Kirche mit Reliquie unterwegs: Nekromantischer Wanderzirkus
Mit dem Herz eines toten Jugendlichen veranstaltet die katholische Kirche eine Tournee. Unappetitlicher sind nur die Inhalte, die sie damit bewirbt.
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Vergangene Woche wurden in mehreren deutschen Städten seltsame Dinge mit Leichenteilen getrieben. Die sind normalerweise zu beseitigen, „unverzüglich in schicklicher und gesundheitlich unbedenklicher Weise“, wie es das bayerische Bestattungsgesetz verlangt.
Nach nordrhein-westfälischem Landesrecht müssen Leichenteile sogar verbrannt werden. Ähnlich regeln das auch die anderen Bundesländer. Und doch tingelte seit Sonntag eine Show mit einem Leichenteil ganz unbehelligt durch die Republik.
In ihrem Zentrum: das Herz, das einem 2006 Gestorbenen 2019 aus dem verwesten Körper geschnitten wurde. Mithilfe von Chemikalien und Silikon hat man es halt- und vorzeigbar gemacht, so wie den restlichen Kadaver Carlo Acutis’, verstorben mit 15 Jahren.
Nicht im Einklang mit dem Wunsch des Toten
Dieser hatte sich gewünscht, in Umbrien begraben zu werden. Doch nun soll er halt, weil es die Eltern unbedingt wollen, heiliggesprochen werden. Das hat der Vatikan angekündigt. Im Vorgriff darauf hat man ihn exhumiert, restauriert und desodoriert.
Für sein zur Reliquie erklärtes Herz wurde ein schmucker Transportbehälter geschmiedet, den sich ausgewählte Besucher*innen im Rahmen der Show haben über den Kopf schwenken lassen.
Die letzte deutsche Station war am Donnerstag Hamburg-Neugraben. Davor waren Köln, Berlin und München dran, und weitergehen sollte es in die Niederlande. Vor ein paar Jahren hat man schon mal etwas Ähnliches mit den Gebeinen von Bernadette Soubirous in ihrem Schrein gemacht. Dem Kind war in Lourdes im 19. Jahrhundert eine weiße Dame erschienen.
Dennoch, der Zirkus, den Rom mit dem Herz des toten Teenies veranstaltet, hat eher mit nekromantischer Praxis zu tun als mit katholischer Theologie: Einen solchen Tourneebetrieb kennt nicht einmal das Hochmittelalter. Platz haben Reliquien seit dem 4. Jahrhundert nur unter, nicht auf dem Altar.
Diesem kanonischen Reglement spricht das gegenwärtige Spektakel Hohn – und bedient umso mehr PR- und wohl auch wirtschaftliche Absichten. Mit der hastigen Kanonisierung bindet der Vatikan die einflussreiche Familie Acutis stärker an sich, zu deren Privateigentum der milliardenschweren Mailänder Versicherungskonzern Vittoria Assicurazioni zählt.
Auch hofft man junge Menschen zu ködern, die nicht auf die Gefahren achten, die ihnen aus dem Schoße der alleinseligmachenden Kirche drohen. Zu den Motoren der Heiligsprechung gehört denn auch Ex-Kurienkardinal Angelo Comastri, eine zentrale Figur im Missbrauchsskandal der Knabenschule in Vatikanstadt von 2008. Der hat im Januar endlich zu einem Schuldspruch geführt – ein echtes kirchenhistorisches Ereignis.
Da wirkt es offenbar attraktiv, mal was mit einem Jugendlichen zu machen, der sich nun wirklich nicht mehr wehren kann. Obwohl, wer weiß: An Leuten, die auf den Kopf gefallen sind, soll Carlo Acutis ein paar Jahre nach seinem Leukämie-Tod noch Wunder gewirkt haben.
Während seines kurzen Lebens war der Knabe ganz in seinen Hobbys aufgegangen: katholische Messe und Homepagebasteln. Besonders gerühmt wird die, auf der er einen in 17 Sprachen übersetzten Katalog sogenannter „eucharistischer Wunder“ präsentiert hat.
Das ist der widerlichste Aspekt der Historie vom heiligen Nerd: Diese Spezialkategorie der Wunder erzählt fast immer, wie Juden christlich geweihte Hostien geklaut, geschändet und mit Messern auf sie eingestochen hätten – woraufhin aus der Oblate Blut ausgetreten sei. Diese Legenden sollten zum Hass aufstacheln – und sie haben in Frankreich, Belgien und Deutschland Pogrome und Vertreibungswellen ausgelöst.
Als er mit 13 Jahren diese Propagandanarrative reproduzierte, war dem religiös begeisterten Carlo Acutis der Hintergrund wohl kaum klar. Für Kleriker aber, die mit den Knabenleichenteilen makabre Shows veranstalten, müssen andere Maßstäbe gelten: Sie verbreiten den Hass ganz wissentlich, der diesen Geschichten eingeschriebenen ist. Nichts kann dabei besser helfen als ein totes Herz.
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