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„Keine Privatsache mehr“

Angesichts mehrerer Gewaltverbrechen an Frauen ruft die Beratungsstelle Suana zu einer Mahnwache in Hannover auf. Sie fordert einen Ausbau der Hilfe und eine Ahndung der Taten

Zunehmend im Blick der Allgemeinheit: von häuslicher Gewalt betroffene Frauen Foto: Peter Steffen/dpa

Interview Friederike Gräff

taz: Mit der heutigen Mahnwache wollen Sie das Bewusstsein für häusliche Gewalt schärfen – wo fehlt es noch?

Suana: Zunächst einmal ist die Mahnwache den Frauen gewidmet, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind und in diesem Fall besonders der 35-Jährigen, die Mitte Juni in Hannover getötet worden ist. Es soll eine Solidaritätsbekundung sein, nachdem sich Tötungsdelikte hier im Raum Hannover gehäuft haben.

Es gibt Gruppierungen, die versuchen, die Morde, die Flüchtlinge begangen haben, populistisch zu instrumentalisieren. Haben Sie Angst, in deren Fahrwasser zu geraten?

Wir sprechen uns gegen jede politische Instrumentalisierung des Themas häusliche Gewalt aus. Wir sagen seit Jahrzehnten, dass Gewalttaten kein migrantenspezifisches Problem sind, sondern ein gesamtgesellschaftliches.

Laut Familienministerium sind Frauen mit Migrationshintergrund nicht ausschließlich, aber besonders häufig von häuslicher Gewalt betroffen.

Da wiederholen wir uns. Natürlich sind Frauen mit Migrations- und Fluchtherkunft betroffen, aber auch herkunftsdeutsche Frauen.

Wie erfahren Frauen von Ihrem Hilfsangebot?

Es gibt in Hannover eine Beratungs- und Interventionsstelle, der Polizeifälle häuslicher Gewalt in Familien mit Migrationshintergrund gemeldet werden. Sie gibt diese an uns weiter, dann nehmen wir proaktiv Kontakt mit den Frauen auf. Wir bieten diskret kostenlose und freiwillige Unterstützung an. Es gibt aber auch Schnittstellen wie Flüchtlingsberatung, Jobcenter oder Jugendämter und wir schulen innerhalb unserer Präventionsarbeit Multiplikatorinnen.

Wie viele der Frauen nehmen dieses proaktive Angebot an?

Wir schätzen, dass es 70 Prozent sind. Ein Drittel der Frauen, die zu uns kommen, sind aber Selbstmelderinnen ohne Kontakt zur Polizei.

Haben Sie die Kapazitäten, sich auch um die Kinder der Frauen zu kümmern?

Wenn wir feststellen, dass die Kinder die Gewalt miterleben oder sogar selbst Opfer werden oder aber die Mütter einen solchen Bedarf äußern, gibt es in Hannover gute Möglichkeiten, die Mütter und Kinder an das Jugendamt oder Kinderschutzeinrichtungen weiterzuleiten. Bei dem proaktiven Ansatz wird das Jugendamt ohnehin aktiv, wenn minderjährige Kinder im Haushalt sind.

Haben Sie auch die Männer bei Ihrer Arbeit im Blick?

Wir arbeiten mit dem Männerbüro zusammen – aber wir arbeiten parteilich für die Frauen. Wir sind aber kein Trennungsbüro, einige Frauen fragen durchaus nach Angeboten für ihre Männer.

Warum nennen Sie Ihre Namen nicht öffentlich?

Wir sind eine Fachberatungsstelle für häusliche Gewaltopfer, aber auch für Opfer von Zwangsverheiratung. Es gibt eine Absprache, unsere Namen nicht in den Vordergrund zu setzen, um uns damit auch zu schützen.

Suana berät seit 2001 – was hat sich seitdem verändert?

Die Fallzahl der Mitarbeiterinnen hat sich erhöht, auch der proaktive Ansatz ist neu. Gesamtgesellschaftlich gesehen hat die häusliche Gewalt nicht aufgehört, aber sie ist kein Tabuthema und keine Privatsache mehr.

Gibt es mehr Fälle häuslicher Gewalt oder eine höhere Bereitschaft, dagegen vorzugehen?

Durch das Gewaltschutzgesetz und durch Netzwerke hat sich die Anzeigebereitschaft erhöht. Und Behörden, Rechtsmedizin und Polizei sind so sensibilisiert, dass häusliche Gewaltvorfälle überhaupt erkannt werden. Das ist die Grundlage der höheren Fallzahlen. Auch die Zivilcourage der einzelnen hat sich erhöht, ich tue das blaue Auge meiner Arbeitskollegin nicht ab oder rufe die Polizei, wenn jemand seine Frau auf der Straße schlägt.

SUANA ist eine Beratungs- und Interventionsstelle für von häuslicher Gewalt betroffene Migrantinnen in Hannover. Sie ist Initiatorin einer Mahnwache, die heute um 18 Uhr am Weißekreuzplatz beginnt.

Was sind die größten Herausforderungen Ihrer Arbeit?

Leider die bestehenden Gesetze. Dabei denken wir an Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind und keinen eigenständigen Aufenthaltstitel haben. Diese Frauen, die zwecks Ehegattennachzug aus einem Drittstaat gekommen sind und einen dreijährigen Ehebestand vorweisen müssen, um einen eigenständigen Aufenthaltstitel zu bekommen. Das wird von vielen Männern als Machtmittel genutzt. Uns sind da die Hände gebunden.

Was wünschen Sie sich von der Gesamtgesellschaft?

Da haben wir einen ganzen Katalog. Neben dem eigenständigen Aufenthaltsrecht wünschen wir uns den flächendeckenden Ausbau von Schutz- und Unterstützungseinrichtungen. Und konsequente Strafverfolgung und Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen und Kindern.

Wo hapert es da?

Zum Beispiel bei Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz: Da muss die Frau mühselig die Verstöße dokumentieren, um vor Gericht etwas zu erreichen. Wir finden das Gewaltschutzgesetz super, aber wir kritisieren die Anwendung. Und wir fordern, dass die Antigewalttrainings nicht alle auf Freiwilligkeit beruhen.

Wie schauen Sie in die Zukunft?

Wir dürfen uns nichts vormachen: Es gab immer Gewalt gegen Frauen und leider wird es sie wohl immer geben. Aber wir wollen es fest ins Bildungssystem einbetten, am besten schon im Kindergarten, dass bestimmte Rollenzuschreibungen nicht erlernt werden. Natürlich kann ein Bildungssystem eine Sozialisation nicht wettmachen, aber es kann entgegenwirken.

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