piwik no script img

Katalanendemo in Brüssel45.000 appellieren an Europa

250 Busse, fünf Sonderflüge: Doppelt so viele Demonstranten wie erwartet folgten dem Katalanen-Aufruf und kamen nach Brüssel.

45.000 demonstrierten am Donnerstag in den Straßen der belgischen Hauptstadt Foto: reuters

Brüssel taz | Seit Beginn der Katalonien-Krise wiederholen die Verantwortlichen der EU in Brüssel ständig, dass es sich um eine „innere Angelegenheit“ Spaniens handele. Am Donnerstag haben Kataloniens Unabhängigkeitsbefürworter darauf eine unmissverständliche Antwort gegeben. 45.000 von ihnen demonstrierten in den Straßen der belgischen Hauptstadt, einer der größten Aufmärsche von Ausländern in der Geschichte der Stadt.

Niemand in Brüssel konnte sich dem Protest entziehen. Seit dem Morgen waren die U-Bahnen voll von gelbgekleideten Menschen, die die katalanische Nationalhymne sangen. Im EU-Viertel von Brüssel brach der Verkehr zusammen, weil die Demonstration doppelt so groß war als von den Organisatoren angekündigt: das katalanische Parlament ANC und der Kulturverband Òmnium Cultural, dessen Präsident Jordi Cuixart in Spanien inhaftiert ist.

Sie kamen in 250 Bussen und fünf gecharterten Sonderflügen nach Brüssel, wo die Hotels seit Wochen komplett ausgebucht waren; wer kein Zimmer mehr bekam, wich in Privatquartiere aus, bevorzugt bei flämischen Nationalisten. Pere, Bauer aus El Vendrell in der Provinz Tarragona, hat in seinem Kleinbus seine Freunde mitgebracht: Enric, pensionierter Bankangestellter aus Barcelona; Jaume, der Bäcker; Jordi, Bauunternehmer. „Wir werden Spanien verlassen“, tönt Enric: „Vor ein paar Monaten hätte ich das noch nicht gesagt. Aber es reicht.“ Jaume stimmt zu: „Man kann uns nicht aufhalten. Es ist unumkehrbar.“ Und neben ihnen sagt Carme, die mit ihrer Tochter mit dem Auto aus der Kleinstadt Les Borges Blanques angereist ist: „Wir wollten hier sein. Es ist ein historischer Moment.“

Die gemeinsame offizielle Demo-Parole lautet „Wach auf, Europa!“ (Desperta Europa). Marcel Mauri, Vizepräsident von Òmnium Cultural, erklärt, es gehe darum, „zu verurteilen, dass es im spanischen Staat politischen Gefangene gibt, und dass Rechte wie die Meinungsfreiheit, die zu den Grundprinzipien der Europäischen Union gehören, verletzt werden“.

Am 21. Dezember wird gewählt

Neben den offiziellen Parolen drücken sich viele Demonstranten direkter aus und es dominiert die Enttäuschung über die Haltung Europas. Auf einem Plakat küssen sich Jean-Claude Juncker und Mariano Rajoy zum Spruch: „Spanien gibt mir alles, also kehre ich Katalonien den Rücken zu“. Auf einem andren prangt ein Stück Scheiße inmitten der Sterne der EU-Flagge mit der Parole „Spanische Demokratie, eine innere Angelegenheit“. Oder es heißt einfach: „Schande auf Europa“.

Das Denkmal des Europa-Gründungsvaters Robert Schuman im Park, wo die Demonstration beginnt, ist mit katalanischen und baskischen Flaggen verhüllt. Es herrscht eine festliche Atmosphäre, man hört Trommeln und sieht menschliche Pyramiden, ein traditioneller katalanischer Sport.

Brüssel, 7. Dezember 2017 Foto: Francois Misser

Die Kundgebung findet nicht im luftleeren Raum statt. Am 21. Dezember wird in Katalonien gewählt, und den Demonstranten geht es auch darum, den abgesetzten Regionalpräsidenten Carles Puigdemont zu stärken. Der befindet sich unter den Demonstranten und wird bejubelt: Erst am Vortag hat die spanische Justiz ihren Europäischen Haftbefehl gegen ihn zurückgezogen.

Am Mittwochabend hat Puig­demont auf einer Pressekonferenz diesen spanischen Beschluss auf einer „Angst vor der Lächerlichkeit“ zurückgeführt – „oder sie waren sich nicht klar, wie dünn die Basis für ihre Anschuldigungen war“. Nach den Wahlen vom 21. Dezember will er nach Katalonien zurückkehren, sofern die Katalanen seine abgesetzte Regierung bestätigen und der spanische Staat das Wahlergebnis respektiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Rajoy wird auch das aussitzen. Es stimmt die ungerechte poltisch motivierte Finanzierung der Autonomieregionen trifft nicht nur Katalonien, die Comunidad de Valencia bekommt die gerinste Pro Kopf Zuwendung, weil ein Linksbündnis die korrupte PP um Frncisco Camps und der verblichenen Rita Barbera abgelöst hat und das müssen die im warsten Sinne des Wortes teuer bezahlen. Die katalonischen Unabhängigkeitsbefürworter wollen nur das sinkende Schiff verlassen, anstatt solidarisch mit den anderen gebeutelten Regionen gegen die Madrider Zentralregierung vorzugehen.

