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Katja Kipping über die Linkspartei„Das war's noch lange nicht“

Sie stellt sich zur Wiederwahl und will die Linkspartei zur stärksten linken Kraft machen. Dafür will Katja Kipping den Streit mit Sahra Wagenknecht beenden.

Stellt sich der Wiederwahl: Linken-Parteivorsitzende Katja Kipping Foto: reuters
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Frau Kipping, mit welchem Gefühl fahren Sie zum Parteitag – mit Nervosität oder Vorfreude?

Katja Kipping: Ich freue mich. Parteitage sind immer ein großes Happening, eine Zusammenkunft vieler toller Leute, mit denen man viele gemeinsame Kämpfe geführt hat.

Nervös sind Sie nicht?

Nein. Ich finde es eher gut, dass es auf diesem Parteitag zu einer inhaltlichen Klärung kommt. Die ist auch notwendig. Seit Schließung der Wahllokale gab es von einigen das massive Bestreben, dass die Linke ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik grundlegend verändert. Es tut Not, dass der Parteitag sich noch einmal damit auseinandersetzt und eine Entscheidung trifft. Und dann gibt es ja auch personelle Wahlen. Und darauf freue ich mich auch.

Es gibt gerade aus dem Kreis um Fraktionschefin Sahra Wagenknecht deutliche Kritik an Ihnen und dem Ko-Vorsitzenden Bernd Riexinger. Rechnen Sie dennoch mit Ihrer Wiederwahl?

Wir treten an, um die Linke weiter voranzubringen. Die Partei steht aktuell gut da. Wir sind gewachsen. Heute gilt: Wer jung ist und die Welt verändern will, für den ist die Linke die erste Adresse. Das ist ein Ergebnis unserer Arbeit. Und: Keine andere Partei verfügt über so viele erfahrende Mitglieder in Ostdeutschland. Wir wollen darauf weiter aufbauen und die Linke zur entscheidenden Kraft links der CDU machen.

Im Interview: Katja Kipping

40, führt die Linkspartei seit 2012 gemeinsam mit Bernd Riexinger.

Fraktionsvize Sevim Dagdelen wirft Ihnen und Riexinger vor, sie würden gegen Fraktionschefin Wagenknecht vorgehen anstatt zu integrieren. Wie sehr lähmen die persönlichen Auseinandersetzungen die Partei inzwischen?

Ich weise dieses Deutungsmuster entschieden zurück. Hinter den Kontroversen in der Sache steht eine Auseinandersetzung, die die Linke stellvertretend für die Gesellschaft führt. Es gibt in der Gesellschaft Modernisierungsskeptiker und -optimisten. Die einen fühlen sich überall zu Hause und haben das Gefühl, sie können überall arbeiten, die anderen fühlen sich inzwischen nirgendwo zu Hause und werden ungeschützt vom Neoliberalismus aussortiert. Die Linke gehört zu den Parteien, die beide gesellschaftliche Grundströmungen in sich hat. Beide Gruppen haben gemeinsame Interessen wie zum Beispiel bezahlbare Wohnungen zu finden. Aufgabe der Linken ist es, diese gemeinsamen Interessen in den Mittelpunkt zu stellen und beiden Gruppen dadurch ihre Stärke aufzuzeigen – das verstehe ich unter emanzipatorischer Klassenpolitik.

Zu Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben Sie also weiterhin ein aufgeschlossenes Arbeitsverhältnis?

Zu meinem Amtsverständnis gehört es, dass wir in Führungspositionen professionell miteinander umgehen, auch dann wenn man nicht in inniger privater Freundschaft verbunden ist. Und das praktiziere ich.

Sie wollen verbinden. Wieso hat man dann den Eindruck, die Linke verkämpft sich in Gegensätzen – im Streit um die Flüchtlingspolitik wollen Sie, dass der Parteitag eine Grundsatzentscheidung fällt.

Wir haben im Wahlprogramm eine klare Grundlage, von einigen gibt es daran Kritik. Es ist legitim den Kurs einer Partei in Frage zu stellen, aber am Ende wird es bei uns demokratisch auf dem Parteitag entschieden. Deshalb stellen wir unseren Kurs in der Flüchtlingspolitik noch einmal zur Abstimmung. Ich werde dann dem Votum folgen und denke, dass alle in Führungspositionen gut beraten sind, dem Parteitag diesen Respekt entgegen zu bringen.

Sie rechnen damit, dass Ihre Position „offene Grenzen“ durchkommt. Es gibt ja keinen Gegenantrag, der eine restriktivere Flüchtlingspolitik fordert.

Das finde ich verwunderlich. Wenn man monatelang öffentlich so grundlegend die Flüchtlingspolitik der Partei kritisiert, warum man dann nicht auf dem Parteitag eine inhaltliche Alternative zur Abstimmung stellt.

