Kinoempfehlungen für Berlin: Filmische Vermessungen

Im Zeughauskino gibt es viel Hoffmanneskes. „Die Böhms“ untersucht die Architektur einer Familie. „National Gallery“ die Geschichte einer Institution.

Eine Ballerina steht zwischen zwei Gemälden in der National Gallery

„National Gallery“ (2014), Regie: Frederick Wiseman Foto: Kool

Um 1910 war das Kino im deutschsprachigen Raum insofern in eine Krise geraten, als man sich heftigen Attacken von Verbänden ausgesetzt sah, die sich um Bildung und Moral der Bevölkerung sorgten: Von Schundfilmen war da die Rede und von der angeblich verderblichen Wirkung auf die „unteren Schichten“.

Die Filmproduzenten reagierten, indem sie unter anderem mehr literarische Stoffe verfilmten und berühmte Thea­ter­schau­spie­le­r:in­nen unter Vertrag nahmen. Zugleich aber behielt man den Blick für das bei, was das Kino mit seiner damaligen Tricktechnik leisten konnte, um das Publikum in Erstaunen zu setzen.

Als besonders beliebt erwiesen sich in den folgenden Jahren deshalb Motive, die sich der romantische Schriftsteller E.T.A. Hoffmann (dessen Todestag sich im Juni zum 200. Mal jährt) für seine phantastischen Geschichten ausgedacht hatte: mysteriöse Doppelgänger, verkaufte Spiegelbilder und vermeintliche Automaten-Menschen.

Ein erster Höhepunkt dieser Art von Kino war der „Student von Prag“ (1913), der selbstverständlich auch in der Filmreihe „Hoffmannesk“ im Zeughauskino läuft (am 18. Juni), die den Spuren von E.T.A. Hoffmann in der Filmgeschichte nachgeht.

Eröffnet wird mit „Hoffmanns Erzählungen“, einem österreichischen Film aus dem Jahr 1923, in dem Regisseur Max Neufeld selbst als Hoffmann auftritt, der von seinen seltsamen Abenteuern mit dem Illusionisten Coppelius, dessen Zauberbrille und der Automatenfrau Olympia berichtet (24. 5., 20 Uhr, Zeughauskino).

Gottfried Böhm, Sohn eines Architekten, war selbst einer der bekanntesten Baumeister Deutschlands. Vor allem seine modernen Sakralbauten aus den 1950er- und 1960er-Jahren haben ihn auch international berühmt gemacht.

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Allerdings stand der 2021 im Alter von 101 Jahren verstorbene Böhm mit seinem Beruf in der Familie nicht allein da: Auch seine bereits 2012 verstorbene Frau Elisabeth sowie die drei Söhne Stephan, Peter und Paul waren und sind Architekten.

Der Filmemacher Maurizius Staerkle-Drux hat die Familie für seinen Film „Die Böhms – Architektur einer Familie“ (2014) zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet: Mit dem Tod der als zentraler Anker dienenden Elisabeth hat er einen einschneidenden Moment im Leben der Böhms festgehalten und geht auch den sich mit den Generationen zwangsläufig verändernden Architekturkonzepten nach.

Der Film läuft im Klick Kino in der Reihe „Architektur und Film“ und wird von den Innenarchitektinnen Inga Ganzer und Juliane Moldrzyk vorgestellt (19. 5., 20 Uhr, Klick Kino).

Gute drei Stunden widmet sich der Dokumentarfilm „National Gallery“ (2014) von Frederick Wiseman der berühmten Gemäldegalerie am Trafalgar Square in London, doch man sollte sich keinen falschen Erwartungen hingeben: Hier geht es nicht um Kunstgenuss, sondern wie fast immer bei Wiseman um die Funktionsweise einer Institution und um ihre – sich im Lauf der Geschichte auch verändernde – Stellung innerhalb der Gesellschaft.

Zwei Aspekte stellt der Regisseur dabei in den Mittelpunkt: die Kunstvermittlung gegenüber der Öffentlichkeit und das Spannungsfeld zwischen der wissenschaftlichen Arbeit eines Museums und dem notwendigen Marketing.

Und wie man sich am besten vermarktet und Geld eintreibt, das wird immer wichtiger, wenn gleichzeitig die öffentliche Hand stetig am Budget kürzt. Für Wiseman sind das Grundfragen einer demokratischen Gesellschaft (Im Rahmen der Retrospektive Frederick Wiseman, 24. 5., 19.30 Uhr, Arsenal 1).

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.