Karriereende von Turner Andreas Toba: Einer mit Haltung
Der große Turner Andreas Toba beendet seine Laufbahn. Er wird nicht nur als Sportler fehlen, sondern auch als selbstloser Teamplayer.
Ein so nahtloser Übergang eines Spitzensportlers ins weitere Berufsleben ist bislang kaum jemandem gelungen: Andreas Toba steht am Samstagnachmittag im Reckfinale bei der Turn-Europameisterschaft in Leipzig – und ab Sonntag, dem 1. Juni, ist er Landestrainer im Stützpunkt Hannover. Nach seiner gelungenen Übung im Qualifikationsdurchgang hatte der 34-Jährige die Fäuste geballt und wirkte für einen Moment überwältigt, bevor er das Podium verließ.
Sein Teamkollege Nils Dunkel, der ihn sogleich in die Arme schloss, brachte es auf den Punkt: „Ich freue mich so doll für ihn, dass er sein Karriereende auf dem Podium, am letzten Gerät, im Spotlight und hoffentlich in einer vollen Halle genießen kann. Das ist einfach Gänsehaut, jetzt schon.“ Andreas Toba sagte später: „Die Übung hat mir so viel bedeutet, hier zu Hause, ein besseres Gefühl hatte ich noch nicht.“
Andreas Toba ist 34 Jahre alt. Seit über 30 Jahren turnt er, seit 21 Jahren ist er im Bundeskader. „Es ist nicht zu viel gesagt, dass das eigentlich mein Leben ist“, so formulierte er selbst das Verhältnis zu seinem Sport im Vorfeld der EM. Dafür, dass es dieses Leben geworden ist, gibt es eine Art familiäre Vorbelastung: Vater Marius Toba nahm an drei Olympischen Spielen teil, 1988 für Rumänien, dann 1996 und 2000 für Deutschland. Sohn Andreas kam 1990 auf die Welt und bestritt seine ersten olympischen Spiele 2012 in London. Wenig später erklärte der Papa: „Ich bin nicht der Vater, der sagt: Du musst das erreichen, was ich erreicht habe. Im Gegenteil.“ Und schob dann mit einem Lachen hinterher: „Er soll eine Medaille gewinnen bei einer Weltmeisterschaft oder Olympischen Spielen, dann bin ich zufrieden.“
Toba hat tatsächlich als Einzelturner eine EM-Silbermedaille gewonnen, 2021 am Reck. Der familieninterne Wettstreit blieb für Toba Junior, der gut einen Kopf größer gewachsen ist als sein Vater, immer ein Antrieb. Nach seinen dritten Spielen in Tokio 2021 sagte er über die Anzahl seiner Olympiateilnahmen: „Da sind wir jetzt gleichgezogen, und das ist für mich sehr wichtig.“ Überholt hat er seinen Vater darin im vergangenen Jahr, als Andreas Toba auch in Paris wieder im Aufgebot des deutschen Teams stand.
Das Team im Mittelpunkt
Das Team hat für Andreas Toba immer im Mittelpunkt gestanden: Nie hat er bei wichtigen Wettkämpfen versäumt, seine Kollegen anzufeuern, sie in die Arme zu schließen, ihnen gut zuzusprechen. Als er sich bei der Weltmeisterschaft 2023 kurz vor der Beginn der Wettkämpfe das Kreuzband im Knie anriss und selbst nicht antreten konnte, reiste Andreas Toba nicht etwa nach Hause, um sich um schnellstmögliche Genesung zu kümmern.
Er blieb in Antwerpen, schmierte im Wettkampf für seine Teamkollegen die Holme und trug ihnen das Magnesiasäckchen in die richtige Ecke der Bodenfläche. Diese Haltung war es auch, aus der heraus er bei den Spielen 2016 – damals mit gerissenem Kreuzband – noch eine Pauschenpferdübung geturnt hatte, um dem Team zu helfen. Dass Andreas Toba deswegen zum „Hero de Janeiro“ ausgerufen wurde, hat er nie so ganz verstanden: Er fand sich überhaupt nicht heldenhaft.
„Körper genug angetan“
Problematisch waren nicht nur die Knie. Die Liste der Verletzungen, die Andreas Toba über die Jahre erlitten hat, betrifft alle erdenklichen Körperteile – ausgekugelte Finger, angerissene Kapseln in der Hüfte, gerissene Muskelbündel. Zuletzt wurde er im Januar an der Schulter operiert, danach zwickte der Rücken. Es sei eben auch der Moment, „so ein bisschen Vernunft“ an den Tag zu legen, hatte Toba mit Blick auf sein Karriereende vergangene Woche erklärt: „Ich habe meinem Körper genug angetan, und ich bin ihm auch wirklich dankbar. Und ich bin auch Gott dankbar dafür, dass er mir die Kraft gegeben hat, das alles zu überstehen.“
Mit dem neuen Cheftrainer Jens Milbradt hatte Andreas Toba vor über 20 Jahren seinen ersten internationalen Auftritt im Juniorenteam bestritten. Nun betreut dieser ihn – gemeinsam mit Heimtrainer Adrian Catanoiu – bei seinem letzten großen Auftritt. Er werde „als Mensch“ eine große Lücke im deutschen Team hinterlassen, sagte Milbradt über Toba. Und er hoffe, ihn als Trainerkollegen bald wiederzusehen.
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