Katholisches Altenheim in Hannover: Pfleger sprechen von Betrug
In Hannover soll ein katholisches Altenheim geschlossen werden, obwohl die Pfleger jahrelang auf Lohnerhöhungen verzichteten, um es zu retten.
Pro voller Stelle seien das 15.000 Euro. Der Betreiber Vinzenz-Verbund Hildesheim habe zugesichert, das gesparte Geld in die Zukunft des Pflegeheims zu investieren, sagt die Mitarbeiterin. Doch stattdessen hat der Vinzenz-Verbund nun vor, das Altenheim Ende September zu schließen.
„Die haben jetzt für nichts auf viel Geld verzichtet“, kritisiert der Gewerkschaftssekretär Thilo Jahn von Ver.di. Er unterstützt die Forderung der Altenpfleger, die einbehaltenen Entgelte zurückzubekommen.
Seit Jahren in der Kreide
In den Kirchen gilt im Arbeitsrecht der sogenannte dritte Weg. Löhne und Gehälter werden von einer arbeitsrechtlichen Kommission ausgehandelt.
Die Kommission ist mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt.
Streiks der Beschäftigten und Aussperrungen sind verboten.
Rechtliche Grundlage des dritten Weges ist das im Grundgesetz verankerte kirchliche Selbstbestimmungsrecht.
In einer Mitteilung des Betreibers vom Januar heißt es, das Haus schreibe „seit Jahren rote Zahlen“. Zwar habe man durch die Tarifabsenkungen Zeit gewonnen, aber ein „langfristig kostendeckender Betrieb“ sei nicht möglich. Grund sei „der hohe Sanierungsbedarf der mehr als hundert Jahre alten Immobilie“.
Das Haus im schicken Zooviertel von Hannover wurde bereits 1911 von der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul in Hildesheim erbaut, zu dem heute der Vinzenz-Verbund gehört. Seit 1948 ist es ein Altenheim.
„Wir geben unsere Einrichtung nicht leichtfertig auf“, sagt die Generaloberin der Vinzentinerinnen, Schwester M. Teresa Slaby. Über die Vorwürfe sei sie erschrocken. In den kommenden Jahren seien Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe nötig, um den Anforderungen an ein modernes Altenheim gerecht zu werden. „Das ist aus den Erlösen des Altenpflegebetriebs nicht refinanzierbar“, sagt Slaby. Und um die Lohnkürzungen zurückzuerstatten, fehlten „die finanziellen Mittel“.
Saniert wurde nichts
Die langjährige Mitarbeiterin des Heims ärgert das Sanierungs-Argument. Über Jahre habe es keinerlei Bauarbeiten am oder im Haus gegeben. „Und jetzt wollen sie uns weismachen, der Sanierungsstau sei nicht mehr zu beheben.“
Ein weiterer Kritikpunkt der Belegschaft ist der Zeitpunkt der Kündigungen. Die Vereinbarung, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Arbeitsrechtlichen Kommission (siehe Kasten) getroffen hatten, beinhaltete außer dem Lohnverzicht auch einen Kündigungsschutz, der allerdings zum 31. Dezember 2016 auslief. „Nur elf Tage später wurde die Mitarbeitervertretung über die bevorstehenden Kündigungen informiert“, sagt die Altenpflegerin.
Gewerkschaftssekretär Jahn kritisiert zudem die niedrig angesetzten Abfindungen. „Der Vinzenz-Verbund bietet nur ein Minimum“, sagt er. Als Richtwert stehe im Kündigungsschutzgesetz, dass Arbeitnehmern ein halber Monatslohn für jedes Jahr zustehe, das sie im Betrieb gearbeitet haben. Die Altenpfleger sollten aber nur 20 Prozent des Lohns bekommen, sagt Jahn. Der Ordensverband der Vinzentinerinnen äußert sich hierzu aufgrund laufender Sozialplanverhandlungen nicht.
Arbeitsbedingungen waren gut
Laut Jahn sei es für viele der Angestellten schwierig, einen Job mit ähnlichen Bedingungen zu finden. Denn im Gegensatz zu vielen privaten Betreibern habe der kirchliche Träger die Mitarbeiter nach Tarif bezahlt.
Die guten Arbeitsbedingungen seien auch der Grund gewesen, warum sich die Altenpfleger auf die Gehaltskürzungen eingelassen hätten, sagt die Mitarbeiterin. „Wir werden wohl alle neue Jobs finden“, sagt sie. Der Fachkräftemangel in der Pflegebranche ist groß. „Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen.“ Sie geht von Lohnunterschieden von bis zu 1.000 Euro aus.
Mit einer Unterschriftensammlung protestieren auch 120 Mitglieder der katholische St. Heinrich-Gemeinde, deren Kirche gegenüber des Heims steht, gegen die Schließung. Für die dementen oder bettlägerigen Bewohner sei ein Umzug nicht zumutbar, kritisiert Initiator Frank Janke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers