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Kevin Spacey im „Zeit-Magazin“Nach dem Canceln das Comeback

Wenn sie prominent sind, werden mutmaßliche MeToo-Täter schnell rehabilitiert. Das zeigt nicht nur ein aktuelles Interview mit Kevin Spacey.

Sieht sich auf der Ersatzbank: Schauspieler Kevin Spacey Foto: James Manning/dpa

K önnte nächsten Monat vielleicht schon das große Comeback-Interview mit Till Lindemann im Zeit-Magazin kommen? Schlagzeile: „Ich dachte, sie wollten es auch … Vielleicht hätte ich sie zuerst wecken sollen.“ Eine Journalistin könnte mit dem Popstar Gassi gehen, einen Kaffee to go in der Hand. Abends ginge man in eine verranzte Kneipe, in der jeder „den Till“ kennt und schätzt.

Natürlich würde man im Interview nicht über die Vorwürfe sexualisierter Gewalt sprechen, die eine ganze Reihe junger Frauen gegen Lindemann erheben. Man würde behaupten, das liege daran, dass das juristische Verfahren noch läuft, in Wahrheit ginge es darum, dass der Sänger nicht eingeschnappt ist und das Exklusivinterview kurzerhand abbricht, welches online natürlich auf Englisch übersetzt und bitte von allen internationalen Medien zitiert würde.

Lindemann dürfte sicher erzählen, wie schwer die Zeit war, nachdem sein Label bekannt gab, weniger Werbung für seine Platte zu machen, und eine Handvoll Leute sich tatsächlich mit Transpis vor dem ausverkauften Sta­dion­kon­zert trafen, um gegen den Rammstein-Auftritt zu protestieren. Erschütternd. Diese Cancel Culture zerstört doch jeden.

Das ist natürlich alles ausgedacht und rein hypothetisch, ich denke, die meisten Leser_innen verstehen den Zweck eines Konjunktivs. Es sei trotzdem noch mal erwähnt für poten­ziell mitlesende, übereifrige Anwaltskanzleien. Aber nur weil etwas ausgedacht ist, bedeutet das nicht, dass alles daran Humbug ist. Nachdem das Zeit-Magazin im vergangenen Monat ein so unkritisches Interview mit Quentin Tarantino druckte, als sei es 1996, legte das Lifestyleheft diese Woche nach, mit einem exklusiven Interview mit US-Schauspieler Kevin Spacey.

Genau, der Kevin Spacey, dem von mehreren Männern sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigung vorgeworfen werden. In zwei Prozessen wurde er freigesprochen, der dritte steht noch an, in London. Kann man machen, Spacey kurz vor dem wichtigen Prozess auf ein Käffchen zu treffen und das Cover dafür freizuräumen. Aber mit welchem Motiv? „Vielleicht hofft er, dass ein europäisches Medium wie das Zeit-Magazin weniger scharf über ihn berichtet, als es ein amerikanisches Medium tun würde“, mutmaßt der Text jedenfalls über das Motiv des Schauspielers, um dann genau das zu machen: Kuscheln – und zwar mit Ansage.

Am Ende haben alle was davon

Wie schnell mutmaßliche Täter von diesem Kaliber rehabilitiert werden können, zeigt diese Woche auch ein Auftritt von Filmstar Ezra Miller bei einer Filmpremiere in Hollywood. Miller wurde von mehreren Frauen Körperverletzung und Belästigung vorgeworfen. Außerdem steht Miller im Verdacht, eine Art Kult zu unterhalten und vorrangig junge Fans unter Drogen zu setzen.

Nach einem kurzen Rückzug aus der Öffentlichkeit erschien Miller nun zur Pre­miere des Actionfilms „The Flash“, in welchem er die Hauptrolle spielt. Warner Bros. gab an, das werde Millers einziger öffentlicher Auftritt im Zusammenhang mit dem Film bleiben – was einem ungelenken Eiertanz gleicht: Man will sich öffentlich irgendwie zu den Vorwürfen verhalten und gleichzeitig von dem Buzz profitieren, den solche Skandale immer mit sich bringen.

Und so ist auch am Zeit-Magazin-Interview mit Spacey interessant, dass der Schauspieler weder auf Unschuldslamm macht, noch irgendeine Art von Reue zeigt. Er sieht sich eher auf der Ersatzbank und gibt an, dass er – sobald er den Prozess gewinne – hochkarätige Rollenangebote bekommen werde von großen Namen, die seit Jahren mit ihm arbeiten wollten, aber sich nicht trauten, aus Angst davor, gecancelt zu werden.

Sicher hat Spacey Recht. Der große Cannes-Auftritt von Frauenschläger Johnny Depp etwa dürfte ihm Hoffnungen gemacht haben. Und das Comeback, das ihm der nun allseits zitierte Zeit-Magazin-Titel noch vor dem Prozess beschert, ist das perfekte Sprungbrett. Am Ende haben halt alle was davon.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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7 Kommentare

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  • Wenn eine Autorin, die ohne erkennbare ironische Brechung von der Rehabilitierung mutmaßlicher Täter schreibt, einschätzt, dass die meisten ihrer Leser_innen den Zweck eines Konjunktivs verstehen - begründet das nicht den Verdacht, dass die meisten ihrer Leser_innen den Zweck eines Konjunktivs nicht verstehen?

  • Kurz vor dem letzten Prozess sollten lieber alle mal den Ball flach halten. Aber was ist danach?



    Die Anzahl der Vorwürfe macht es schwierig an die Unschuld zu glauben, aber ohne offizielle Verurteilung ist das alles in einem Rechtsstaat nichts wert.



    So leid es mir für die vermeintlichen Opfer tut, aber einem Künstler Auftrittsverbot zu erteilen, obwohl niemand seine Schuld beweisen kann, ist unter allem, was richtig ist.



    Aber vielleicht ist es einfach an der Zeit, an unserem Starkult insgesamt zu arbeiten. Damit es möglich bleibt, Mensch und Werk auseinander zu halten.



    Damit es auch gar nicht erst zu solchen Vertuschungsaktionen kommt, weil der Produzent eines Films seine Investition verliert, weil ein Schauspieler Mist baut.



    In den meisten Branchen haben wir inzwischen ein deutlich gesünderes Miteinander. Aber in den Kreisen, in denen ein Name mehr wert ist als die geleistete Arbeit, kommt es immer wieder zu solchen Problemen.

    • @Herma Huhn:

      Da schließe ich mich an.

      MeToo hat auf jeden Fall eine große Berechtigung und ohne diese Bewegung wären etwa R. Kelly und Weinstein nicht im Knast.

      Aber wenn letztendlich keine juristische Schuld festgestellt werden kann, dann kann man nicht im Alleingang einer Art Sicherheitsverwahrung und ein Berufsverbot verhängen.

      • @Jim Hawkins:

        Hola & btw but not only - “die im Lichte …“ sann doch sonst nachdenklich

        Zitier mal Lovando -



        taz.de/Vorwuerfe-g...ammstein/!5938572/ : “Und da gilt keine Unschuldsvermutung mehr, dazu ist viel zu viel zu viel passiert.“



        Das aber. Ist doch genau die Frage.

        Weder Sie noch ich waren dabei! Woll.



        kurz - Wie hier im Floristenverein schon mehrfach dargelegt:

        #metoo& Co. Sind für mich -

        Und da bin ich mit Ruppert “Plotte“ von Plotznitz - exRAF-Anwalt exhess. JuMi & Claudia Burgsmüller - RAin-feministisches Urgestein* einig.

        - Moderner Pranger - •



        unterm——*

        O-Ton “Ich kann es meinen Geschlechtsgenossinen nicht ersparen:

        Meine Arbeit besteht heute zu einem großen Teil darin ihnen - Gang zur Polizei - Anzeigen etc. auszureden!

        Weil eben großteils die Geschichten vorn und hinten nicht stimmen!“

        Die ähnlichen Beobachtungen der hamburgischen StrafR-Richterin hab ich anderswo mal ausgebreitet.

        taz.de/5-Jahre-metoo/!5885447/ -



        Dort was länger.



        Die sozialen Verwerfungen - die Profis registrieren - lassen’s unbeeindruckt?!



        Mach Bosse.

      • @Jim Hawkins:

        Naja, was heißt Berufsverbot? Die prominenten Täter bleiben ja oft sehr, sehr wohlhabend und könnten auch in anderen Berufen arbeiten. Oder ihre Filme selbst produzieren. Regelt ja alles der Markt....

        Die Männernetzwerke sind halt angepisst weil sie nicht mehr so leicht ihre Opfer missbrauchen können.

      • @Jim Hawkins:

        Natürlich kann man Berufsverbot auch für Freigesprochene fördern, genauso wie man sonst was fördern kann... man muß halt aushalten können, daß man in einem Rechtsstaat davon nichts bekommt, sondern Post von Anwälten.

        • @Wurstprofessor:

          Btw zum closed Shop Hoodie.



          Sie können doch lesen - odr.



          Die Zivilbullerei ist aufgekippt - weil deren Hoodies dieser reaktioären Socken noch die Liegefalten aufwiesen!



          Vllt versuchens fürderhin mal mit Denken! Dank im Voraus! Gelle

          Ansonsten & schlägt der Arsch auch Falten. Wir bleiben stets die Alten.



          Dresscode is the goal - Get it? Fein.



          Ehra Falten sinn mir wumpe •