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Kindgerechte Ästhetik bei Waldorf?Waldorf schafft Wohlfühlräume, allerdings für Erwachsene

Schön ist es und es riecht auch gut: Wer in Waldorfeinrichtungen kommt, hat meist einen positiven Ersteindruck. Aber wer sorgt eigentlich dafür?

Malen nach Zahlen oder doch richtig kreativ? Aktivität beim Fest der Kulturen2019 in der Rudolf-Steiner-Schule in Witten Foto: Funke Foto Services/imago

W er Waldorfeinrichtungen betritt, ist meist angetan. Es ist ordentlich geputzt und jahreszeitlich mit Liebe zum Detail dekoriert. Die Abwesenheit von Digitalem und die hochwertigen Naturmaterialien suggerieren eine heimelige Parallelwelt zu maroden öffentlichen Einrichtungen mit vernachlässigten Außenbereichen, stinkenden Klos und kaputter Technik. Der Waldorfstandard ist zeitaufwendig, teuer und lässt glauben: Die Kinder, sind uns nicht egal.

Das fühlt sich beruhigend an. Wenn man allerdings der Frage nachgeht, wie Waldorfeinrichtungen das schaffen, wird es interessant. Denn wo kommen die benötigten Ressourcen her? Es ist die Pflicht zu unbezahlter Arbeit der ganzen Gemeinschaft.

Zum einen sind es schlicht viele Stunden Elternarbeit: putzen, Wände streichen, Holz- und Näharbeiten, aber auch Kuchen backen und Feste organisieren, um zusätzliches Geld einzunehmen. Gleiches gilt für die Schüler*innen: Ich habe geputzt, geschliffen, Büsche geschnitten, einen Teich angelegt, Lampen zum Verkauf gebastelt, nach jedem Auftritt Spenden eingesammelt …Wie viel Familienarbeit in die Gebäude und das Gelände fließt – damit wäre jede andere Schule auch schön. Aber welche Eltern können und wollen das in dem Umfang leisten? Und wofür bleibt diesen Familien dann keine Zeit? Wir waren an Wochenenden oft in der Schule, statt vielleicht ins Schwimmbad zu gehen, und wir haben deutlich mehr für die Schule gebacken als für uns selbst.

Aber auch Waldorfklassenlehrkräfte investieren bei oft deutlich geringerem Gehalt viel Zeit in die Selbstverwaltung der Schule, Unterricht ohne Schulbücher und ästhetische Gestaltung: mehr Konferenzen und Elternabende, Tafelbilder, Jahreszeitentische, einstudieren von Aufführungen (mit Bitte um Spenden im Anschluss), lange Textzeugnisse, jede Epoche inhaltlich vorbereiten, weil man sie nur alle acht Jahre unterrichtet …

Primat des Ästhetischen

Und wofür bleibt dann keine Zeit? Unterrichtsqualität? Die eigene Familie? Erholung? Individuelle Förderung von Kindern? Aber solange die Ästhetik stimmt, vermittelt sie Geborgenheit statt Ressourcenknappheit.

Das Primat des Ästhetischen galt auch für meine Epochenhefte. Wie viel Zeit ich damit verbracht habe, die Seiten zu gestalten: Rähmchen, Überschrift farbig, Text von der Tafel abschreiben, das Blatt einfärben (entweder mit dem Wachsblöckchen oder später mit dem „Spitzerdreck“ der Buntstifte). Über Jahre täglich. Und wofür blieb bei so viel Aufwand in der Gestaltung keine Zeit? Üben und lernen zum Beispiel.

Abgesehen davon ging es nie darum, was mir gefiel. Mich umgab eine Einheitsästhetik, die eigentlich durchgängig vorgegeben war. Und sind die Materialien, Formen und Farben überhaupt kindgerecht? Wo kommen Kinder und Jugendliche mit ihren ästhetischen Vorstellungen darin vor? Sowohl als Kohorte als auch als Individuen? Ich glaube, Waldorfeinrichtungen sind vor allem Räume, in denen sich Erwachsene wohlfühlen.

Ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft den Räumen, in denen Kinder einen Großteil ihres Lebens verbringen, mehr Gestaltungsfreiheit und Ressourcen zur Verfügung stellen – egal ob Kita, Schule, Sportverein, Musikschule, Jugendclub, Spielplatz oder Park. Alle Kinder und Jugendlichen sollten in Räumen aufwachsen, die ihnen sagen: Ihr seid uns wichtig.

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13 Kommentare

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  • Gewiss, man kann das Engagement in der Waldorfwelt als Last beklagen, als eine Währung aus Zeit und Mühe. Doch diese Rechnung verfehlt den eigentlichen Wert. Das gemeinsame Schaffen ist hier weniger Fron als Kultus: eine Verteidigung des Haptischen gegen die kalte, anonyme Dienstleistung; eine Investition von Lebenszeit, die Zugehörigkeit stiftet.

    Die kritisierte Ästhetik gerät so zum ästhetischen Asyl, zum Schutzwall vor der visuellen Verwahrlosung der Welt. Sie gängelt nicht den Blick, sondern schult ihn für das Beständige in einer flüchtigen, reizüberfluteten Zeit.

