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Kinder und freundlicher UmgangJetzt mal runterkommen

Da jaulen und nörgeln sie wieder. Dass es auch anders geht mit Kindern, verdanken wir ganz besonderen Menschen.

„Runterkommen, Kruse!“ Foto: blickwinkel/imago

E s funktioniert. Es funktioniert tatsächlich! So muss sich der Mensch gefühlt haben, der das Rad erfunden hat. Oder James Watt, als er die Dampfmaschine zum Laufen gebracht hat. Oder Alfred Nobel, als er das Dynamit zum ersten Mal knallen ließ. Oder Thomas Edison, als die Glühbirne leuchtete. Oder Konrad Zuse, als sein Computer 1+1 rechnete. Oder Franz Beckenbauer, als er allein mit seinem Charme und seiner Ausstrahlung (und später mit dem Maskottchen Goleo) die Fußball-WM nach Deutschland holte.

Yeah! Yeah! Yeah! Beckerfaust! Beckerfaust! Und nochmal: Beckerfaust!

Okay, runterkommen, Kruse! Ein paar Backpfeifen und dann: ganz tief ein- und ausatmen.

Am Samstag hatten wir zwei Kinder aus der Kita bei uns. Vom Morgen bis zum Abend. Zwei Kinder, die sonst nicht so lange bei uns sind. Was haben wir gemacht? Alle Errungenschaften der Arbeiterklasse über Bord geworfen und die Sechs-Tage-Woche wiedereingeführt. Wir haben einfach Kita gespielt. Am Wochenende.

Und: Alle Kinder machten mit. Sie aßen, sie lobten das Essen sogar (obwohl das noch nicht mal irgendwer gefordert hatte), sie blieben sitzen, bis alle aufgegessen hatten, sie gingen aufs Klo, sie wuschen sich die Hände, sie streckten sich sogar ihre nackten Hinterteile entgegen, damit der eine bei der anderen kontrollieren konnte, ob das Po-Abwischen erfolgreich war oder noch nachgearbeitet werden musste (das hatte nun wirklich niemand niemals, auf keinen Fall, ganz und gar nicht, weder hier noch sonst wo gefordert). Aber egal: Es funktionierte!

Die Kleinen haben Mittagsschlaf gemacht, die Großen derweil woanders (ein bisschen leiser) gespielt, wir sind mit allen rausgegangen, niemand ging verloren, niemand blieb stehen, niemand jaulte, alle waren zufrieden, es war wunderbar.

Und deshalb hier mal ein großes Lob an alle Erzieherinnen und Erzieher – und ganz besonders an die aus unserer Kita (die man nicht Kita nennen darf, weil es ein Kinderladen ist): Eure Arbeit wirkt. Wie viel Rücksicht aufeinander genommen wurde, wie sich gegenseitig geholfen wurde, egal ob fünf oder vier oder zwei Jahre alt, groß, klein, schwach, stark – alle haben mitgemacht. Respekt! Die haben vernünftiges Zusammenleben besser verinnerlicht als 95 Prozent der Twitter-User.

Und dann, als alle gegangen waren, und die Eingangstür gerade zugefallen war, sagte ich zu Tochter zwei: „Das habt ihr toll gemacht, ich hab dich lieb.“ Sie: „Ja, okay, ich will Hörspiel hören, geh weg.“ Und sie machte sich was an, und Tochter eins jaulte daraufhin, sie wollte was anderes hören, Tochter zwei hatte aber die Hand auf dem iPad, da machte Tochter eins kurzerhand die Burg aus Duplo-Steinen kaputt, und da schrien beide.

So schnell hatten wir unseren normalen Samstag zurück. Und ich lag da und dachte, frei nach Charles Aznavour: An meinem Herzen, das ist schön, da lass dich gehen, da lass dich gehen.

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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