Keine Barrierefreiheit bei Stationsumbau: Schönheit vor Nutzen
Der Bremer Senat will für den Umbau der Umstiegsstation Domsheide eine auseinandergezogene Variante – Barrierefreiheit und Effizienz sind zweitrangig.
Pläne für den Umbau der wichtigen Umsteigestation gibt es seit 2018. Attraktiver sollte das östliche Ende der City werden; vor allem aber auch sicherer und zugänglicher. Und: „Mit der Umgestaltung der Domsheide soll eine vollständige Barrierefreiheit an Haltestellenanlagen […] erreicht werden“, heißt es als eines der Muss-Ziele des Umbaus im Mai 2019.
Diese vollständige Barrierefreiheit ist ab 2022 durch das Personenbeförderungsgesetz des Bundes vorgeschrieben. In der Variante, die die Stadt umsetzen möchte, ist sie nun aber gar nicht gewährleistet, lautet die Kritik der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen (LAGS). Gemeinsam mit dem Verkehrswendebündnis „Einfach Einsteigen“ hat die LAGS eine Petition veröffentlicht, um das noch zu ändern.
Zwei Planungsvarianten kristallisierten sich 2019 als Favoriten heraus – die auseinandergezogene Variante 2.3 und die gebündelte Variante 5.1. Bei der ersten bleiben die Einstiegspunkte der beiden Gleistrassen so wie heute getrennt – allerdings sind sie noch etwas weiter auseinandergezogen als bisher. Bei der gebündelten Variante werden die zwei Haltepunkte an neuer Stelle vor dem Konzerthaus Glocke zusammengelegt.
Nicht besser, sondern schlechter
Die Petition rechnet vor, dass die auseinandergezogene Variante 2.3 durch den komplizierteren Umstieg zu längeren Fahrzeiten von bis zu zwölf Minuten führen könnte. Vor allem aber sei die Variante nicht barrierefrei. 910 Unterstützer*innen haben sich schon gefunden. Noch bis zum 1. März kann man unterschreiben.
Der Senat hat sich allerdings schon Anfang Februar für Variante 2.3 entschieden. Ein Problem sieht man in der Behörde damit nicht: Schließlich würden mit 2.3 „beide Teilhaltestellen der Domsheide barrierefrei zugänglich gemacht“. Gemeint ist, dass der Bahnsteig höher gelegt wird – Rollstuhlfahrende müssen sich nicht mehr mit einem Lift in die Bahn heben lassen.
Barrierefreiheit werde damit aber nicht erreicht, kritisiert der ehemalige Landesbehindertenbeauftragte und 2. Vorsitzender des Vereins Selbstbestimmt Leben, Joachim Steinbrück. „Die Situation wird sogar schlechter als heute.“ Denn vollständige Barrierefreiheit, wie vom Gesetz vorgesehen, ist nur gegeben, wenn mobilitätseingeschränkte Personen den Nahverkehr „in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis“ nutzen können.
In der Planungsvariante 2.3 werden die beiden Teilstationen aber noch 50 Meter weiter auseinandergezogen. „Eine fitte Fußgängerin kann dort vielleicht in ein, zwei Minuten umsteigen, ich als blinder Mensch werde das mit Sicherheit nicht schaffen“, kritisiert Steinbrück.
Konzerthaus sticht Barrierefreiheit
Mobilitätssenatorin Özlem Ünsal (SPD) sei bei einem Treffen überrascht gewesen über die Kritik der Behindertenverbände, erinnert sich Steinbrück. Dabei hatte ursprünglich auch die Verkehrsbehörde aufgrund der besseren Barrierefreiheit und der besseren Verkehrsbeziehungen den Plan 5.1 präferiert. Die damalige Senatorin Maike Schaefer (Grüne) verwarf Variante 2.3 vor drei Jahren bereits öffentlich.
Doch zwischen den Entscheidungen der Behörde liegt eine Wahl, ein Senatorinnenwechsel – und eine intensive Diskussion in der Stadt: Bei der gebündelten Variante 5.1 würde die Haltestelle für alle Linien in Höhe des Konzerthauses Glocke verlegt. Als das bekannt wurde, begann in den Leserbriefspalten der örtlichen Presse ein Ansturm der Glocke-Unterstützer*innen.
Der Blick auf das Konzerthaus würde gestört, so eines der Argumente, die sich nach und nach durchgesetzt haben. In der Senatsvorlage von Anfang Februar heißt es, man habe in der Abwägung „zugunsten der überragenden städtebaulichen Bedeutung der Domsheide“ entschieden.
Städtebaulicher Gestaltungswettbewerb gefordert
Das Ressort argumentiert auch mit den Anlieferverkehren von Lkws und Tourbussen für das Konzerthaus. Eine mögliche zentrale Haltestelle vor der Glocke wird außerdem mit dem zentralen Haltepunkt vor dem Bremer Hauptbahnhof verglichen. „Das will doch wirklich niemand“, so Pressesprecher René Möller.
Die Petition versucht diese Bedenken zu entkräften und wirbt für einen Gestaltungswettbewerb. So könne „eine gemeinsame Haltestellenanlage vor der Glocke“ sogar „als Tor zu dem Konzerthaus und zur Innenstadt ausgestaltet werden“, schreiben die Petent*innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!