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Katastrophenberichterstattung „Sandy“Das eine tun, das andere nicht lassen

„Costa Concordia“ oder „Sandy“ sind spektakulärere Themen als tote Flüchtlinge. Gut ist das nicht, meint der Leiter des deutschen Programms bei Radio Vatikan.

Die Medien können von Sandy nicht genug bekommen: Live-Report aus New York. Bild: reuters
Ambros Waibel
Interview von Ambros Waibel

taz: Herr Hagenkord, in vielen Kommentaren heißt es, der Wirbelsturm „Sandy“ sei das Gottesgeschenk für den wahlkämpfenden Präsidenten Barack Obama. Greift Gott so in irdische Geschehnisse ein?

Bernd Hagenkord: Nein, das tut er nicht. In meinen Augen ist es blasphemisch, Gott für oder gegen jemanden zu instrumentalisieren. Da muss man schon ziemlich zynisch sein, um so einen Gedanken ernsthaft zu erörtern.

Wenn man die Berichterstattung über „Sandy“ verfolgt, könnte man meinen, es gäbe so wie einen Gott nur ein einziges Wetter auf der Welt. Ist das so?

Es gibt nicht nur ein Wetter. Zuletzt hatte ich aber das Gefühl, ich würde in zwei Welten leben: Einerseits habe ich vor kurzem einen kleinen Bericht gemacht über drohende Unwetterkatastrophen am Horn von Afrika, folgend auf die schlimmste Dürrekatastrophe seit 60 Jahren. Und das Interesse für diese Tragödie war sehr begrenzt. Gleichzeitig kamen minütlich Updates über einen Sturm in den USA, von dem die Medien offensichtlich gar nicht genug bekommen können.

Bernd Hagenkord

geboren 1968, studierte Geschichte und Journalistik in Gießen, Hamburg und München, Philosophie und Theologie in München und London. Er ist Jesuit und leitet seit 2009 die deutschsprachige Sektion von Radio Vatikan in Rom. blog.radiovatikan.de/

Muss man sich da als Journalist deprimiert zurücklehnen oder kann man neue Strategien entwickeln?

Es ist eine Frage der Balance. Natürlich sind die USA interessant. Sie sind uns vom Lebensstil nah, es gibt Kinofilme, die die Katastrophe vorweggenommen haben, Kameras, Neue Medien sind vor Ort reichlich verfügbar. Und ich will das Leiden der Menschen ganz bestimmt nicht herunterspielen. Aber in Somalia, Äthiopien, Kenia und Dschibuti hungern die Leute, und die wenigen Flächen, wo überhaupt noch Nahrungsmittel wachsen können, werden nun vom Regen weggespült. Und das muss eben auch eine Geschichte für die Medien sein.

Wie machen Sie denn das bei Radio Vatikan? Schicken Sie einen Sonderkorrespondenten?

Wir rufen Leute vor Ort an, von den dort präsenten katholischen und evangelischen Hilfsorganisationen, die uns dann weitervermitteln an Menschen, die uns erklären können, was geschieht.

Es gibt noch eine Weltgegend, wo das Ungleichgewicht in der Berichterstattung zum Dauerskandal geworden ist: die Todeszone Mittelmeer mit den Hunderten von Toten unter den Bootsflüchtlingen und der Havarie der „Costa Concordia“.

Und an der restriktiven Politik hat sich in Italien unter der Regierung Monti im Vergleich zu der von Berlusconi absolut nichts geändert.

Also bleibt es dabei: Ein westliches Menschenleben zählt ein Vielfaches von dem aller anderen Menschen auf der Welt?

Wenn die Menschen aufhören würden, die Geschichten von Kapitän Schettino zu lesen, dann würden die Medien sie auch nicht mehr bringen. Natürlich ist es schwierig, über die toten Flüchtlinge zu berichten, weil sich an der Situation nichts ändert. Die „Costa Concordia“ ist spektakulärer. Für das Publikum und wem es seine Aufmerksamkeit schenkt, kann man nur die Bibel zitieren: „Das eine tun und das andere nicht lassen“.

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4 Kommentare

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  • K
    KulturPfleger.de

    Schockiert bin ich über einen "LiveTicker" bei Stern Online, der ebenso kalt die Todesfälle der Unwetters tickert, wie der Kicker Tore beim Bundeligaspieltag.

  • DM
    dike marshall

    Die beschissene Hurrikanmedienabdeckung wird nur noch übertroffen werden von der ebenfalls völlig überbewerteten US-Präsidentenwahl.

     

    Ich nehme Anteil am Schicksal der betroffenen Leute, die ihre Angehörigen verloren haben und sage:

    Wir sind bei Euch.

     

    Ein guter Rat: Tretet euren nächsten Präsidenten, wer immer das sein mag, gewaltig in den Arsch und sagt ihm, dass er Deiche bauen lassen soll, bevor er den nächsten Krieg anfängt.

     

    Wie man den Fotos entnehmen kann, ist die US-Ostküste völlig ungeschützt. Kein Wunder also, dass das Meerwasser in der U-Bahn mitfährt und ganze Siedlungen überspült - auch wenn es spektakulär wirkt. Es ist der US-Regierung als historisches Versäumnis anzulasten, den Deichbau versäumt zu haben und die Wohnbevölkerung ungeschützt zum Spielball der aufgewühlten Naturgewalten werden zu lassen.

     

    Eine vorausschauende, menschenfreundliche Innenpolitik sieht anders aus.

     

    Der Westerwelle sollte dem Obama einen Marschenplan in die Hand drücken, wo drin steht, wie das geht mit dem Deichbau an der Küste. Kostet viel Geld, schützt viele Menschenleben und Investitionen nachhaltig, schafft viele Arbeitsplätze in den Küstenregionen. Gutes kann so einfach sein.

  • H
    harry

    wie interessant wäre sandy wohl, wenn gelichzeitig eine fussball weltmeisterschaft stattfände?

    die massenmedien sind zur verdummung der bürger bestimmt. auf diese weise wird eine art 'belesener analphabetismus' erzeugt, nicht weit entfernt von dem dummhalten der bevölkerung in den grossen staaten, wie iran, pakistan etc. das führt dazu, dass wichtige themen nur in isolierten bereichen behandelt und verhandelt werden. im prinzip ein biblisches problem. eine elite, die schriftgelehrten, halten den rest der gesellschaft dumm und sind somit die, die geschehen und informationen bewerten und beeinflussen.

  • TD
    The Dude

    Wer hätte gedacht, dass ich jemals mit einem Pfaffen so d'accord sein würde...?