    So entsteht ein Raum, der nicht nur funktioniert, sondern beseelt ist. Der wahre Luxus, der hier erlebbar wird, ist kein materieller. Er wird nicht erkauft, sondern durch Hingabe verdient.

  • Wenn ich mir die Ästhetik unserer Grundschule so anschaue, wäre mir die helle liebevolle und gepflegte Einheitsästhetik Ihrer Waldorfschule aber tausendmal lieber, liebe Autorin. Bei uns herrscht ungepflegte dunkle lieblose 80er Jahre Mangelästhetik vor und alles schreit geradezu : sind doch nur Kinder, sollen sich nicht so anstellen, Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Wir Eltern würden ja vieles dafür geben , die Lernumgebung unserer Kinder ansprechend und lernfördernd zu gestalten, auch auf eigene Kosten und Zeit, aber das geht nicht, Versicherung und so, Sie verstehen. Ausserdem soll es scheinbar allen Kindern öffentlicher Schulen ungefähr gleich schlecht gehen. Wo kämen wir hin wenn gutbetuchte Eltern halt nur den Klassenraum der eigenen Kinder aufhübschen, während die Kinder ärmerer Eltern auch weiter nicht auf Besserung hoffe dürfen. Gleichmacherei auch im Schlechten halt.

  • Hallo, erst einmal herzlichen Dank an die anderen Kommentatoren! Gute Kritiken.



    In jedem Elterninitiativ- Kreis, ob Kindergarten oder Schule, dürfen (nicht müssen!) sich Familien einbringen. Wie schön es war,in der Montessori Schule miteinander schaffen zu dürfen. Wie schön,als wir die Waldorfschule zum Sommerfest besuchen durften. Wie schön das Schulfest an der Grundschule um die Ecke war. Überall wo Eltern,Lehrer und SchülerInnen sich begegnen dürfen und Gemeinschaftsgefühl entstehen darf,bin ich beschenkt worden. So wichtig heutzutage. Ich bin sehr dankbar dafür. Braucht meiner Familie mehr "Kernzeit" ? Na,dann machen wir natürlich etwas im inneren Kreise zusammen für ein Gespräch oder Ausflüge. Ist doch wohl selbstverständlich. Die Schule erlebe ich nicht als einen "Vampir " meiner Kräfte. Ich entscheide aus meiner persönlichen Freiheit heraus und bin verantwortlich für die mir anvertrauten Menschen, die wiederum aus ihrer Freiheit, jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten entscheiden. Einer wird im Frühjahr X Stunden "ackern ", einer hilft beim Kaffeetrinken, so halten wir das aus einer gemeinsamen Beziehung und Verantwortung im Rahmen der Bedürfnisse,Möglichkeiten und Aufgaben.

  • Ich versteh den Artikel ja gar nicht.



    Erst wird darüber geschimpft, dass so viel Zeit in das Gemeinschaftsprojekt Schule gesteckt werden muss- angesichts der vortschreitenden Vereinsamung und des sich ausbreitenden Gefühls, dass man so viel Sinnloses tut ist das vielleicht sogar gut.



    Dann kommt die egoistische Feststellung, dass für die Schule mehr gebacken wurde als für die Familie - Ist es nicht schön leckeren Kuchen mit mehreren zu essen und zu teilen, als in sich selber reinzustopfen? mir gehts so, dass ich geteilte freude als doppelte Freude empfinde.



    Wenn dann auch noch die Kinder erleben, dass sie nicht einfach an die Schule abgegeben werden, sonder sich die Eltern da auch noch angagieren so ist das doch eine große Wertschätzung.



    Zum Abschluss nach all der Kritik wird dann geschrieben, dass doch alle Kinder zugang zu so tollen Räumen haben sollen.



    Für mich ist diese Argumentation nicht nachvollziebar.

  • Abgesehen davon ging es nie darum, was mir gefiel. Mich umgab eine Einheitsästhetik, die eigentlich durchgängig vorgegeben war. Und sind die Materialien, Formen und Farben überhaupt kindgerecht? Wo kommen Kinder und Jugendliche mit ihren ästhetischen Vorstellungen darin vor?

    Wenn ich zur einer Wahl in die Schule am Ort gehe umgibt mich da die gleiche Einheitsästhetik wie in meiner Schule vor 50 Jahren, Metallwände, Sichtbeton, dunkler Teppichboden, auch der Geruch ist identisch. Als Schüler haben wir es den Bunker genannt. Ist das eher eine kindgerechte Ästhetik?

  • Endlich einmal ein guter und positiver Beitrag über die Philosophie der Waldorfschulen.



    Wer von den Schülern, Lehrern & Eltern fühlt sich nicht gerne Wohl in einer Schule ?



    Hier können sich öffentliche Schulen gute Inspirationen holen und mit Schülern und Eltern umsetzten, damit auch an ihren Schulen mehr Zusammenhalt und ein Wohlfühlgefühl entstehen kann.



    Dankeschön für diesen gelungenen Beitrag an die Verfasserin.