Wenn der Parteitag dem Leitantrag zustimmt – ist der Streit um die Flüchtlingspolitik in der Linken dann beigelegt?

Ich werde dafür werben zu sagen: Wir ziehen unter alle Auseinandersetzungen der Vergangenheit einen Strich. Das Vergangene ist vergangen. Wir haben gemeinsam um eine linke Zukunft zu kämpfen. Und wir haben eine gemeinsame Aufgabe und die lautet: gemeinsam mehr werden.

Wieso kann die Linke derzeit so wenig von den eigentlich guten Umständen – die SPD am Boden, linke Themen im Aufwind – profitieren?

Wir profitieren doch, aber natürlich noch längst nicht in dem Maße, wie wir könnten.

Sie sind bei 10 Prozent.

Wir wachsen in der Mitgliedschaft und haben uns gut bei 10 bis 11 Prozent stabilisiert.

Richten Sie sich auf diesem Niveau ein?

Nein, das war es noch lange nicht. Wenn nach dem Parteitag alle ihre Energie darauf konzentrieren, in der Öffentlichkeit über die Stärken unserer Partei zu sprechen, dann können wir die Linke größer und wirkungsmächtiger machen. Es gibt verschiedene Beispiele, die deutlich machen, dass wir auch zahlenmäßig mehr können. In Berlin sind wir stärkste Partei, in Thüringen stellen wir einen Ministerpräsidenten, der weit über die Landesgrenzen als Stimme des Ostens bekannt ist, in Bremen sind wir der SPD dicht auf den Fersen, in Frankfurt/Oder gibt es einen linken Ober-Bürgermeister, in Frankfurt/Main hat Janine Wissler ein großartiges Wahlergebnis erzielt, selbst in grünen Hochburgen.

Die Linke gewinnt in den Städten und verliert auf dem Land, welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?

Das stimmt nicht, denn Thüringen besteht nicht nur aus Städten. Auch in Sachsen-Anhalt liegen wir inzwischen wieder deutlich vor der AfD. Im ländlichen Raum gibt es ein besonderes Problem, dem muss man sich stellen. Dort beherrschen die Nazis viel stärker die Marktplätze. Und wenn man sich in Bautzen mit linken Jugendlichen unterhält, sagen die: Wer als bekannter Linker über den Platz geht, wird an guten Tagen angepöbelt, an schlechten Tagen angegriffen. Die Dominanz der Nazis ist ein echtes Problem, das auch gerade junge Linke in die Städte treibt.

Nazis gab es ja schon in den 90ern gerade im Osten. Trotzdem war der Osten damals eine Hochburg Ihrer Partei, die heute bröckelt.

Ich glaube für den Osten müssen wir Folgendes zusammenbringen. Eine widerständige Grundhaltung mit der klaren Ausstrahlung verbinden: Wir wollen anpacken und ganz pragmatisch was verändern. Bodo Ramelow steht für diesen Ansatz.

Mehr Ramelow in der Linkspartei?

Im Osten gilt auf jeden Fall: mehr Ramelow wagen.

Die Diskussion, wie ein Einwanderungskonzept aussehen kann, hat gerade begonnen. Wann wird sie denn geführt? Auf dem Parteitag ja nicht.

Deutschland ist Einwanderungsland: Wie aber sieht ein künftiges linkes Leitbild der Migration aus? Dazu wollen wir uns weiter verständigen.

In der Satzung heißt: „Kein Parteiamt soll länger als acht Jahre durch dasselbe Parteimitglied ausgeübt werden.“ Ist das Ihre letzte Kandidatur als Parteivorsitzende?

Ich trete jetzt an. Die nächsten zwei Jahre werden voller Arbeit sein und was danach kommt, entscheiden wir gemeinsam mit der Partei.

Auf dem Parteitag gibt es wieder einen Tanzabend?

Ja.

Gehen Sie hin, egal wie die Wahlen ausgehen?

Auf jeden Fall, ich habe schon die Tanzschuhe eingepackt.

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6 Kommentare

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  • Ich mag Katja Kipping als Mensch total aber als Parteifunktionärin ist sie mir zu sehr im gestern gefangen, so auf dem ideologischen Stand einer Schülersprecherin von 1995, und das merkt man bei vielen Themen.

     

    Offene Grenzen zieht keine Wähler an. Das funktioniert nicht.

  • So isses

     

    K.K. wartet nun auf die nächste Gelegenheit, um S.W. abzusägen. So funktioniert Polletick.

    Darum lautet die satirische Steigerungsform von Feind:

    Feind-Todfeind-Parteifreund!

    So isses... Ein kreisdrehendes Schaupiel der Wiederholung.

