Analyse: Klage aus Teheran
■ Acht deutsche Firmen sollen wegen Giftgaslieferungen an Irak vor Gericht
Der Vorwurf ist berechtigt, das Motiv politisch, das Timing unverständlich. Am Mittwoch nachmittag meldete die iranische Nachrichtenagentur Irna, acht deutsche Firmen müßten sich demnächst in Teheran vor Gericht verantworten. Sie hätten Grundstoffe und Anlagen für die Produktion von Giftgas an den Irak geliefert, das dieser im ersten Golfkrieg gegen den Iran eingesetzt hat. Folge: 10.000 Tote und 50.000 Verletzte. Grundlage der Anklage seien Aussagen damals gefangener irakischer Militärs.
Irans Justiz hätte es einfacher haben können. Westliche Medien veröffentlichten nach Iraks Invasion in Kuwait 1992 genügend Hinweise auf die „Händler des Todes“, die den Irak aufgerüstet hatten. Selbst die deutsche Justiz beschäftigte sich – wenn auch verhalten – mit den Waffenhändlern.
Bereits im April vergangenen Jahres hatte die iranische Justiz einen ähnlichen Prozeß angekündigt. Damals war von 24 deutschen Firmen die Rede. Kläger seien etwa 1.000 überlebende Giftgasopfer oder deren Angehörige. Die Klage, neun Jahre nach Ende des irakisch-iranischen Kriegs, war eindeutig politisch motiviert. Kurz zuvor hatte das Berliner Kammergericht sein Urteil im Mykonos-Prozeß gesprochen und damit der iranischen Staatsführung eine Breitseite verpaßt. Die oberste Staatsführung der Islamischen Republik habe persönlich den Auftrag für den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden in Berlin gegeben, hieß es in der Urteilsbegründung: der Religiöse Führer Ali Chamenei, Präsident Rafsandschani, Außenminister Welajati und Geheimdienstminister Fallahian. Mit der Klage gegen deutsche Unternehmen wollte Irans Staatsführung den Schlag aus Deutschland erwidern.
Fast eineinhalb Jahre danach hat sich die Situation gänzlich verändert. Von den drei im Mykonos-Urteil beschuldigten iranischen Politikern ist nur noch Chamenei im Amt. Zwischen Deutschland und dem Iran herrscht seit der Wahl Mohammad Chatamis zum Präsidenten wieder Frühlingswetter. Niemand redet mehr vom Abbruch diplomatischer Beziehungen. Die Prozeßankündigung aus Teheran kommt da höchst ungelegen.
Selbst iranische Diplomaten sind unangenehm überrascht. Als „totalen Schwachsinn“ bezeichnen Beobachter in Teheran den jetzigen Schritt. Bleibt jene Erklärung, die seit Chatamis Wahl immer wieder herangezogen wird: Der Machtkampf zwischen Konservativen und Moderaten innerhalb des iranischen Herrschaftsapparates. Das Schema paßt, denn Justizchef Mohammad Jasdi gehört zu Ersteren und hat schon mehrfach versucht, Chatamis Politik durch politische Gerichtsverfahren zu sabotieren. Oder aber es herrscht einfach mal wieder Chaos in Teheran. Thomas Dreger
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