Keine klimaneutrale Produktion: Ohne grünen Stahl müssen Stahlkocher zittern
Arcelormittal will seine deutschen Werke nun doch nicht auf ökologischere Produktion umrüsten. Eine Gefahr für die Branche – und tausende Mitarbeiter.

Nun herrscht Unruhe. In der Stahlindustrie. Bei den Mitarbeitern der deutschen Arcelormittal-Stahlwerke. Und bei denen, die sich über Deutschlands Klimaziele und den ökologischen Umbau der energieintensiven Stahlindustrie Sorgen machen. Die deutsche Dekarbonisierungsstrategie hat eine herbe Schlappe einstecken müssen: Die Flachstahlwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt werden nicht für die Produktion von grünem Stahl modernisiert, kündigte Arcelormittal am Donnerstag an. Grund: Die „politischen, energie- und marktbezogenen Rahmenentwicklungen haben sich nicht in die erhoffte Richtung entwickelt“, ließ der weltweit zweitgrößte Stahlkonzern verlautbaren.
Der auf dem Markt verfügbare grüne, also mit erneuerbaren Energien produzierte Wasserstoff sei wie der für die Produktion von Stahl ebenfalls notwendige Strom in Deutschland zu teuer. Deshalb will Arcelormittal Subventionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro von Bund und Ländern gar nicht erst in Anspruch nehmen.
Ursprünglich wollte der Konzern bis 2030 je einen Hochofen in Bremen und in Eisenhüttenstadt durch Elektrolichtbogenöfen und eine sogenannte Direktreduktionsanlage ersetzen. Dabei werden Erdgas oder Wasserstoff eingesetzt, um dem Eisenerz den Sauerstoff zu entziehen, nicht mehr Kohle und Koks wie in einem klassischen Hochofen. Die neuen Anlagen sollen perspektivisch mit „grünem“ Wasserstoff betrieben werden, sobald er preisgünstig und in ausreichender Menge zu haben ist.
Klimakiller Stahlproduktion
Bis zu 5,8 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid könnten so pro Jahr eingespart, 3,8 Millionen Tonnen CO2-reduzierter Stahl produziert werden. Das hätte enorme Auswirkungen auf die Emissionen vor Ort gehabt. Die Branche ist einer der größten Klimakiller: Das Stahlwerk in Bremen mit seinen 3.200 MitarbeiterInnen allein ist für rund die Hälfte der kompletten Treibhausgasemissionen des Bundeslandes verantwortlich.
Nicht nur ihre Jobs sind nun in Gefahr. Der Schritt ist auch ein herber Schlag für den klimaneutralen Umbau der Stahlindustrie in Deutschland insgesamt. Neben dem Arcelormittal-Projekt haben auch die Unternehmen Salzgitter, Thyssenkrupp und SHS (Stahl-Holding-Saar) Förderbescheide in Höhe von insgesamt rund 5,6 Milliarden Euro erhalten.
Die Umsetzung dieser Projekte laufe bereits, hieß es am Freitag aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Allerdings hatte auch Thyssenkrupp bereits an der Umsetzung seiner Pläne gezweifelt. Hintergrund ist hier allerdings auch der geplante Konzernumbau. Die Stahlsparte soll verkauft oder an die Börse gebracht werden. Thyssenkrupp hat bereits angekündigt, 11.000 Arbeitsplätze in dem Bereich abbauen zu wollen.
„Die Entscheidung ist ein riesiger Rückschlag für die deutschen Standorte von Arcelormittal“, sagt Rudolf Hickel, Bremer Ökonom und Stahlexperte, zur taz. Doch der Konzern mit Sitz in Luxemburg habe sich „nur“ gegen seine deutschen und für seine französischen Standorte entschieden, weil die Subventionen im Nachbarland höher seien, so Hickel.
Vor einem Monat hatte Arcelormittal angekündigt, 1,7 Milliarden Euro in eine klimaneutrale Produktion seiner Werke in Fos-sur-Mer und Dünkirchen zu stecken. Die Salzgitter AG betonte, weiter auf Grünstahl zu setzen. Die Absage von Arcelormittal sei jedoch ein „deutliches Signal dafür, dass die Rahmenbedingungen für Transformationsprojekte verbessert werden müssen“.
Nur die Rüstungsindustrie fordert mehr Stahl
Die Stahlkocher hierzulande haben heftige Probleme. Die Energiekosten sind hoch, die Nachfrage schwächelt insbesondere aus der Automobilbranche und aus dem Maschinenbau, nur die Rüstungsindustrie benötigt gerade mehr Stahl. Rüstungskonzerne wie Rheinmetall fordern heimische Produzenten bereits auf, mehr militärtaugliches Metall herzustellen.
Doch das dauert. Derweil ächzt die Branche unter Billiganbietern aus Fernost, vor allem aus China. Die Exporte in die USA gehen zurück, weil die Regierung sie mit hohen Zöllen belegt hat. Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte immer wieder die Bedeutung der Branche für Europa über den Klimaaspekt hinaus betont, um die gigantischen Subventionen zu rechtfertigen: „In Zeiten der geopolitischen Instabilitäten kann Deutschland es sich nicht erlauben, beim Ausgangspunkt tausender industrieller Wertschöpfungsketten abhängig von Drittstaaten zu werden“.
Branche mit CO2 kaum überlebensfähig
Dass emissionsintensiver Stahl aus Europa ohne Umstellung wettbewerbsfähig bleiben kann, ist kaum vorstellbar. Im europäischen Emissionshandel steigen die vereinbarten Preise für jede Tonne Treibhausgas in den kommenden Jahren kontinuierlich an. CO₂-belasteter Stahl wird sich auf Dauer nicht mehr am Markt platzieren lassen, prophezeien Fachleute.
Linken-Chefin Ines Schwerdtner sprach deshalb von einem „Alarmsignal für den Industriestandort Deutschland“. SPD-Fraktionsvize Armand Zorn betonte, es brauche eine langfristige Industriepolitik: „Denn es ist klar, dass sich die Dekarbonisierung für unsere Industrie auch ökonomisch rechnen muss.“ Die Politik könnte beispielsweise im Schienenbau eine Quote für grünen Stahl festlegen, um für stetige Nachfrage zu sorgen.
Die IG Metall forderte den inzwischen zum Kanzler gewählten Friedrich Merz auf, einen Stahl-Krisengipfel einzuberufen. Die für kommende Woche geplanten Betriebsversammlungen im Bremer Stahlwerk wurden abgesagt, stattdessen die Belegschaft zu einer Kundgebung aufgerufen.
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