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Kein Semra-Ertan-Platz in HamburgRückschlag für Gedenk-Initiative

Sie war Dichterin, Aktivistin – und beging aus Protest gegen Rassismus Suizid: In Hamburg verhindern CDU, SPD und FDP einen Platz für Semra Ertan.

Hatte vor dem selbst gewählten Tod auch ein Leben: Semra Ertan füttert 1974 Kieler Enten Foto: Lothar Viehöfer

Hamburg taz | Man könnte die Sache für einen Selbstgänger halten: Bestens terminiert, mit Blick auf den nahenden Weltfrauentag, hätte Hamburg, eben, eine Frau ehren können: eine Dichterin, Aktivistin, Repräsentantin jener nicht ganz kleinen Bevölkerungsgruppe, die wir lange – mal absichtsvoll distanzierend, mal schlicht bürokratisch zutreffend – „Gastarbeiter“ nennen.

Welche Frau? Semra Ertan, die sich im späten Mai 1982, an ihrem eigenen 25. Geburtstag, das Leben nahm – auf offener Straße: Da, wo sich im Stadtteil St. Pauli die Simon-von-Utrecht- und die Detlef-Bremer-Straße kreuzen, hatte Ertan sich mit Benzin übergossen und angezündet. Sie kam noch ins Krankenhaus, erlag aber ihren Verletzungen.

Das sei „ein letztes Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung“ gewesen, schreibt die Hamburger Initiative in Gedenken an Semra Ertan. Und dass die Dichterin zu Lebzeiten kein Gehör gefunden habe mit ihren Hinweisen auf Ausgrenzung und Diskriminierung. Als späte Ehrung soll, wenn es nach der Initiative geht, ein Platz oder eine Kreuzung nach Semra Ertan benannt werden.

Dafür kämpfen die Ak­ti­vis­t:in­nen seit längerem, dieser Tage nun ist das Anliegen seitens der verfassten Politik erst einmal gestoppt worden: Im „City-Ausschuss“ im Hamburger Bezirk Mitte stimmten CDU, SPD und FDP Mitte Februar gegen einen entsprechenden Antrag. Im Kern deshalb, weil eine Mehrheit des Gremiums befürchtete, die Ehrung einer Selbstmörderin könnte Nach­ah­me­r:in­nen motivieren.

Unterstützung im Stadtteil

Keine sonderlich attraktive Ecke hatte die Initiative ins Auge gefasst; nicht der tatsächliche Schauplatz von Ertans Selbstverbrennung, aber auch nicht weit weg davon gelegen. 300 An­woh­ne­r:in­nen und viele Gewerbetreibende hätten die Forderung unterstützt, so die Initiative, im Stadtteil einen Lern- und Erinnerungsort zu schaffen – gerade der Widerstand betroffener Anlieger stiftet ja häufig die Hauptargumente gegen solche Umbenennungen.

Ein neuer Name für eine Kreuzung wäre dabei überhaupt nur der Anfang gewesen, sagt ein Ini-Vertreter der taz. „Danach hätte es darum gehen sollen, wie so ein Gedenkort aussehen soll, wie also der Platz gemeinsam gestaltet wird.“ So passiere es derzeit in Kiel-Friedrichsort, wo Semra Ertan lange gelebt hat­te: Dort war es im Sommer vergangenen Jahres durchaus möglich, ihr einen Platz zu widmen – mit Unterstützung der lokalen Politik und Verwaltung.

„Als nächstes wird nun über dessen Gestaltung debattiert, sowohl was die Aufenthaltsqualität angeht, als auch wie ein würde- und wirkungsvoller Gedenkort aussieht“, so der Vertreter der Hamburger Initiative. Die Semra-Ertan-Freund:innen in Kiel und Hamburg kennen einander, stehen im Austausch.

Dass die Ham­bur­ge­r:in­nen „viel mehr Gegenwind aus der Politik auszuhalten“ hätten, war im Sommer 2023 die Einschätzung des Kieler Aktivisten Lothar Viehöfer, der Semra Ertan noch selbst kennengelernt hat.

Zu Lebzeiten kaum bekannt?

