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Kita-Streit in Mitte eskaliertMachtkampf in der Kita

ErzieherInnen kündigen, Eltern fühlen sich allein gelassen: In einer Kita in Mitte liefen sich Eltern und Träger einen harten Schlagabtausch.

Kann man sich trefflich drüber streiten: Das Thema Mittagsschlaf in der Kita Foto: Caroline Seidel/dpa/picture alliance

Der Brief, den die Eltern der Kita F.A.I.R. Play in der Albrechtstraße in Mitte am 12. Februar an die Jugendstadträtin des Bezirks schreiben, klingt drastisch: Beinahe das komplette ErzieherInnenteam habe innerhalb weniger Monate gekündigt. „Es herrscht Chaos, Aufregung, Angst. Manche Kinder wollen am liebsten nicht mehr in die Kita gehen.“ Die Eltern selbst fühlen sich vom Träger mundtot gemacht, weil der ihre Sorgen ignoriere. Sie fragen: „Wie konnte das passieren?“

Passiert ist das: Im vergangenen Jahr beschloss der Träger GFJ, der rund 250 Kinder in drei Kitas in Mitte betreut, das pädagogische Konzept der Kita in der Albrechtstraße zu ändern. Die Überschrift hieß: „Teilhabe“.

Die Kinder sollten mehr mitbestimmen dürfen – zum Beispiel sollten sie nicht länger „zum Liegen und Ruhen angehalten“ werden, sondern selbst entscheiden, ob sie Mittagsschlaf machen möchten. Überhaupt wollte man zu einem offeneren Konzept übergehen, die altershomogenen Gruppenstrukturen im Haus sollten aufgebrochen werden. So erklärt es der Träger. Hintergrund, sagt GFJ-Geschäftsführerin Monika Zantke, sei eine externe Evaluation gewesen, die genau das angemahnt habe: Die Kita müsse sich mehr am Berliner Bildungsprogramm der Senatsverwaltung für Jugend und Familie orientieren.

Das klingt nach Ideen, die man den Eltern durchaus hätte vermitteln können. Doch etwas lief dann schief in der Albrechtstraße: Inzwischen geht es längst nicht mehr um die Sinnhaftigkeit eines pädagogischen Konzepts. Der Konflikt ist in einen Machtkampf zwischen Träger und Eltern eskaliert, der ein Lehrstück darüber ist, wie sich solche Streitigkeiten hoch schaukeln können: Es geht um anonyme Drohbriefe, um ein ErzieherInnenteam, das bis auf eine Ausnahme die Kündigung eingereicht hat – und um eine unbequeme Elternvertreterin, der der Träger die Kitaplätze für ihre zwei Kinder gekündigt hat.

Im Büro der GFJ-Geschäftsführung in der Linienstraße rekonstruiert sich der Streit so: Im Sommer 2017, erklärt Katalin Zantke, Fachberaterin bei GFJ, habe man bei einem Elternabend „versucht, das neue, offene Konzept zu vermitteln“. Das sei „nicht gelungen“. Stattdessen hätten die Eltern sie mit Beschwerdebriefen überzogen, der in einem anonymen Drohbrief an die Geschäftsführerin „Frau Dr. Zantke persönlich“ gegipfelt sei: Warum sie die Kita „zerstört“ habe? Der Brief endet mit den Zeilen: „Ich hoffe Sie werden dafür bezahlen müssen.“

Gegen die Sorgen der Eltern

Das Schreiben liegt der taz vor – doch eine Mutter aus der Elternvertretung sagt, die Elternschaft distanziere sich geschlossen gegen den Vorwurf, den Brief geschrieben zu haben.

Einer unbequemen Elternvertreterin kündigte der Träger die Kitaplätze für ihre zwei Kinder

Aus Sicht der Eltern geht die Geschichte so: Der Träger habe versucht, ein nicht zu Ende gedachtes Konzept gegen alle Sorgen der Eltern „durchzudrücken“, sagt die Mutter, die anonym bleiben will. Tatsächlich scheinen die ErzieherInnen überfordert gewesen zu sein: Es sei nicht klar gewesen, was dieses „offene Konzept“ eigentlich bedeute, sagt eine ehemalige Mitarbeiterin, die ebenfalls anonym bleiben will.

Es habe „Dienstanweisungen“, etwa zum Thema Mittagsschlaf, gegeben, aber „keine Kommunikation“. Schließlich hätten die KollegInnen „aus Überforderung“ gekündigt, sagt die Exmitarbeiterin. „Sie wollten bei dem Streit zwischen Träger und Eltern nicht länger zwischen den Fronten sitzen“, sagt Zantke.

Unklar bleibt, warum man über das Konzept nicht einfach reden konnte – ein Kompromiss bei den Reizthemen Mittagsschlaf und Mittagessen statt einer Kündigung von beinahe der kompletten Belegschaft, „was letztlich vor allem zu Lasten der Kinder geht“, sagt die Mutter, die anonym bleiben will.

Wir wollten reden, aber die Eltern haben uns nicht zuhören wollen, sagt Geschäftsführerin Zantke.

Wir wollten reden, aber der Träger wollte nicht, schreiben die Eltern in ihrem Brief an die linke Jugendstadträtin Sandra Obermeyer.