  • Die armen Mitglieder, mehr fällt mir zum gegenwärtigen Zustand der Linken nicht ein. Fehlt noch, daß man als Mitglied politisch getauft werden muß. Die Partei sieht sich von ihren Vorständen an die Wand gespielt. Irgendwo zwischen gewerkschaftlichem Instrumentalismus und abstruser politischer Indoktrination verliert sich die politische Debatte. Wieder einen Vorstand für den Medienzirkus gewählt, Ziel erreicht.

  • Offene Grenzen?

     

    1.Bei wohl den meisten Mieterinitiativen, Arbeitslosen -Initiativen, sozialen Organisationen, Bündnissen (wie beim Demo gegen die AfD) werden keine Flüchtlinge, Muslime, Ausländer und Migranten diskriminiert.

     

    2.Es muss jemand ganz linke Position vertreten, sonst gehen hier Wähler verloren. Jetzt nach rechts umzudenken bringt nichts, da neben der AfD viele anderen Parteien eine deutlich konservativere Haltung längst eingenommen haben.

     

    3.Es gibt sehr viele wahlberechtigte Migranten, deren Familien im Ausland leben. Diese Wählerschaft hat in den letzten Jahren auch für Wählerwanderungen gesorgt. Außerdem Äußerungen wie von Herrn Erdogan bringen viele Stammwähler vor eine erneute Entscheidung.

     

    4.Man kann das einfach umformulieren bzw. den Kritikern erklären. Die Partei öffnet ja die Grenzen nicht für Verbrecher. Gemeint ist die Tatsache, dass die Tür nach Deutschland nicht automatisch verschlossen ist und nahezu jeder Mensch hat die Chance.

     

    5.Jetzt Grenzen „schließen“? Die Position zwischen 2 Stühlen bringt meistens nur Verluste.

    https://www.onpulson.de/lexikon/stuck-in-the-middle/

     

    6.AfD Wähler mit diskriminierenden Einstellungen gegenüber Flüchtlingen und anderen Ausländern würden die Linkspartei nicht wählen, weil bspw. Herr Lafontaine nicht in deren Denkmuster passt. Derartiges kann den NPD und AfD Webseiten entnommen werden. Außerdem bekommt man viel mit, wenn man bei öffentlichen Veranstaltungen neben einem AfD Stand kurz stehen bleibt und gut zuhört.

  • Hat DIE LINKE überhaupt das Potential, um das Vorhaben von Frau Kipping umzusetzen?

     

    Eine der letzten Umfragen in Berlin brachte die Linkspartei auf den 1. Platz gefolgt von CDU, den Grünen und der SPD; wie die TAZ berichtete. Die Zusammenarbeit mit den Mieterinitiativen und Herbeiführung von neuen sozialen Lösungen durch Frau Katrin Lompscher haben der Partei und den protestierenden Mietern in Berlin viel eingebracht. Solche sozialen Lösungen brauchen Menschen auch z.B. in Hamburg oder Bremen.

     

    Die Linke kann durchaus die SPD auch Bundesweit überholen. In vielen Mieterinitiativen, Mieterbündnissen/Vernetzungen, in Arbeitslosen-Initiativen und selbst in Sozialberatungen gibt es viel Enttäuschung über die SPD. Menschen erwarten von einer Partei, die die Regierung bildet und die Soziale Gerechtigkeit zu einem der wichtigsten Werte erklärt, deutlich mehr – sowohl in der Breite der sozialen Vorhaben als auch in der Tiefe der umgesetzten sozialen Lösungen. Außerdem Agenda 2010 und die Mietenpolitik auf Bundesebene sind die Hauptkritikpunkte gegen die SPD.

     

    DIE LINKE hat sich ja am stärksten gegen die Agenda 2010 und deren negativen Folgen sowie für betroffene Menschen eingesetzt. Die Partei könnte eine lokal- und bundesweit vernetzte Arbeitslosenbewegung (mit)aufbauen, wie die Mieterbewegung in Berlin.

     

    Wo gibt es Handlungsbedarf?

     

    Die Zusammenarbeit mit der Presse. Ja, in Niedersachsen bspw. bekommt die Partei wohl am wenigsten die mediale Aufmerksamkeit. Auch von Arbeitslosen Initiativen und Vernetzungen ist kaum etwas zu lesen oder zu hören. Eigene Webseiten sind zwar ein muss, jedoch überhaupt nicht zielführend. Einer der Haupterfolge der Mieterinitiativen und Vernetzungen ist die Öffentlichkeitsarbeit. Es gibt so viele Skandale und Ungerechtigkeit bei HARTZ IV, das unter den Teppich gekehrt wird, das viele Befürworter von HARTZ IV von gar keinen ausgehen. Das muss geändert werden!

  • Einfach

     

    K. K. würde doch sowieso den Kürzeren ziehen! Und darum "beendet" sie nun großzügig den Streit mit S. W,

    Und so is Polletick!

    Ganz einfach...