  • Ihr Trauma sitzt wohl tief. Auch in Regelschulen u. Privatschulen können sich nicht alle Kinder ihren Traum von Schule erfüllen. Arbeitseinsätze, Schuleputzen usw. sind nicht das Schlechteste an Pädagogik zumal diese Freiwillig sind. Warum das so in Regelschulen nicht praktiziert wird, bei den klammen Kassen, ist wohl dem Mindset der Kommunalpolitiker zuzuschreiben. Nach dem Krieg war das alles kein Thema, denn da mussten Schulen her und öffentliches Geld war auch keines da. Also wurde privat investiert, auch mit Muskelkraft. Das dies in W-Schulen u. Privatschulen auch heute noch praktiziert wird, ist an den Ergebnissen zu erkennen. Da hinkt der Vergleich wohl auch mit der Regelschule, an der eine Überlastung der Eltern vermieden wird und lieber desolate Schulbedingungen aufgrund mangelnder finanzieller Grundlage hingenommen werden. Die aber einer fehlerhaften Pädagogik der Waldorfschulen zu unterstellen hat nach meinem Empfinden wohl mehr mit ihrem persönlichem Trauma oder dem Versuch ein Artikelthema zu generieren, zu tun. Was gibt es besseres wenn sich eine Gemeinschaft gemeinsam gegen eine negative Entwicklung entgegenstellt und dabei pädagogisch positiv wirken kann?

  • Ich habe meinen Sohn an der städtischen Grundschule. Und auch bei uns gibt es ein Sommerfest, Adventsbasteln usw ich backe da natürlich auch immer etwas, ich übernehme Schichten beim Waffel verkaufen und bei den Bundesjugendspielen. Wir machen auch reinigungs Aktionen etc. Aber das ist nur ein Bruchteil von dem was meine Eltern bei mir damals an der Waldorfschule geleistet haben. Meine Mutter war in einem Basarkreis wo sie wöchentlich 4 Stunden war um Dinge zu produzieren (nähen, Stricken häkeln etc) und das ist jetzt nur ein Beispiel von extrem vielen Dingen die sie gemacht haben. Wie enorm viele Arbeit Stunden da in die Schule fließen. Denk mal wenn die Eltern diese Zeit in ihren Job oder in ihre Kinder stecken würden. Die hätten deutlich mehr Geld oder deutlich bessere Beziehungen zu ihren Kindern.

  • Ich glaube für viele Eltern ist auch genau das reizvoll. Ein Teil einer Gemeinschaft zu sein, der Gruppe zu helfen, gebraucht zu werden. Sie sind Idealisten und arbeiten gerne für eine "gute sache" das stiftet Sinn und gibt Identität. Genau daran fehlt es in unserer Gesellschaft den meisten Erwachsenen. Die Frage ist halt, kann man dieses Bedürfnis nicht auch an anderen Orten befriedigen? Muss es die Schule der Kinder sein? Das ganze führt dazu das die Gemeinschaft immer relevanter für einen wird und so abhängigkeiten enstehen. Man geht nicht mehr einfach so. Man lässt sich und seinen Kindern sachen gefallen. Übersieht Dinge absichtlich die schief laufen. Das ganze wird zu einer ungesunden Gruppe. Und wenn es dem eigenen Kind in der Schule schlecht geht sind die "exit" Kosten so hoch das man es gerne mal übersieht und sich schön redet. Man möchte ja die Gemeinschaft nicht verlieren.

  • Der Inhalt des Artikels und die enthaltene Kritik sind gut nachvollziehbar. Klingt, als wenn die Waldorfpädagogik etwas von einer elitären Sekte hat.



    Und die Affinität zu alternativ-medizinischen Therapien scheint hier durch den esoterischen Überbau auch anerzogen zu werden, damit den Homöopathen nie die Patienten ausgehen ...

    • @Christian Lange:

      Elitär vielleicht in dem Maße, in dem jede Privatschule irgendwie elitär ist.

      "Sekte" ist allerdings albern.



      Die Schüler sind genauso mit sich und den Anderen, mit Pubertät, Tiktok und Lernstress beschäftigt wie alle anderen Schüler auch.



      Und Lehrer und Eltern sind alles andere als eine eingeschworene Gemeinschaft. Es regiert die Vielfalt.

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    Die Moderation

  • Ich bin wahrlich kein Fan von Waldorf. Trotzdem prägen gemeinsame Arbeitseinsätze nicht unbedingt weniger als gemeinsame Freizeit. Zusätzlich entsteht dadurch im Idealfall auch eine Identifikation der Schülerinnen mit der Schule was den Lernprozess fördert und Vandalismus vorbeugt. Und außerdem ist es nicht schlecht wenn die Schülerinnen in einer Schule auch lernen zu putzen. Es gibt ja trotzdem noch professionelle Putzkräfte, ich persönlich finde es gut wenn Schülerinnen Sauberkeit nicht als etwas gegebenes betrachten. Kann sein, dass Waldorf hier ein bisschen übertreibt, Arbeitseinsätze in Maßen halte ich für eine gute Sache.