Friedrich Wetter und eben auch Papst Benedikt Schadenersatz zahlen müssen. Denn dass die Drogenabhängigkeit, mit der Schwarz zu kämpfen hat, ihre Ursache in der Tat des Priesters hat, ist ärztlich ­belegt.

Anwalt Schulz argumentiert unter anderem mit einem Gutachten zu sexualisierter Gewalt im Münchner Erzbistum, dass die Kanzlei WSW im Januar veröffentlicht hat. Es attestiert Benedikt Fehlverhalten im Amt. Außerdem bezieht sich die Klageschrift auf eine kirchengerichtliche Verfügung von 2016. Darin wird Peter H. beschuldigt, zwischen 1973 und 1996 „in mindestens 23 Fällen sexuellen Missbrauch an namentlich bekannten Minderjährigen begangen zu haben“. Und, so heißt es in dem Dekret: Bischof Friedrich Wetter und der spätere Papst seien über H.s Pädo­kriminalität im Bilde gewesen. Der Ruhestands-Pontifex bestreitet das bis heute.

„Es geht dem Kläger nicht primär um Geld, sondern es geht ihm um die Feststellung, dass das, was geschehen ist, Unrecht war“, sagt Anwalt Schulz. Diese Feststellung hätte Bedeutung weit über das Schicksal von Julian Schwarz hinaus. Denn bis dato können sich die von sexua­lisierter Gewalt Betroffenen nur an die Kirche, also die Täter­orga­nisa­tion, wenden, wenn sie Ansprüche geltend machen möchten. Über die Höhe von Entschädigungen entscheiden die Bistümer nach eigenem Gutdünken. Im Schnitt sind es lächerliche 5.000 Euro.

Das könnte sich ändern, sollte das Landgericht Traunstein Schwarz’ Klage annehmen. Erstmals in Deutschland würde ein weltliches Gericht die Mitschuld Kirchenoberer verhandeln. Und gegebenenfalls eine Entschädigungssumme festlegen. Viele weitere Klagen würden folgen, endlich wäre mehr staatliche Handlungsfähigkeit bei verjährten Fällen gegeben.

Die ganze Gesellschaft ist gefragt

Der Erfolg der Klage ist unsicher. Doch sie hat schon jetzt einen hohen Wert. Sie zwingt die Beschuldigten dazu, Position zu beziehen. Sie packt die Kirchenoberen am eigenen Selbstverständnis, das ja viel mit Moral zu tun hat. Denn Schwarz und andere Betroffene haben zwar einen Anspruch auf Feststellung ihres Schadens, aber nur so lange die Beschuldigten nicht auf die strafrechtliche Verjährung pochen. Bischof Friedrich Wetter signalisierte in einer ersten Reaktion schon, dass er keinen Antrag auf Verjährung stellen will.

Die anderen Beschuldigten täten gut daran, dem Beispiel des Bischofs zu folgen und sich ihrer Schuld vor einer unabhängigen Institution zu stellen. Im Interesse der Betroffenen und sogar der Kirche. Denn dass Peter H. erst vergangene Woche aus dem Priesteramt entlassen worden ist, mehr als 40 Jahre nachdem es erste Vorwürfen gegen ihn gab, hat in Sachen Glaubwürdigkeit nicht wirklich geholfen.

Auch für die Gesellschaft hat es einen hohen Wert, dass Schwarz bereit ist, seine Geschichte öffentlich zu machen. Diese Geschichte zeigt überdeutlich, welche drastischen Folgen sexualisierte Gewalt in der Biografie nach sich ziehen kann: Drogenmissbrauch, Straftaten, immer wieder Unfälle.

Die Dorfgesellschaft in Garching an der Alz ist damals den gegebenen Hinweisen nicht nachgegangen. Julian Schwarz’ Mutter hat ihrem Kind keinen Glauben geschenkt, als es von den sexuellen Übergriffen berichtete. Diese Geschichte zeigt auch, dass alle im Mietshaus, in der Nachbarschaft, im Sportverein und in der Familie gefragt sind, wenn es darum geht, sexua­lisierte Gewalt zu verhindern oder zumindest zu ahnden. Julian Schwarz sagt: „Ich will, dass andere sich trauen, sich zu melden. Niemand muss sich schämen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.