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Kinotipp der WocheKomödiantischer Ernst

Das Zeughauskino zeigt das filmische Werk des Wieners Schauspielers und Regisseurs Willi Forst, darunter die Verwechslungskomödie „Allotria“ von 1936.

Ein Flirt oder doch nur Verwechslung?: Szene aus Willi Forsts „Allotria“ (Deutschland 1936) Foto: Filmmuseum Berlin – Stiftung Deutsche Kinemathek

Unübersehbar bedröppelt guckt Playboy Philipp dem Zug hinterher, aus dem ihm die junge Diana zuwinkt. Eine ganze Mittelmeer-Kreuzfahrt lang hat Philipp (Adolf Wohlbrück) mit der jungen Frau (Renate Müller) geflirtet, doch als er ihr in der letzten Nacht einen Heiratsantrag machen will, läuft vor seinem inneren Auge eine Montagesequenz verlorener Junggesellenfreiheit ab, und ihm verschlägt es die Worte. Und am nächsten Morgen muss Philipp nun von der Zollkontrolle aus zusehen, wie seine Aussichten abdampfen.

Der Wiener Schauspieler und Regisseur Willi Forst wechselte seit der Stummfilmzeit fließend zwischen den Studios in Wien und Berlin, anders als viele Kollegen konnte er diese Arbeit auch nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 ungebrochen fortsetzen. „Allotria“ entstand 1936 in Berlin mit deutlichen Anleihen bei den US-Screwball-Komödien, die vor allem vor 1934 entstanden – bevor der Hays-Code, eine Form moralischer Zensur strikter durchgesetzt wurde. Forsts beschwingte Komödien und Lustspiele waren der konkreten Realität ihrer Entstehungsjahre weit genug entrückt.

Zum Tode Forsts 1980 schrieb der Filmkritiker Karsten Witte „Forst hat den Faschismus, den er mit keinem Zentimeter Zelluloid verlängerte, wie so viele seiner Kollegen, in Wien überstanden. Er hielt sich auch nach dem Krieg, als alle munter weiterproduzierten, zurück. Allen Nostalgiesendungen des Fernsehens zur schönen, schrecklichen Ufa-Zeit blieb er fern. Es blieben von ihm aber im Reißbrett der Gefühlsverwirrungen Komödien zurück, deren Schlagfertigkeit, Tempo und Zuneigung zum Scheitern hochfliegender Träume zu entdecken sind.“

Vor wenigen Wochen präsentierte der Filmwissenschaftler und Filmkritiker Lukas Foerster auf dem Festival für historischen Film Cinema ritrovato in Bologna eine Auswahl von Filmen Forsts. Den ganzen Juli und August hindurch zeigt das Berliner Zeughauskino eine deutlich erweiterte Werkschau der Filme von Willi Forst unter dem Titel „Verführerische Melancholie“.

Forsts Karriere begann Ende der 1910er Jahre als Schauspieler unter anderem am Metropol Theater in Berlin. Max Reinhardt holte Forst später ans Deutsche Theater. In den 1920er und frühen 1930er Jahren wurde Forst zu einem Star – und in mancher Hinsicht zum Inbegriff – des Wiener Films. 1933 drehte Forst mit dem Franz-Schubert-Biopic „Leise flehen meine Lieder“ sein Regiedebüt. 1934 folgte der erste einer Reihe großer Filmerfolge Forsts: „Maskerade“ (11. Juli & 3. August). Ein verliehener Pelz-Muff, der auf einem Gemälde auftaucht, sorgt für Wirrungen in der Wiener Ballgesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts. Mit großer Eleganz verwebt der Film die Irrwege und setzt fast wie nebenbei seinen Star Paula Wessely in Szene.

Zwei Jahre später entsteht „Allotria“, ein weiterer Erfolg von Forst. Auch wenn der Handlungsfluß etwas weniger elegant gestrickt ist und eher einem Förderband gleicht, auf dem grobe Gesteinsbrocken ruckeln, als einem Fluß, ist Forst auf dem Höhepunkt seiner Arbeit. Er setzt auf bewährte Gesichter wie Wohlbrück und Müller und verwebt souverän das Verwechslungsspiel mit Montagesequenzen und Filmeffekten (was Joseph Goebbels wenig gefiel).

„Allotria“ (12. Juli & 10. August) atmet Modernität und entsorgt dennoch die Modernität der Geschlechterverhältnisse, die viele Screwball-Komödien prägte, zugunsten einer leicht muffigen Konvention. Forst vertraut ganz auf das Spiel vor allem seiner drei weiblichen Figuren: Renate Müller als Sehnsuchtsobjekt des Playboy Philipp, die Industriellen-Tochter Gaby (Jenny Jugo) als Verlobte von Philipps bestem Freund David (Heinz Rühmann) und Hilde Hildebrand als Aimée, der ehemaligen Geliebten von sowohl Philipp als auch David.

Wie so oft bei den Unterhaltungsfilmen, die während des NS produziert wurden, liegt die wahre Tragödie in der Produktionsgeschichte. Für Renate Müller sollte es einer der letzten Filme werden, ein Jahr später stürzte sie aus ihrer Berliner Villa und verstarb an den Folgen. Die Nationalsozialisten hatten den einstigen Filmstar zuvor systematisch behindert und gegängelt. Jenny Jugo wurde von Magda Goebbels zur Freundin der Familie aufgebaut, um ihrem Mann die Daueraffäre mit Lida Baarova zu komplizieren. Jugo setzte sich für Filmschaffende wie Erich Engel ein, geriet aber zumindest zeitweilig auch in die Fänge der NS-Filmmaschinerie.

Forsts „Verführerische Melancholie“ – das macht die Reihe im Zeughauskino sehr deutlich – entfaltete sich unter den Umständen der Entmenschlichung durch den Nationalsozialismus von dem sich weder das Deutschland noch der deutsche Film jemals erholt hat. Forsts Filme bilden dazu einen interessanten Kontrast.

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