Keine Medizin für Menschen ohne Papiere: Humanität ausgesetzt
Das Gesundheitsamt Bremen hat die „Humanitäre Sprechstunde“ geschlossen – ohne Ankündigung und ersatzlos. Papierlose sind auf die Hilfe angewiesen
Was genau sie neu konzipieren will, verrät die Behörde nicht. Ebenso wenig, ob die Sprechstunde nach dieser „Übergangsphase“ in gleichem Umfang wieder zugänglich sein wird. Behördenintern allerdings soll die Rede davon gewesen sein, dass die Sprechstunde „bis auf Weiteres“ geschlossen sei.
Die Humanitäre Sprechstunde hat das Gesundheitsamt seit 2009 in Zusammenarbeit mit der Inneren Mission für illegalisierte MigrantInnen angeboten, die keine Aufenthaltspapiere und keine Krankenversicherung haben. Parallel zu einer medizinischen Grundversorgung wurde ihnen eine rechtliche Beratung hinsichtlich ihres Status angeboten.
Die medizinische Sprechstunde fand zweimal wöchentlich durch eine Allgemeinmedizinerin und eine Gynäkologin statt, war anonym und kostenlos. Insbesondere viele illegalisierte schwangere Frauen hatten auf das Angebot zurückgegriffen. Wie andere Menschen, denen bei offiziellem Behördenkontakt womöglich eine Abschiebung droht, können auch sie keine Krankenversicherung über die Asylgesetzgebung in Anspruch nehmen – und waren auf das Angebot dringend angewiesen.
Sprechstunden waren voll ausgelastet
Grund für die Schließung ist offenbar Personalmangel. Die beiden Ärztinnen des Gesundheitsamtes untersuchen hauptsächlich neu ankommende Geflüchtete. Sie zweimal die Woche für die Sprechstunde abzustellen, sei wohl nicht mehr zu leisten gewesen, wie die taz erfuhr. Es seien Stellen in den Sofortprogrammen im Flüchtlingsbereich ausgelaufen, sodass die Kapazitäten der Ärztinnen bis auf Weiteres in der Erstversorgung für Geflüchtete gebunden seien.
Laut Flüchtlingsrat ist der Bedarf für die humanitäre Sprechstunde „immens“. Marc Millies vom Flüchtlingsrat sagt: „Dass jetzt sogar auf diese wenigen Stunden verzichtet wird, ist bestürzend. Der umgekehrte Schritt wäre wünschenswert. Es bräuchte einen Ausbau der personellen Ausstattung und Zugangsmöglichkeiten.“
Marc Millies, Flüchtlingsrat
Auch nach Informationen der taz war der Bedarf groß: Sowohl die Sprechstunde am Dienstag als auch am Donnerstag soll stets voll ausgelastet gewesen sein. Wenn donnerstags die Gynäkologin vor Ort war, hätten die PatientInnen sogar im Flur des Gesundheitsamtes gestanden, um auf ihre Behandlung zu warten – wohl auch zum Ärger einiger MitarbeiterInnen im Gesundheitsamt.
Als Ausweichmöglichkeit für Menschen ohne Papiere gibt es derzeit nur das Medinetz. Das ist eine durch Aktivisten organisierte medizinische Vermittlungs- und Beratungsstelle, in der ehrenamtliche ÄrztInnen akut Kranke an Praxen und Hebammen vermitteln, die die PatientInnen umsonst behandeln. Medikamente zahlen sie mit Spenden. Vera Bergmeyer, Ärztin der Medinetz-Sprechstunde, sagt: „Es ist schwierig, wenn die Humanitäre Sprechstunde ohne jegliche Vorwarnung geschlossen wird. Viele der dortigen PatientInnen brauchen verschreibungspflichtige Medikamente, die nicht einfach ausgesetzt werden dürfen.“
„Keiner kommt zur Vorsorge“
Eine Diabetikerin sei etwa zu Medinetz gekommen, weil ihr Insulin ablaufe und die Humanitäre Sprechstunde geschlossen sei. „Da kann man nicht einfach sagen: wir machen das in vier Wochen“, sagt Bergmeyer. „Die Leute gehen meistens mit akuten Problemen in die Humanitäre Sprechstunde. Viele Personen leiden unter Zahn- und anderen Schmerzen oder sind schwanger.“ Im Unterschied zur Durchschnittsbevölkerung kämen sie meist erst dann, wenn sie das Gefühl hätten, der Schmerz gehe von allein nicht mehr weg. „Hierher kommt keiner zur Vorsorge, oder um zur Sicherheit mal ein CT zu machen“, sagt Bergmeyer.
Die ÄrztInnen bei Medinetz wissen nicht, was nun auf sie zukommt. Bergmeyer hatte erst durch PatientInnen erfahren, dass die Humanitäre Sprechstunde geschlossen ist – eine Information aus dem Gesundheitsamt erhielt Medinetz genau so wenig wie die Betroffenen.
Auch der Flüchtlingsrat hat keine Infos zur Schließung bekommen: „Uns ist unklar, was der Plan dahinter ist“, sagt Millies. Die Humanitäre Sprechstunde sei als Teil des Gesamtpakets „Bremer Modell“ wichtig und erfolgreich gewesen.
Bremen gilt als Vorbild in Sachen medizinischer Versorgung von Geflüchteten und hatte etwa als erstes Bundesland eine Krankenkarte für Asylbewerber eingeführt, mit der bereits in den ersten Tagen und Wochen nach Asylantrag Arztbesuche unkompliziert möglich waren. Ausgeschlossen sind davon jedoch Menschen ohne Papiere. Auch diese Personen in der medizinischen Grundversorgung einzuschließen, gehört für Millies zum Menschenrecht auf Gesundheit. Deswegen sei es konsequent und richtig gewesen, die humanitäre Sprechstunde einzuführen. Denn, so Millies: „Die Zahl der Papierlosen ist unverändert.“
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