Katastrophenberichterstattung „Sandy“: Das eine tun, das andere nicht lassen
„Costa Concordia“ oder „Sandy“ sind spektakulärere Themen als tote Flüchtlinge. Gut ist das nicht, meint der Leiter des deutschen Programms bei Radio Vatikan.
taz: Herr Hagenkord, in vielen Kommentaren heißt es, der Wirbelsturm „Sandy“ sei das Gottesgeschenk für den wahlkämpfenden Präsidenten Barack Obama. Greift Gott so in irdische Geschehnisse ein?
Bernd Hagenkord: Nein, das tut er nicht. In meinen Augen ist es blasphemisch, Gott für oder gegen jemanden zu instrumentalisieren. Da muss man schon ziemlich zynisch sein, um so einen Gedanken ernsthaft zu erörtern.
Wenn man die Berichterstattung über „Sandy“ verfolgt, könnte man meinen, es gäbe so wie einen Gott nur ein einziges Wetter auf der Welt. Ist das so?
Es gibt nicht nur ein Wetter. Zuletzt hatte ich aber das Gefühl, ich würde in zwei Welten leben: Einerseits habe ich vor kurzem einen kleinen Bericht gemacht über drohende Unwetterkatastrophen am Horn von Afrika, folgend auf die schlimmste Dürrekatastrophe seit 60 Jahren. Und das Interesse für diese Tragödie war sehr begrenzt. Gleichzeitig kamen minütlich Updates über einen Sturm in den USA, von dem die Medien offensichtlich gar nicht genug bekommen können.
geboren 1968, studierte Geschichte und Journalistik in Gießen, Hamburg und München, Philosophie und Theologie in München und London. Er ist Jesuit und leitet seit 2009 die deutschsprachige Sektion von Radio Vatikan in Rom. blog.radiovatikan.de/
Muss man sich da als Journalist deprimiert zurücklehnen oder kann man neue Strategien entwickeln?
Es ist eine Frage der Balance. Natürlich sind die USA interessant. Sie sind uns vom Lebensstil nah, es gibt Kinofilme, die die Katastrophe vorweggenommen haben, Kameras, Neue Medien sind vor Ort reichlich verfügbar. Und ich will das Leiden der Menschen ganz bestimmt nicht herunterspielen. Aber in Somalia, Äthiopien, Kenia und Dschibuti hungern die Leute, und die wenigen Flächen, wo überhaupt noch Nahrungsmittel wachsen können, werden nun vom Regen weggespült. Und das muss eben auch eine Geschichte für die Medien sein.
Wie machen Sie denn das bei Radio Vatikan? Schicken Sie einen Sonderkorrespondenten?
Wir rufen Leute vor Ort an, von den dort präsenten katholischen und evangelischen Hilfsorganisationen, die uns dann weitervermitteln an Menschen, die uns erklären können, was geschieht.
Es gibt noch eine Weltgegend, wo das Ungleichgewicht in der Berichterstattung zum Dauerskandal geworden ist: die Todeszone Mittelmeer mit den Hunderten von Toten unter den Bootsflüchtlingen und der Havarie der „Costa Concordia“.
Und an der restriktiven Politik hat sich in Italien unter der Regierung Monti im Vergleich zu der von Berlusconi absolut nichts geändert.
Also bleibt es dabei: Ein westliches Menschenleben zählt ein Vielfaches von dem aller anderen Menschen auf der Welt?
Wenn die Menschen aufhören würden, die Geschichten von Kapitän Schettino zu lesen, dann würden die Medien sie auch nicht mehr bringen. Natürlich ist es schwierig, über die toten Flüchtlinge zu berichten, weil sich an der Situation nichts ändert. Die „Costa Concordia“ ist spektakulärer. Für das Publikum und wem es seine Aufmerksamkeit schenkt, kann man nur die Bibel zitieren: „Das eine tun und das andere nicht lassen“.
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