Kinotipp der Woche: Moritat im Prunkzimmer
Mit fast 80 produziert Rosa von Praunheim bis heute jedes Jahr mindestens einen Film. Das Kino Filmkunst 66 zeigt zwei Premieren.
Ein Sohn, der seine Mutter zuhause an einen Stuhl fesselt, weil sie droht, ihn zu verlassen. 1986 brachte Rosa von Praunheim zwei seiner Stars, den Straßensänger Friedrich Steinhauer und Luzi Kryn, bekannt aus Praunheims „Die Bettwurst“, in einem Hörspiel zusammen, das auf einer Zeitungnotiz beruhte.
Als die Coronapandemie zur Häuslichkeit zwang, griff Praunheim den Stoff auf und verfilmte ihn. Der Anfang von „Die Nachtigall – Der grausame Sohn“ entfaltet diese Vorgeschichte und endet damit, dass sowohl Steinhauer als auch Kryn unterdessen verstorben sind.
Statt Steinhauer und Kryn werden Sohn und Mutter nun von dem Countertenor Hubert Wild und der ehemaligen Studienrätin Ellen Reichardt gespielt. „Die Nachtigall“ ist einer von zwei Filmen Rosa von Praunheims, die an den kommenden Sonntagen im Charlottenburger Kino Filmkunst 66 Premiere feiern.
Der Film beginnt wie ein Helge-Schneider-Film im Prunkzimmer. Die Mutter eröffnet dem Sohn, sie habe einen Mann kennengelernt und beabsichtige, ihn zu heiraten. Der Mann wolle jedoch nicht mit dem erwachsenen, aber vollkommen unselbständigen Sohn in einer Wohnung leben.
Diese Mitteilung bringt im Sohn die nur oberflächlich unterdrückte Aggression der repressiv-spießigen Mutter-Sohn-Beziehung zum Ausbruch. Die Farce kippt in eine Moritat. Bei einer scheinbaren Versöhnung mit Likörchen auf dem Plüschsofa lässt der Sohn die Mutter ein Schlafmittel trinken.
Beeindruckend guter Pandemiefilm
Gedreht wurde in Praunheims Wohnzimmer, den Wohnungen von Nachbarn und einer Kneipe. Der Film unterbricht die Handlung immer wieder zu vermeintlich privaten Gesprächen mit den Darsteller_innen, in denen diese über Probleme und Problemchen, Unwillen und Krampfadern Auskunft geben.
In seinem Rückgriff auf das fast 40 Jahre alte Hörspiel ist „Die Nachtigall“ ein beeindruckend guter Pandemiefilm. Der Wechsel zwischen der Erzählung von den psychischen Abgründen und dem scheinbar privaten Austausch über Triviales findet er Bilder für die klaustrophobe Stimmung einer Gesellschaft, die sich einschließt und gleichzeitig Zugewandtheit simuliert.
„Hirschensprung“, der zweite der Filme ließe sich am ehesten als exaltiertes Soap-Sex-Musical beschreiben. Christiane Ziehl als sexsüchtige Mittsechzigerin und Rosa von Praunheim als rollatorschiebender Baron geben sich in der Brandenburger Provinz als Adelspaar aus. Die beiden sind sich spinnefeind. Das einzige, was sie zusammenhält, ist die Kindheit in einem Waisenhaus in der DDR und die Aussicht des Barons, seine Schwester zu beerben.
Das einzige, was sie sich zu erzählen haben, sind Anekdoten über ihre Affären mit Personen der DDR-Führung. Die Gräfin hat eine Dauerbeziehung mit ihrem Gärtner, einem Nudisten mit Tendenz zum Rechtsradikalen. Der Gärtner wird zum Problem, als der Gesangslehrer des Barons in der Garage des Anwesens eine schwarze, junge Frau entdeckt.
Spiel mit den Klischees
Bedauerlicherweise versucht Praunheim, die Trivialität des Films durch ein Spiel mit rassistischen Vorurteilen gegenwartsrelevant erscheinen zu lassen. Bei diesem Spiel mit den Klischees kommt sich der Film regelmäßig reflektierter vor als er ist. Und auch sonst schleppt sich der Film in jeder Hinsicht.
Mit fast 80 Jahren produziert Rosa von Praunheim bis heute jedes Jahr mindestens einen Film. Wie im Falle der beiden Filme, die das Filmkunst 66 Ende Mai präsentiert, sind die Filme von durchaus wechselnder Qualität. Trotzdessen gelingt es Praunheim routiniert, Fans und Filmförderungen gleichermaßen bei der Stange zu halten.
Diese Routine ist kein kleines Verdienst, die gelungeneren wären ohne die weniger gelungenen kaum entstanden. Entsprechend tut man gut daran, die Filme jenseits von allem als Teil des Gesamtphänomens Rosa von Praunheim zu sehen.
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