  • Versus: User-@"CV"-"DIMA"-"PFANNI"-"TINA" und Co.

     

    Für eine Demokratische Republik Katalonien! - eine gesellschaftspolitische Voraussetzung für ein demokratisch vereintes Europa der Regionen [ - und nicht der DAX-Konzerne, Finanz- und Monopolbourgeoisie und deren Lobbyisten in der CDU-SPD-FDP, in Paris, Madrid, Brüssel und Berlin].

     

    Für ein vereintes und demokratisches Europa der unabhängigen, freien und demokratischen Regionen. Einschließlich Osteuropas und der Russischen Föderation.

     

    Es ist eine Geiselnahme derjenigen die ausscheren wollen. Die heutige Europäische Union ist nicht die demokratische Union der Völker, sondern die regulierende Vereinigung der Kapitalinteressen der Wirtschafts-, Rohstoff-, Konzern-, Finanz-, Rüstungs-, NATO-, Dividenden- und Monopolinteressen -vor allem- Westeuropas.

     

    Ein Vereintes Europa der Völker kann es nur auf der demokratischen und freiwilligen Grundlage gemeinsamer sozialer, ökonomischer und ökologischer Gegenwarts- und Zukunftsinteressen geben. Das beinhaltet ein demokratisches Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln [Gemeineigentum: Grund und Boden, Rohstoffe und Bodenschätze, Luft und Wasser, Tier -Natur- und Pflanzenwelt].

     

    Die zentrale Aufgabe ist es, auf der Grundlage des Gemeineigentums, eine gleichberechtigte soziale, ökonomische und ökologische Kreislaufwirtschaft in Europa zu gestalten. Dafür muss man die kapitalistische und imperialistische NATO und Europäische Union der DAX-Konzerne und die persönlich leistungslose Verfügungsgewalt der Groß- und Erbschaftsvermögen der Multimillionäre und Milliardäre -demokratisch, freiheitlich, menschenrechtlich- überwinden und beseitigen.

     

    Noch Fragen?

  • Je weniger Argumente desto lauter das Geschrei. Die Katalanisten gefallen sich in der Rolle der Unterdrückten, Argumente für eine Loslösung von Spanien gibt es weiterhin nicht wirklich - außer einer leicht ungerechten Finanzierung, die im Übrigen alle Regionen im Lande betrifft. Außerdem ist ANC kein Parlament, sondern.eine Vereinigung von Unternehmern, die sich ein unabhängiges Katalonien wünschen und Aktionen und Demos finanzieren. Dass die PP eigentlich überholt ist, weiß jeder. Leider wächst nun mit dem Geschrei der Katalanen insgesamt der Nationalismus im Land. Die üblichen Manipulationen von Nationalisten. Märtyrertum. Und viel Emotion. Normalerweise verstecken sich meine lieben katalanischen Nachbarn zum Lachen oder Trauern im Keller. Ärgerlich all das.

  • Da könnten sich alle 7,2 Millionen Katalanen, noch ein paar Aktivisten und sonstige Unterstützer in die Straßen Brüssels stellen. Die EU wird dadurch nicht zuständiger.

  • In Katalonien gibt es offenbar genug reiche Leute, die mitten in der Woche von ihrer Arbeit fernbleiben können, um in Brüssel zur „Freude“ der dortigen Einwohner ein Chaos anzurichten, dem sich „niemand entziehen“ konnte. Und warum? Damit sie noch reicher werden können, wenn sie nicht mehr ihren Beitrag zur Unterstützung der ärmeren Landesteile Spaniens bezahlen müssen.

     

    Übrigens: Für solche Aktionen scheint ja Geld da zu sein. Wer hat es denn aus welcher Quelle bezahlt?

    • @Pfanni:

      Genau! Geiselnahme Europas für Kataloniens Interessen. Man kann die spanische Regierung auch anders zum Einlenken bringen. Hoffentlich zeigen die Wahlen bald, was Sache ist....

    • @Pfanni:

      Zu deiner Info… der 6. und der 8. Dezember sind Feiertage! Sie investieren also die Feiertage, um nach Brussel zu fahren. Und sie zahlen alles selber. Ein bisschen Respekt haben sie schon verdient!

      • @Patufeta:

        Och, Patufeta, Respekt ist beidseitig. Solche Schreihälse und Wichtigtuer müssen schon ein wenig Ironie und Kritik hinnehmen können. Die meinen es doch Ernst mit der Meinungsfreiheit, oder? Wenn man das Ganze ohne Ideologie betrachtet bleibt nur ein Kopfschütteln. Und ja, es gibt jede Menge Geld für so was bei den anderen "Patufets" (Schlümpfe/Däumlinge). Für soziale Angelegenheiten, politische Entscheidungen, Reformen, etc. sind auf katalanischer genau wie auf spanischer Ebene leider kein Geld und keine Zeit vorhanden. Die Anführer und die Gläubigen haben sonst tatsächlich nix zu tun.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Beeindruckend!

    Nix davon gehört in den offiziellen Nachrichten, danke für die Berichterstattung, TAZ!