Karstadt-Mitabeiter bangen: Schlaflos in Steglitz
Die Mitarbeiter des funkelnagelneuen Karstadt-Hauses an der Berliner Schloßstraße bangen um ihre Jobs. Die Anspannung ist spürbar.
Ellen Kannapin ist die Anspannung der vergangenen Tage anzusehen. Die Schminke vertuscht nur schlecht die Augenringe, die blonde Frau wirkt müde und geschafft. "Es bricht alles zusammen", sagt die Verkäuferin in der Drogerie-Abteilung bei Karstadt in der Schloßstraße. Seit 30 Jahren arbeitet Kannapin bei dem Unternehmen. "Das ist ein Leben, das wäre alles weg." Seit sich die Situation beim Karstadt-Mutterkonzern Arcandor zugespitzt hat, schläft sie kaum noch. Jeden Tag komme eine neue Hiobsbotschaft, jeden Tag neue Hoffnung.
Die Verkäuferin steht für viele Schicksale im gerade erst eröffneten Karstadt-Haus in Steglitz: Betriebszugehörigkeiten von 30 Jahren sind keine Seltenheit, und fast jeder fühlt sich dem Unternehmen und den Kollegen verbunden. "Wir arbeiten gern hier, wir waren so stolz, als das neue Haus aufgemacht hat", sagt die Betriebsratsvorsitzende Manuela Virgils. Am Montagvormittag haben sich knapp 100 Mitarbeiter zu einer Mahnwache vor dem Haupteingang an der Schloßstraße getroffen. Am Mittag erhält Virgils über Internet die Nachricht, dass es keine Staatsbürgschaft für Arcandor geben soll. Sie informiert die Beschäftigten, sie vereinbaren eine neue Mahnwache für den nächsten Morgen. Die Stimmung ist ruhig, aber gedrückt.
Viele setzten auf die Verhandlungen über einen Notkredit, sagt Virgils. "Wir wollen ja nicht gerettet werden, sondern eine Überbrückung, um unsere Verhandlungsposition zu stärken." Die 45 Jahre alte kräftige Frau hat die Sätze oft wiederholt in den letzten Tagen; erschöpft wirkt sie trotzdem nicht, eher trotzig und zugleich überlegt. Im Prinzip stehe sie seit Wochen unter Hochspannung. "Man hängt sich immer an einen Strohhalm, irgendwann bricht der dann weg." Und dann ist ein neuer vermeintlicher Rettungsanker in Sicht.
Etwa 3.600 Menschen arbeiten in Berlin bei der Karstadt Warenhaus GmbH, die Häuser liegen ausschließlich im Westteil der Stadt. Am Sonntagabend haben sich gut drei Dutzend Mitarbeiter vor dem KaDeWe zum Protest getroffen, die anderen Häuser von Spandau bis Neukölln ziehen am Montag nach. In Steglitz ist die Situation besonders prekär, eben weil dort erst Anfang April mit Pomp und Prominenz das neue Haus eröffnet wurde.
Tragisch wäre es schon, wenn das nun schließen müsste, sagt Niklas Martin vom Institut Borchert GeoInfo. Der Geograf befasst sich seit langem mit der Entwicklung des Berliner Einzelhandels. Einen Verlust für die Schloßstraße als Einkaufsmeile sieht er aber nicht. "Warenhäuser haben dort zwar eine etablierte Position, aber zugleich gibt es ein breites Angebot an Shoppingcentern und attraktiven Einzelunternehmen." Die Straße könnte mit einer Karstadt-Schließung umgehen, so Martin. Ohnehin sei die goldene Zeit der Warenhäuser vorbei - sie sprächen inzwischen vorwiegend ältere Kundschaft an, als sozialer Treffpunkt funktionierten Häuser wie Hertie, Kaufhof und Karstadt nur noch begrenzt. Mancher Passant sieht das wohl ähnlich. "Schlimm wäre ein Ende für die Beschäftigten", sagt eine ältere Frau, die an der Schloßstraße vorbeigeht. Persönlich sei ihr das Kaufhaus aber egal. Eine andere Steglitzerin sagt, so oft gehe sie gar nicht in das Kaufhaus.
Ellen Fischer hat jüngst auch andere Kommentare von Kunden gehört. "Manche werfen uns wirklich vor, dass wir noch in das neue Haus umgezogen sind", sagt die Enddreißigerin. "Als ob wir das entschieden hätten." Fischer arbeitet in der Glas- und Porzellanabteilung, ihre Lebensgefährtin ist ebenfalls im Haus tätig. Das Paar zahlt zudem den Kredit für eine Immobilie ab. "Wenn das hier dichtmacht, ehrlich, dann weiß ich nicht, wie es weitergeht", sagt die zierliche Frau. Ob die Mahnwachen helfen, weiß Fischer nicht. Der Belegschaft gäben sie aber ein gutes Gefühl - und verliehen die Illusion, von unten etwas bewirken zu können.
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