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Keine Todesanzeige für NS-Opfer„Es stört die Trauer der anderen“

Auch Todesanzeigen können zensiert werden. Meine Ururoma kam in den Gaskammern der Nazis um. Echo Medien wollte davon nichts wissen.

In Bulgarien werden Todesanzeigen an Häuserwänden angebracht Foto: imago/Steffen Schellhorn

Wussten Sie, dass es ganze wissenschaftliche Abhandlungen zum Thema Todesanzeigen gibt? Todesanzeigen variieren, lernte ich, ganz nach Gedenkkultur. In Italien werden sie an Hauswände gehängt, in Deutschland stehen sie nüchtern in der Zeitung. Ich lernte auch, dass Todesanzeigen dazu dienen über die Todesumstände zu informieren. Erinnert wird an die verstorbene Tante Emma, die „selig entschlafen“, oder an Paul, der „viel zu früh“ gegangen sei – eine Klausel für einen Unfalltod oder eine Krankheit.

Auch die Person soll im Fokus stehen. Beruf, Charakter oder auch mal das größte Hobby werden ausformuliert. Selbst Runen oder der Verweis auf Zugehörigkeit zur Waffen-SS fanden sich schon in den schwarzen Kästen. „Durchgerutscht“, heißt es dann aus den Anzeigenabteilungen.

Traueranzeige für Apollonia Riebel Grafik: taz

Der Verweis „Von Nazis in der Gaskammer in Hadamar ermordet“ taugt jedoch nicht als Information. Das zumindest findet die Verlagsgruppe Echo Medien und hat ihn aus der heute erscheinenden Todesanzeige zum 75. Todestag meiner Ururgroßmutter Apollonia Riebel gestrichen. „Menschen voller Hass und Fanatismus grenzten aus, demütigten, quälten und ermordeten Millionen. Hass und Fanatismus und der Beifall vieler sind ungebrochen bis heute“, fiel ebenfalls der Zensur zum Opfer.

„Es stört die Trauer der anderen“, sagte man meiner Oma, die die Anzeige schaltete. Mir sagte man: „Auf den Seiten herrscht schon so viel Leid, das muss wirklich nicht sein.“ Trotz mehrfacher Nachfrage dürfen die Sätze heute nicht im Odenwälder, dem Groß-Gerauer und dem Ried-Echo stehen.

Auch in der Familie ein Tabu

Beim Pfingstessen wird die Zensur in der Familie besprochen, man ist aufgeregt. Genau über die Todesumstände informieren, genau die Täter deutlich machen, das wollte meine Oma. Sie, eine Alt-68erin, die erst in den 90er Jahren zufällig auf einem Weihnachtsmarkt vom gewaltsamen Tod ihrer Großmutter erfahren hatte, hat seither alle Dokumente über Apollonia Riebel zusammengetragen.

„Eigentlich seltsam“, seufzt Oma Elke. „Ich hatte eine ähnliche Anzeige in der Frankfurter Rundschau gesehen und das Ganze nur etwas umgeändert.“ Dann erzählt sie, dass in ihrem Elternhaus alles tabu war, was von 1933 bis 1945 geschah. „Alles. Auch was mit Apollonia passiert ist.“

Nicht nur in ihrer Familie wurde das Thema totgeschwiegen. Auch die offizielle Aufarbeitung der Geschichte der angeblichen Heilanstalt Hadamar nahm erst Ende der 70er Jahre Fahrt auf. Die Nachfolgeorganisation, der Landeswohlfahrtsverband Hessen, ließ die Patientenakten jahrelang unbeachtet.

Dabei wurden in Hadamar in nur acht Monaten mehr als 10.000 psychisch Kranke im Rahmen der Aktion T4 von Ärzten vergast. Später starben noch einmal rund 5.000 Menschen durch Medikamente, Verhungern oder Gift.

Der Brief an meine Familie von 1941 mit der Todesnachricht meiner Ururgroßmutter spricht von einer Blutvergiftung. Das Schreiben datiert den Tod auf Juni. Umgekommen ist sie aber, wie Oma Elke später herausfand, am 20. Mai – dem Tag ihrer Ankunft in Hadamar.

Warum und wie dies geschah, werden wir heute leider nicht in unserer Lokalzeitung lesen. Vielleicht, denke ich, hätten wir in die Todesanzeige Runen einfügen sollen.