In Hamburg-Mitte nun beriefen sich einige Umbenennungs-Gegner:innen darauf, dass Ertan zu Lebzeiten kaum bekannt gewesen sei, wodurch eben ihr Suizid unangemessen viel Gewicht bekomme. Wenn aber nur ein einziger Mensch selbst zu so einem Schritt ermutigt würde, weil man ihr einen Platz gewidmet habe, „könnte ich das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren“: Das sagte am Dienstag der FDP-Bezirksabgeordnete Jimmy Blum der taz und klang dabei aufrichtig in seiner Sorge.

Dass man es sich nicht leicht gemacht habe mit der Entscheidung, so Blum weiter, lasse sich ja auch daran ablesen, dass sich der Ausschuss wiederholt mit dem Anliegen befasst hatte seit dem vergangenen September. Zudem habe der CDU-Fraktionschef, der Jurist Gunter Böttcher, sich eigens fachlichen Rat eingeholt über die Gefahr von Nachahmungstaten. Für die Gedenkinitiative freilich hatte sich das zeitweise eher wie eine Hinhaltetaktik angefühlt: Monatelang sei die Sache in interne Beratungen verschoben worden, „die weitere Besprechung immer wieder kurzfristig vertagt“.

Hilfe bei Suizidgedanken

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie da­rüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (☎ 08 00/11 1 0  111 oder 08 00/11 1 0  222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen

Er wolle sich nicht in Spekulationen über die Hintergründe ergehen, sagt indes der Vertreter der Hamburger Gedenk-Initiative, der die Suizid-Sorge der Be­zirks­po­li­ti­ke­r:in­nen gar nicht global beiseite schieben will: Man habe ja gerade deswegen einen benachbarten Ort zur Umbenennung vorgeschlagen.

Man wolle die Verschiebung des Fokus weg von Ertans Tod hin zur ganzen, facettenreichen Person. Aber es falle schon auf, „dass hier, gelinde gesagt, mit zweierlei Maß gemessen wird – ausgerechnet bei einer Frau, Migrantin, Aktivistin kann eine Platzbenennung nicht Ausgangspunkt für weitere Debatten sein?“

Zweierlei Ehren-Maß

Wie anders handhabe man es in der Stadt etwa mit Generälen oder auch kolonialen Eroberern: „Das ‚vielleicht Problematische‘ an deren Leben war nur eine Facette“, heiße es da, und dass man „den ganzen Menschen betrachten“ müsse. „Tja und bei Semra Ertan dann aber ausgerechnet nicht?“

Aufgeben werde man nicht, auch das sagt der Ini-Vertreter: Die Vorbereitungen zum jährlichen Gedenken für Semra Ertan, immer Ende Mai, liefen bereits. „Natürlich werden wir die geäußerte pauschale Kritik aufnehmen und unseren Antrag weiterentwickeln. St. Pauli wünscht sich einen Semra-Ertan-Platz“, sagt er. „Wie der aussehen kann, werden wir weiter gemeinsam mit unseren Un­ter­stüt­ze­r*in­nen diskutieren. Vielleicht nimmt die Bezirkspolitik das dann auch irgendwann mal als Unterstützerin statt als Blockiererin wahr.“

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3 Kommentare

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  • Das ist eine Hinhaltetaktik der Koalition aus SPD/CDU/FDP im Bezirk Hamburg Mitte. Man will einfach nicht. Ich erinnere mich daran, dass die Durchsetzung der Ehrung von Georg Elser ebenfalls ein Drama war. Das Argument der Nachahmung ist mir neu. Heute kannte auch kaum noch jemand Georg Elser und , da hätte ja auch die Gefahr der Nachahmung bestanden. Der eigentliche Grund, und der zieht sich durch Beschlüsse der Bezirksversammlung Hamburg Mitte , ist der, dass der Vorschlag nicht von der SPDCDUFDP kam und noch dazu aus einem Beirat der seit Jahrzehnten von der SPD nicht sehr geliebt wird.

  • Aber Straßen die nach nazis und Rassisten benannt sind bleiben

  • danke für diesen artikel.