Rasanter Personalaustausch

Im November traf man sich schließlich – auf Initiative der Eltern – bei der Kita-Aufsicht der Senatsverwaltung für Jugend und Familie. Dort mag man indes in dem rasanten Personalaustausch kein Problem erkennen, „das aus unserer Sicht nicht bewältigt werden“ könnte, teilt eine Sprecherin mit. „Entscheidend ist, dass die Stellen nachbesetzt wurden.“ Auch die im Kita-Gesetz verankerten Mitbestimmungsrechte der Eltern sieht man nicht in Gefahr: Zwar sei „manches zu spät und nicht gut kommuniziert“ worden. Aber nun gebe es ein Mediationsverfahren „auf Augenhöhe“ zwischen Eltern und Träger, die Kitaaufsicht sei beteiligt.

Auch Jugendstadträtin Obermeyer verweist auf die Mediation und sagt: Sie habe eher den Eindruck, dass die Eltern, die inzwischen einen Trägerwechsel für die Kita fordern, „sich auf keinen Dialog mehr einlassen“ wollten.

Es bleibt aber auch der Eindruck: Da geben sowohl Kitaaufsicht als auch Bezirk in erster Linie den Eltern die Schuld und ziehen sich zugleich auf den Hinweis einer „Mediation auf Augenhöhe“ zurück – obwohl der Träger nicht viel Interesse daran zu haben scheint, dass die einen guten Start findet: Am Dienstag fand Elternvertreterin Sulamith Hamra, die den Protest der Eltern organisiert hatte, das Kündigungsschreiben des Trägers im Briefkasten. Ab dem 1. Mai hat die berufstätige Mutter für ihre zwei Söhne keinen Betreuungsplatz mehr. GFJ begründet die Kündigung mit einem zerrütteten Vertrauensverhältnis.

Die Kitaplatzsuche in Berlin ist extrem schwierig für Eltern. Das macht sie auch erpressbar – denn der Träger sitzt am längeren Hebel. Wer keinen Ärger will, verhält sich im Zweifel ruhig. Sulamith Hamra hofft nun auf eine einstweilige Verfügung gegen die Kündigung. „Augenhöhe ist das jedenfalls nicht“, sagt eine Mutter.

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2 Kommentare

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  • Auf der Kita waren meine Kinder auch. Ist nun rund 10 Jahre her.

     

    Schon damals lag eine große Diskrepanz zwischen der Herzlichkeit der Erzieher und der Autorität des Trägers vor. Wir Eltern waren damals froh, mit dem Träger wenig Berührungspunkte haben zu müssen.

     

    Es passt, was Mowgli in seinem Kommentar schreibt. Die Geschäftsführerin wurde wohl in autoritären Strukturen sozialisiert und sah sich damals schon als "Herrscherin" über ihre Kitas. Eltern wurden vom Träger allenfalls toleriert und als Bittsteller behandelt.

     

    Es war damals schon schlimm, wieviel schlimmer muss es da heute sein, da Kita-Plätze schon sehr zu bekommen sind. Ich drücke den Eltern die Daumen, dass die Stadträtin hinschaut und einschreitet.

  • Zitat: “Unklar bleibt, warum man über das Konzept nicht einfach reden konnte“.

     

    Das Phänomen kenne ich aus meiner Berufspraxis. Es taucht immer wieder und in ganz verschiedenen Zusammenhängen auf, hat aber fast immer drei Hauptgründe:

     

    1) Nicht alle Menschen sind gleich kompromissfähig. Wer in besonders autoritären Strukturen sozialisiert worden ist, hat gelernt, jedes Entgegenkommen als Eingeständnis von Schwäche zu interpretieren. Kommt man solchen Menschen entgegen, missverstehen sie das als Aufforderung, aus einer Position der vermeintlichen Stärke heraus immer neue Forderungen zu stellen. Kommt man ihnen hingegen nicht entgegen, machen sie vorsichtshalber komplett „dicht“. Solche „Hardliner“ kann es auf beiden Seiten geben. Sie können männlich und weiblich sein. Die fehlgegangene Persönlichkeitsentwicklung innerhalb weniger Tagen zu korrigieren, ist leider fast immer unmöglich.

     

    2) Wie im Text erwähnt, wird das Verhandeln „auf Augenhöhe“ oft durch die herrschenden Machtverhältnisse erschwert. Wer sich von Anfang an unterlegen fühlt, hat eine Tendenz, stärker zuzuschlagen, als der Sache dienlich ist. Vorbeugend und ausgleichend sozusagen. Das kann sich dann die Gegenseite natürlich nicht gefallen lassen. Sie schlägt zurück. Die Sache eskaliert.

     

    3) Die emotionalen Voraussetzungen sind oft sehr verschieden. Das Wort „Betroffene“ sagt schon, sind Eltern/Anwohner/Nutzer gefühlsmäßig oft stark involviert sind. Auch haben sie zum Teil unverarbeitete Negativ-Erfahrungen im Gepäck, die mit der aktuellen Sache gar nichts zu tun haben, aber trotzdem belasten. Die Vertreter der Profi-Seite gehen die Debatten hingegen oft sehr sachlich an. Das wird von den Betroffenen als Kaltherzigkeit und Arroganz fehlinterpretiert.

     

    Mediation hilft gegen all das nur bedingt. Sie dient eher als Feigenblatt. („Wir haben alles versucht!“) Hilft alles nichts: Wir brauchen noch Geduld. Sehr viel Geduld sogar. Wo Zeit Geld oder Macht ist, wird es natürlich schwer.