Update 20.05., 15.20 Uhr: Die Verlagsgruppe Echo Medien hat reagiert. Die Abänderung der Anzeige sei der „Fehler eines einzelnen Mitarbeiters“. Im Schreiben bedauert der Verlag den Fehler und entschuldigt sich „insbesondere bei den Angehörigen der betroffenen Familie“.

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18 Kommentare

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  • Ich habe auch erst vor einigen Monaten erfahren, dass einer meiner Uropas 1942 in Auschwitz umkam. Leider habe ich noch nicht die Zeit gefunden, weiter nach Informationen zu suchen, aber ich werde das ganz sicher auch noch tun.

     

    Entsetzt bin ich allerdings, dass in den Familien - inkl. meiner eigenen - bis heute zu dieser Zeit und dem Thema anscheinend weiter beharrlich geschwiegen und auch gelogen wird/wurde. Wir leben in der Zeit fast 50 Jahre nach '68!

     

    Da liest man jahrelang Bücher zum Holocaust und von den überlebenden Nachfahren und auf einmal ist das Thema ganz nah, so unfassbar nah bei einem selbst...

  • Wenn deutsche Medien anfangen, die Verbrechen der Deutschen an den Juden klein zu reden und die Erinnerung daran zu unterdrücken, ist es eine Bürgerpflicht, das anzuprangern.

     

    In einer Zeit, in der Holocaustleugner und der besonders unter Migranten immer heftiger grassierende Judenhass immer mehr geduldet werden, sind das Erinnern an die Verbrechen der Nazis und die Bekämpfung der Intoleranz wichtiger denn je.

    • @Maike123:

      In diesem Fall geht es nicht um die Vernichtung der Juden unter dem Nazi-Regime! Auch andere Menschen fielen dem Rassen-"Hygiene"-Wahn der damaligen Zeit zum Opfer. In Hadamar wurden ca. 15.000 Menschen ermordet, die von den Gesundheitsämtern und Psychiatern u.a. als "Voll-Idiot", "Schwachsinnig", "Alkoholkrank", an Fallsucht leidend (heute Epilepsie), verwahrlost und/oder als asozial diagnostiziert - und damit als unwertes Leben und damit"volksschädigend" der Tötungsmaschinerie überlassen wurden. Damit die Angehörigen keinen Ärger machten, wurden sie durch "Trostbriefe" über den angeblich natürlichen Tod "informiert". Übrigens wurden die "LebensUnwerten" durch Zwangsmaßnahmen von Polizei und Ordnungsbehörden systematisch diesen Anstalten und damit ihrem Todesurteil übergeben. Auch nachzulesen unter http://www.inklusion-ist-ein-Menschenrecht.de

  • Der letzte Satz - eine Hommage an Godwin's law.

    Es war allerdings keine Todesanzeige und auch kein "In Memoriam", insofern tatsächlich unpassend für eine Anzeige unter der Rubrik "Familiennachrichten", sondern ein politisches Statement.

  • Bei Todesanzeigen geht ganz viel aber normalerweise nicht Politik.

    • 8G
      889 (Profil gelöscht)
      @Ansgar Reb:

      Meines Wissens wird Euthanasie noch nicht mal von der AfD gefordert - also wo sehen Sie da Politik?

      • @889 (Profil gelöscht):

        Anscheinend geht´s da doch um Politik:

         

        "Zwar sind die Mitarbeiter der Echo-Tageszeitungen in der Tat angewiesen, bei Familienanzeigen politische Aussagen, werbliche Aussagen sowie Logos mit politischen oder werblichen Inhalten nicht anzunehmen."

         

        ;)

  • Das ging soeben raus an die betreffende Redaktion:

     

    Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    wie heute der TAZ online zu entnehmen ist, wurde o.g. Anzeige in Ihren Provinzblättern Odenwälder, Groß-Gerauer und Ried-Echo nicht vollständig abgedruckt. Es wurde der Hinweis auf die Ermordung Riedels durch Nazis in der Gaskammer von Hadamar unterschlagen, dabei wurden offensichtlich fadenscheinige, ja zynische Gründe vorgeschoben: "Es stört die Trauer der anderen" / "Auf den Seiten herrscht schon so viel Leid, das muss wirklich nicht sein."

     

    Schämen Sie sich eigentlich nicht? Seit 1945 hat man aus gutem Grunde eine Erinnerungskultur aufgebaut: Weil Widerstand keine Selbstverständlichkeit ist und weil keine Generation von vorneweg gewappnet ist gegen Monstrositäten wie es das Dritte Reich war. Knicken Ihre Redakteure nur vor dem aktuellen Rechtsruck und dem Schuldkomplex jener Leute, die in ihrer Einfalt jede Warnung als Vorwurf auffassen, ein, oder gehören sie selbst diesem Spektrum an?

