Kindesmissbrauch in Australien: Gottes rechter Feldmarschall
In Australien wird am Mittwoch das Strafmaß gegen George Pell wegen Missbrauchs verkündet. Der Kardinal bleibt für Rechte weiterhin ein Held.
In Australiens konservativen Medien, zur Mehrheit kontrolliert vom US-Medienmogul Rupert Murdoch, reißt die Kritik am Schuldspruch bis heute nicht ab. Eine Lawine von Vorwürfen donnert täglich auf die Geschworenen ein, auf das Gericht, ja das Justizsystem als Ganzes. An diesem Mittwoch soll das Strafmaß verkündet und um 10 Uhr Ortszeit live im Fernsehen übertragen werden. Pell drohen in fünf Anklagepunkten jeweils bis zu zehn Jahre Haft.
Der prominente Murdoch-Kommentator Andrew Bolt wetterte, Pell sei unschuldig und Opfer eines historischen Versagens des Systems. Ohne dem Prozess beigewohnt zu haben, behauptet er, Pell sei „aufgrund von Vorurteilen verurteilt worden, nicht von Fakten“.
Mit dem Kurienkardinal und Ex-Finanzchef des Vatikans, ist der bisher ranghöchste Vertreter der katholischen Kirche wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden. 1996 habe sich der damalige Erzbischof im Anschluss an eine Messe in Melbournes Kathedrale an zwei 13-jährigen Chorknaben vergangen. Pell weist die Vorwürfe vehement zurück und hat Berufung eingelegt.
Rechts, erzkonservativ, sozial regressiv
Eine weitere Klage gegen ihn, im Ort Ballarat zwei Jungen in einem Schwimmbad belästigt zu haben, war von der Staatsanwaltschaft wegen mangelnder Beweise nicht verfolgt worden. Seit dem 27. Februar sitzt der Kardinal in Haft.
Am 7. März hat ein 50-Jähriger gegen den Geistlichen eine Zivilklage eingereicht. Pell habe sich im Schwimmbad eines kirchlichen Kinderheims an ihm vergangen. Dieser Vorwurf wird keinen Einfluss auf das Urteil oder das Strafmaß haben. Trotzdem dürfte er Australiens konservative Kräfte noch mehr in Rage bringen. Für die politisch und gesellschaftlich starke Rechte war und bleibt der Kardinal eine Art Feldmarschall, der im Namen Gottes und der Moral gegen progressive Strömungen in der Gesellschaft das Schwert führt.
Im Gegensatz zu Australiens anderen Geistlichen ließ Pell nie einen Zweifel daran, wo er politisch steht: streng rechts, erzkonservativ, sozial regressiv „Als Erzbischof pumpte er seine Energien in die Bekämpfung der Empfängnisverhütung, Genmanipulation, Scheidung und Abtreibung. Er baute seine Karriere damit auf, gegen Sex zu predigen“, sagt David Marr. Der bekannte australische Journalist verfolgt den Aufstieg von Pell seit Jahren und hat ein Buch über ihn geschrieben. „Er war immer dogmatisch“, schreibt Marr. „Universale Unschuld? Laut Pell ‚ein gefährlicher Mythos‘. Die Ursünde? ‚Lebendig und florierend‘. Künstliche Befruchtung? ‚Wir schaffen damit eine neue Generation von gestohlenen Kindern‘“, so Marr. „Er bleibt in seinen Aussagen einfach und brutal“, meint der Autor. „Unnachgiebigkeit“ habe Pell unter Konservativen „zu einer Berühmtheit gemacht“.
Pell habe den „Krieg gegen Sex und sexuelle Freiheit geführt, während er selber Kinder missbrauchte“, so Marr. Der Gottesmann sei „besonders brutal gegen Homosexuelle gewesen“. Homosexualität sei eine „größere Gefahr für die Gesundheit als Rauchen“, habe er behauptet. Als an der Kathedrale in Melbourne ein Kranz niedergelegt wurde für junge homosexuelle Studenten, die sich aus Scham vor der Verurteilung durch die Kirche das Leben genommen hatten, „war Pells Abscheu absolut“, meint Marr.
Gegen die gleichgeschlechtliche Ehe
Der Kardinal predigte mit donnernder Stimme gegen die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Gegen jahrelangen massiven Widerstand von Seiten konservativer Politiker – allen voran Tony Abbott – wurde sie in Australien nach einer Volksbefragung 2017 eingeführt.
Nicht nur suchten führende Konservative wie der Ex-Premier regelmäßig Pells Rat. Der Geistliche war als Mitglied der Organisation Institute of Public Affairs (IPA) jahrelang einer der Architekten konservativer Politik in Australien. Der Denkfabrik, die ihre Finanzquellen geheim hält, gehören nicht nur führende konservative Politiker an. Auch Murdoch ist Mitglied und andere Wirtschaftsleute. Eine IPA-Gönnerin ist die Kohle-Milliardärin Gina Rinehart, einst reichste Frau der Welt. Das IPA wird laut Beobachtern maßgeblich von der Rohstoff- und Kohleindustrie unterstützt.
Das Institut hat sich in den vergangenen Jahren vor allem einen Namen als Verbreiter von Klimaskepsis gemacht. Auch bei diesem ideologischen Feldzug nahm Pell eine führende Rolle ein. Der Geistliche ist ein virulenter Gegner jeglicher Maßnahmen gegen vom Menschen verursachten Klimawandel – eine wissenschaftliche Tatsache, die er bis heute kategorisch abstreitet. Schon 2011 warnte Pell als Ehrengast der britischen klimaskeptischen Organisation Global Warming Policy Foundation (GWPF) vor „der Moral, Haushalten und Familien Kosten aufzubürden, ganz besonders den Armen, im Namen der Rettung des Planeten und in der Hoffnung, den Anstieg globaler Temperaturen zu bremsen“.
Ein führender Klimaleugner
Damit sprach er führenden Klimaleugnern in Australien aus dem Herzen. Sie sahen sich moralisch legitimiert. Das hatte und hat bis heute Folgen für die Politik. Als Tony Abbott 2013 Premierminister wurde, schaffte er als erstes eine von der Vorgängerregierung eingesetzte CO2-Steuer ab. Seither steigen Australiens Emissionen wieder.
Pell hat bis heute Einfluss auf die Politik. Auch unter dem jetzigen Premier Scott Morrison wehrt sich die konservative Regierung – durchsetzt mit Pell-hörigen Klimaskeptikern – gegen Emissionskontrollen. Bei Papst Franziskus hingegen stieß der Kardinal mit seiner harten Position auf wenig Verständnis. Der Heilige Vater, der den Kampf gegen den Klimawandel als „wichtige moralische Verantwortung“ sieht und eine Wende von klimaschädigender Kohle hin zu erneuerbaren Energien fordert, warf den australischen Kurienkardinal im letzten Jahr kurzerhand aus der Gruppe der päpstlichen Klima-Berater.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier