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Kernschmelze schlimmer als gedachtLeck in Fukushima, Reaktor 1

Nach der unerwartet hohen Strahlung in den Gebäuden kommt die nächste böse Überraschung: Die AKW-Gebäude und die Reaktoren in Fukushima sind mürber als bisher befürchtet.

Tepco-Vertreter Junichi Matsumoto findet in seinen Unterlagen immer mehr schlechte Nachrichten aus Fukushima. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Atomruine von Fukushima wird immer brüchiger. Gestern räumte die japanische Regierung zum ersten Mal ein, der Druckbehälter am Reaktor 1 sei undicht. Industrieminister Banri Kaieda erklärte vor Journalisten, das Wasser, das den inneren Reaktorkern kühle, entweiche durch eines oder mehrere Löcher.

Anfang der Woche waren Arbeiter im Reaktorgebäude 1 überrascht von der hohen Strahlung dort. Dann gab es eine zweite schlechte Nachricht: Anders als gedacht ist der Wasserstand im Reaktor so niedrig, dass die Brennelemente offenbar völlig frei liegen.

Auch die japanischen Behörden gehen deshalb nun offiziell von einer deutlich weiter fortgeschrittenen Kernschmelze aus als bislang gehofft. Weite Teile der Brennelemente seien als geschmolzener Kern herabgefallen und hätten sich am Boden des Druckbehälters gesammelt, hieß es. Allerdings bestehe wenig Gefahr, dass sich der Kern durch den Druckbehälter hindurchschmelze.

Leck eventuell auch in Dichtung der Kernumwälzschleife

Tepco und die Behörden müssen angesichts der neuen Erkenntnisse wieder einmal ihre Pläne umwerfen. Hidehiko Nishiyama von der Atomsicherheitsbehörde Nisa erklärte laut TV-Sender NHK, es habe wenig Sinn, die Sicherheitshülle von Reaktor 1 von außen mit Wasser zu fluten, wie es seit Wochen getan wird. Offenbar reiche relativ wenig Wasser im Druckbehälter zur Kühlung aus. Reaktorexperten aus Deutschland und den USA vermuten das Leck am Reaktor 1 dagegen woanders: nicht in einem Loch im Druckbehälter, sondern in einer defekten Dichtung an der "Kernumwälzschleife", die die Hitze aus dem Druckbehälter abführen soll.

Sorgen bereitet auch das Gebäude des Reaktors 4. Robert Jacobs vom "Hiroshima Peace Institute" befürchtet, die Struktur des Gebäudes könne schwer geschädigt sein, weil sich auf Fernsehbildern das Gebäude zur Seite neige.

Auch Tepco hatte bereits früher darauf hingewiesen, das Becken für die Brennelemente, das sich auf Höhe des fünften Stocks oberhalb des Reaktors befindet, müsse abgestützt werden. Das Becken ist mit 1.331 Brennelementen gefüllt, die erst seit Kurzem aus dem Reaktor entfernt wurden und noch sehr heiß sind und stark strahlen. Das Wasser in dem Becken, das ohnehin als beschädigt gilt, ist immer noch am Siedepunkt. Ein weiterer Schaden am Gebäude etwa durch ein Nachbeben könnte das Becken so beschädigen, dass massiv Wasser austritt, so die Befürchtung.

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8 Kommentare

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  • Q
    QuantumPlanton

    Ich bin froh, wenigstens in der TAZ regelmässig Berichte über Fukushima noch lesen zu können. In den Nachrichten hört man schon lange nichts mehr davon. Genau gesagt, seit die Einschaltquoten enorm gesunken sind, nachdem fast ausschließlich über Fukushima berichtet wurde. Da hat man sich dann wohl gesagt, dass man die berichterstattung am besten völlig einfriert. Sehr traurig! Danke, liebe TAZ!

  • G
    guteronkel

    Oh, da sieht er aber traurig aus der gute Mitarbeiter von Tepco. Mal ehrlich. Glauben die eigentlich wirklich den Unsinn, den sie uns immer noch erzählen? Schon bei der ersten Wasserstoffexplosion war doch klar, dass die Brennstäbe beschädigt sind. Jede neue Hiobsbotschaft wurde mit einem bemitleidenswerten dummen Geschau präsentiert, so dass man weinen mochte.

    Die Katastrophe ist noch nicht groß genug. Erst wenn die Japaner selbst anfangen zu überlegen, ob Atomkraft gut für die Zukunft der Erde ist, dann hat sich der Schaden vielleicht gelohnt. Hoffentlich kommt die Erkenntnis noch früh genug.

  • GA
    Gegen Atomkraft, aber Uranmunition verschießen!

    Schön dass die TAZ, welche in Libyen an vorderster Front mit dabei ist sich gegen die Atomenergie einsetzt und immer wieder davon berichtet. Dass aber in Libyen abgereichertes Uran mit einer Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren (nicht Millionen, Milliarden Jahre!) - als panzerbrechende Munition verschossen wird und die Erde damit praktisch für immer verseucht wird, darüber liest man hier nichts! Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie aus Falluja im Irak hat dort eine stärkere radioaktive Verseuchung als in Hiroshima oder Nagasaki ergeben. Die Folgen 6 Jahre nach dem Vernichtungsfeldzug der US-Armee gegen Falluja sind erschütternd. Die Krebsraten sind auf das 38-fache gestiegen, die Säuglingssterblichkeit stieg auf 80 Kinder pro 1000, davon die meisten Fälle durch schreckliche Mißbildungen, der Anteil der neugeborenen Mädchen ist wie in Hiroshima höher als die der Jungen - normal ist dies umgekehrt. Die genetischen Langzeitfolgen sind noch gar nicht abzusehen - die überlebenden Kinder werden ihre Erbschäden weitergeben und selber wieder deformierte Kinder zur Welt bringen. Die Explosion von Urangeschossen findet nach dem Durchdringen der Hülle im Inneren des Panzers statt, durch den Druckentwicklung wird in 90 % der Fälle der Panzerdeckel abgesprengt, danach breitet sich der Staub in Nano-Partikel unkontrolliert auch über den Wüstenstaub aus. Genau diese Bilder von abgesprengten Panzertürmen waren aktuell auch in Libyen zu sehen, obwohl die NATO wie immer den Einsatz dieser Waffen leugnet. Den Rebellen, welche auf den Panzern vor Freude getanzt haben, dürfte wohl bald ihre Freude vergehen, wenn sie beginnen am Golfkriegssyndrom zu leiden und sie nur noch verkrüppelte Kinder zeugen können. DU-(depleted uranium) Munition wurde außer im Irak auch noch in Ex-Jugoslawien und Afghanistan eingesetzt. Die Leukämieraten bei Kindern in Kabul sollen katastrophal sein. Aber das Thema wird von den westlichen Regierungen so lange totgeschwiegen, bis das Elend nicht mehr zu übersehen und die Verseuchung ganzer Landstriche unwiderbringlich vornangeschritten ist. Im Nordirak wo keine DU-Munition eingesetzt wurde, werden mittlerweile 8-fach erhöhte Strahlenwerte gemessen. Das Zeug ist gemeingefährlich und die Vertuschung ist skandalös!

  • L
    Lope

    Die Stümper waren also von den hohen Strahlungswerten überrascht - großartig, wie ihr den Mut aufbringt den Blindfischen überhaupt noch etwas glauben zu wollen.

    Wie wäre es mit einer etwas kritischeren Einstellung zu dem von TEPCO verbreiteten gesülze?

    Die Gefahren, die mit dem Fluten des Sicherheitsbehälters verbunden sind, sind weitaus größer einzuschätzen als in diesem Artikel dargestellt wird. Es könnte zu einer Explosion kommen, die den Sicherheitsbehälter komplett zerstört - Es geht immerhin um eine Kernschmelze. Nachzulesen in der Studie von Greenpeace (http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/atomkraft/Large_Report_engl.pdf).

    Die TAZ klingt mir seit zwei Monaten leider viel zu TEPCO freundlich.

    Für Euch lautet deshalb mein Rat: Hausaufgaben machen!

  • KH
    Karl Honegger

    Besten Dank an die taz für die regelmässige, detaillierte Berichterstattung zu Fukushima. Keine andere deutschsprachige Zeitung scheint fähig dazu zu sein. Für mich ein Grund, über ein Abo nachzudenken.

  • W
    woistmeinkommentargeblieben

    habt ihr euch die seite wenigstens angeschaut?

  • D
    dasendederweltistsonahwienochnie

    Vor 2 Tagen passiert und durch den FDP Parteitag überschattet:

     

    www.lucaswhitefieldhixson.com

     

     

    Livebilder aus ca. 1km Entfernung des Kraftwerks zeigen riesige Wolke über dem Kraftwerk, kurz bevor die Tepcokamera aufs offene Meer geschwenkt wurde.

  • H
    hto

    "Die AKW-Gebäude und die Reaktoren in Fukushima sind mürber als bisher erhofft."

     

    - ich sag's ja immer wieder: Hoffnung ist etwas für Glaubens- und Bewußtseinsschwache / für die Funktionalisierten von "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" auf stumpf- wie wahnsinniger Sündenbocksuche!

     

    1 (Tschernobyl) + 1 (Fukushima) = 0,5 (halbsoschlimm)?