     

    Eine erbärmliche Leistung, bar jeglichen Geschichtsbewußtseins und unwürdig jedes sich unabhängig nennenden Journalisten.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      naja, und ist es nicht schlimm, dass Ärzte Menschen in Hadamar umgebracht wurden und danach wieder Praktizierten und ihre Erfahrungen, die sie in Hadamr gemacht hatten in ihrem neuen Umfeld weiterverarbeiteten !

      • @Georg Schmidt:

        Danke für die ergänzende Info. Ein Grund mehr, die warnende Erinnerung zu pflegen.

  • Erstaunlich, wie nahe bei Alina Leimbach die Worte "nüchtern" und "Zeitung" beieinanderstehen. Mir scheint sogar, die Verfasserin des Textes hätte allen Ernstes versucht, einen gewissen Sinnzusammenhang zwischen beidem herzustellen...!

     

    Nun ja, die Gedenkkulturen sind natürlich unterschiedlich. Zeitungen müssen ja nicht zwingend Orte der Rationalität sein. Wenn die Deutschen das so haben wollen, kann man darin natürlich auch emotional werden. Nur frage ich mich in dem Fall, wieso die Emotionalität der Eltern eines jugendlichen Unfallopfers, die Emotionalität trauernder Ehepartner im Rentenalter und die Emotionalität einer Tochter bzw. Urenkelin, deren Angehörige den Nazis zum Opfer gefallen ist, nicht in der selben Zeitung publik gemacht werden sollten.

     

    Was erhebt die eine Trauer über die andere, was disqualifiziert das eine Gefühl, das andere hingegen nicht? Der Umstand, dass es keine Krankheit und kein persönliches Fehlverhalten war, die zum Tod geführt haben, sondern eine allgemein-gesellschaftliche Idiotie? Vermutlich.

     

    "Menschen voller Hass und Fanatismus grenzten aus", das ist wohl war. Sie scheinen allerdings nicht die einzigen zu sein, die das tun. Mitunter genügt offenbar schon die Befürchtung, Andere könnten sich eventuell gestört fühlen – und woanders inserieren. Vielleicht erklärt ja genau das, wieso Hass, Fanatismus und der Beifall vieler dazu bis heute ungebrochen sind, wieso auch 2016, 75 Jahre nach dem Mord an Apollonia Riebel, tagtäglich Menschen von anderen gedemütigt, gequält und ermordet werden: Die Leute hoffen irgendwie, sie könnten unpolitisch sein, wenn sie unmenschlich reagieren.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Beschwerde bei der Redaktion ist abgeschickt.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Nur so am Rande: Die Redaktion ist bei Anzeigen der komplett falsche Ansprechpartner. Sollte man als taz-Leser wissen

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @Carl Hansen:

        Interessantweise hat sie dennoch geantwortet:

         

        " Wir haben es konkret mit dem Fehler eines einzelnen Mitarbeiters zu tun. Zwar sind die Mitarbeiter der Echo-Tageszeitungen in der Tat angewiesen, bei Familienanzeigen politische Aussagen, werbliche Aussagen sowie Logos mit politischen oder werblichen Inhalten nicht anzunehmen. Bei dem vorliegenden Anzeigenauftrag von Frau Jurischka-Leimbach wurde diese interne Richtlinie von einem unserer Mitarbeiter aber eindeutig falsch ausgelegt. Wir bedauern diese Entscheidung und werden sie intern aufarbeiten.

         

        Wir haben außerdem mittlerweile die Anzeige online ausgetauscht und werden sie morgen in den Echo Zeitungen abdrucken. Auch haben wir uns bei einem persönlichen Besuch bei den Angehörigen entschuldigt."

    • @849 (Profil gelöscht):

      Hm. Ihre "Beschwerde" wird nun aber ganz bestimmt ein Umdenken bewirken - oder?

      • @mowgli:

        Die Reaktionen der Leser*innen haben wohl doch was bewirkt.

         

        Siehe Ergänzung :-)

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        Was soll diese Frage? Warum schreiben Sie denn bei der TAZ ihre Leserbriefe? Weil sie sich selbst gerne lesen oder weil sie anderen etwas mitteilen wollen, worüber es sich ggf. nachzudenken lohnt?

      • @mowgli:

        Ihr Nichtstun mit Sicherheit nicht