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Keine Barrierefreiheit bei StationsumbauSchönheit vor Nutzen

Der Bremer Senat will für den Umbau der Umstiegsstation Domsheide eine auseinandergezogene Variante – Barrierefreiheit und Effizienz sind zweitrangig.

Wie barrierefrei sollen Fahrgäste an der Domsheide in Bremen künftig umsteigen können? Senat und Behindertenverbände sind uneins Foto: Ralph Peters/imago

Bremen taz | Wuselig ist es an der Domsheide in Bremen. Je nach Schätzung steigen hier täglich zwischen 50.000 und 100.000 Menschen um, hoffen auf bremsende Autos, Fahrräder und Straßenbahnen, während sie von einem Haltestellenteilpunkt zum nächsten hechten.

Pläne für den Umbau der wichtigen Umsteigestation gibt es seit 2018. Attraktiver sollte das östliche Ende der City werden; vor allem aber auch sicherer und zugänglicher. Und: „Mit der Umgestaltung der Domsheide soll eine vollständige Barrierefreiheit an Haltestellenanlagen […] erreicht werden“, heißt es als eines der Muss-Ziele des Umbaus im Mai 2019.

Diese vollständige Barrierefreiheit ist ab 2022 durch das Personenbeförderungsgesetz des Bundes vorgeschrieben. In der Variante, die die Stadt umsetzen möchte, ist sie nun aber gar nicht gewährleistet, lautet die Kritik der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen (LAGS). Gemeinsam mit dem Verkehrswendebündnis „Einfach Einsteigen“ hat die LAGS eine Petition veröffentlicht, um das noch zu ändern.

Zwei Planungsvarianten kristallisierten sich 2019 als Favoriten heraus – die auseinandergezogene Variante 2.3 und die gebündelte Variante 5.1. Bei der ersten bleiben die Einstiegspunkte der beiden Gleistrassen so wie heute getrennt – allerdings sind sie noch etwas weiter auseinandergezogen als bisher. Bei der gebündelten Variante werden die zwei Haltepunkte an neuer Stelle vor dem Konzerthaus Glocke zusammengelegt.

Nicht besser, sondern schlechter

Die Petition rechnet vor, dass die auseinandergezogene Variante 2.3 durch den komplizierteren Umstieg zu längeren Fahrzeiten von bis zu zwölf Minuten führen könnte. Vor allem aber sei die Variante nicht barrierefrei. 910 Un­ter­stüt­ze­r*in­nen haben sich schon gefunden. Noch bis zum 1. März kann man unterschreiben.

Der Senat hat sich allerdings schon Anfang Februar für Variante 2.3 entschieden. Ein Problem sieht man in der Behörde damit nicht: Schließlich würden mit 2.3 „beide Teilhaltestellen der Domsheide barrierefrei zugänglich gemacht“. Gemeint ist, dass der Bahnsteig höher gelegt wird – Roll­stuhl­fah­re­nde müssen sich nicht mehr mit einem Lift in die Bahn heben lassen.

Barrierefreiheit werde damit aber nicht erreicht, kritisiert der ehemalige Landesbehindertenbeauftragte und 2. Vorsitzender des Vereins Selbstbestimmt Leben, Joachim Steinbrück. „Die Situation wird sogar schlechter als heute.“ Denn vollständige Barrierefreiheit, wie vom Gesetz vorgesehen, ist nur gegeben, wenn mobilitätseingeschränkte Personen den Nahverkehr „in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis“ nutzen können.

In der Planungsvariante 2.3 werden die beiden Teilstationen aber noch 50 Meter weiter ausein­andergezogen. „Eine fitte Fußgängerin kann dort vielleicht in ein, zwei Minuten umsteigen, ich als blinder Mensch werde das mit Sicherheit nicht schaffen“, kritisiert Steinbrück.

Konzerthaus sticht Barrierefreiheit

Mobilitätssenatorin Özlem Ünsal (SPD) sei bei einem Treffen überrascht gewesen über die Kritik der Behindertenverbände, erinnert sich Steinbrück. Dabei hatte ursprünglich auch die Verkehrsbehörde aufgrund der besseren Barrierefreiheit und der besseren Verkehrsbeziehungen den Plan 5.1 präferiert. Die damalige Senatorin Maike Schaefer (Grüne) verwarf Variante 2.3 vor drei Jahren bereits öffentlich.

Doch zwischen den Entscheidungen der Behörde liegt eine Wahl, ein Senatorinnenwechsel – und eine intensive Diskussion in der Stadt: Bei der gebündelten Variante 5.1 würde die Haltestelle für alle Linien in Höhe des Konzerthauses Glocke verlegt. Als das bekannt wurde, begann in den Leserbriefspalten der örtlichen Presse ein Ansturm der Glocke-Unterstützer*innen.

Der Blick auf das Konzerthaus würde gestört, so eines der Argumente, die sich nach und nach durchgesetzt haben. In der Senatsvorlage von Anfang Februar heißt es, man habe in der Abwägung „zugunsten der überragenden städtebaulichen Bedeutung der Domsheide“ entschieden.

Städtebaulicher Gestaltungswettbewerb gefordert

Das Ressort argumentiert auch mit den Anlieferverkehren von Lkws und Tourbussen für das Konzerthaus. Eine mögliche zentrale Haltestelle vor der Glocke wird außerdem mit dem zentralen Haltepunkt vor dem Bremer Hauptbahnhof verglichen. „Das will doch wirklich niemand“, so Pressesprecher René Möller.

Die Petition versucht diese Bedenken zu entkräften und wirbt für einen Gestaltungswettbewerb. So könne „eine gemeinsame Haltestellenanlage vor der Glocke“ sogar „als Tor zu dem Konzerthaus und zur Innenstadt ausgestaltet werden“, schreiben die Petent*innen.

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