piwik no script img

Karrierecoach über Macht und Sexismus„Regel Nummer 1 – nicht lächeln“

Peter Modler berät zahlreiche Frauen, denen Sexismus am Arbeitsplatz begegnet. Oft geht es dabei um Machtpositionen.

Diese Roboterfrau macht es schon ganz gut. Skeptischer Blick auf einer Pressekonferenz Foto: imago/ ZUMA Press
Heide Oestreich
Interview von Heide Oestreich

taz: Herr Modler, Sie coachen Frauen in Führungspositionen. Hören Sie oft von sexualisierten Angriffen, wie sie unter dem Stichwort MeToo beschrieben worden sind?

Peter Modler: Immer wieder. Es geht bei meinen Klientinnen in der Regel um Machtauseinandersetzungen, und die können natürlich sexuell maskiert sein. Gerade in Branchen, in denen das mittlere Management bisher männlich besetzt war, wird oft gegen das „neue Element“ opponiert, das eine Frau vermeintlich hineinbringt. Auf der Sachebene geht das meist nicht, weil viele dieser Frauen zu gut ausgebildet sind und sich sachlich zu wehren wissen. Also versucht man es auf anderen Ebenen: Was könnte diese Person empfindlich treffen? Sexismus oder sexualisierte Beleidigungen eignen sich besonders gut, weil die Frauen darauf nicht vorbereitet sind.

Gibt es ein typisches Beispiel, das immer wieder vorkommt?

Typisch ist, dass solche Männer sich bloß durchsetzen wollen, während die Frauen versuchen, auf der Sachebene zu bleiben. Die Soziolinguistin Deborah Tannen hat das „vertikale“ versus „horizontale“ Kommunikation genannt. Bei der vertikalen geht es zuerst um Macht: Rangordnungen und Revierfragen. Erst danach kommen die Inhalte. Bei der horizontalen dagegen geht es zuerst um Zugehörigkeit und um Inhalte. Das Problem ist nun, dass „vertikal“ denkende Menschen erst dann inhaltlich werden können, wenn die Machtfragen geklärt sind.

Und was wäre nun ein Beispiel?

Eine erfahrene Abteilungsleiterin hat aus dem Stand im Meeting eine brillante Analyse geliefert. Und dann sagt der jüngere Kollege: Wenn du noch ’nen Knopf mehr an der Bluse aufmachst, wird’s noch interessanter. 90 Prozent der Frauen sind nach so einem Angriff komplett gelähmt. Weil sie gedacht hatten: Ich sitze jetzt hier in einer professionellen Umgebung und dann kommt so was! Viele der Geschichten, die ich in meinen Workshops höre, liegen Jahre zurück. Die Frauen haben das aber nie vergessen, weil sie es als derartig verletzend empfunden haben.

Im Interview: Peter Modler

Peter Modler, 63, ist Unter­nehmensberater und coacht speziell Frauen in Führungs­positionen. Von ihm stammen zahlreiche Ratgeber wie „Die Manipulationsfalle“, „Das Arroganzprinzip“ und zuletzt „Die freundliche Feindin“ über weibliche Machtstrategien im Beruf.

Wie reagieren sie nach der Schockstarre?

Die meisten versuchen es zu überhören und irgendwie auf der Inhaltsebene weiterzumachen. Leider ist das völlig sinnlos. Denn alle anderen Vertikalen im Raum haben genau zugehört. Sie haben gesehen, dass die Frau hilflos war, dass ihr nichts eingefallen ist. Das heißt übersetzt: Sie hat den Machtkampf verloren und wird nun im Rang heruntergestuft.

Und was hätte sie auf der Machtebene tun sollen?

„High Talk“ hat dann keinen Sinn: Also etwa intellektuell argumentieren, wie wir es alle so schön in der Schule und auf der Uni gelernt haben. Sie müssen dann „Basic Talk“ anwenden: ganz einfache Botschaften, ganz langsam gesprochen, im Zweifelsfall wiederholen.

Was hätte sie sagen sollen, um nicht zu verlieren?

Das muss man für sich finden. Wir spielen diese Situationen in meinen Seminaren durch, bis die Aussage gefunden ist, die für die Frau passt. Ein paar Regeln: Nicht lächeln. Das hier ist nämlich kein horizontales Zugehörigkeitsspiel. Und sich eine Pause nehmen. Damit man nichts sagt, was man hinterher bereut. Aber mit dem Blick das Gegenüber fixieren, mit einem Pokerface. Und dann etwas ganz Einfaches sagen. In unserem konkreten Beispiel fiel der Frau nach viel Üben der Satz ein: „Wenn Sie was nichts angeht – Pause – lange Pause – noch längere Pause – dann ist das ein Knopf.“

Die Pause ist entscheidend?

Man sollte unbedingt externe Kräfte einschalten. Wer möchte schon in den Ruf geraten, jemanden bei der Personalabteilung angeschwärzt zu haben?

Ja. Im horizontalen System lässt man keine Pause entstehen. Da könnte ja die Zugehörigkeit unterbrochen sein, den Eindruck will man nicht erwecken. Aber im vertikalen System bedeutet eine Pause Macht. „Potent Silence“ sagt man im Amerikanischen. Das ist sehr wichtig, weil das Hirn der Angegriffenen meist auf Höchsttouren losrattert und gleich etwas produzieren will: Warum macht der das? Was hab ich dem getan? Was ist mit dem los? Was denken die anderen? Sie brauchen nur eines verstehen: Hier findet ein Angriff statt. Wie wehre ich den ab?

Sie meinen, so ein Angriff hat keinen besonderen Grund?

Es genügt, dass Sie neu in einer Führungsposition sind. Dann werden solche Versuche gemacht; oft vorhersehbar.

Auch wenn ich keine Fehler gemacht habe?

Sie werden eben getestet. Steht die zu ihrer Rolle? Beansprucht die den Rang zu Recht? Viele Leute stehen am Rand des Machtspiels und sagen: Wie unappetitlich. Wie blöd. Warum machen die das nicht anders? Aber wenn Sie drin sind, hilft Ihnen Ihre moralisierende Haltung gar nichts. Dann müssen Sie spielen.

In der MeToo-Debatte haben Frauen sexualisierte Angriffe öffentlich gemacht. Die Kritik an ihnen lautete: Wehr dich doch, anstatt das Internet vollzuweinen. Ist das auch Ihre Meinung?

Nein, keineswegs. Grundsätzlich sind solche Übergriffe natürlich schrecklich. Sie sind auch niemals im Interesse einer Firma, vollkommen kontraproduktiv. Ich finde es gut, dass mal klar gezeigt wird, wie häufig solche Szenen vorkommen. Das ist auch für die Frauen gut, denen nicht so klar ist, dass ihnen so ein Übergriff jederzeit begegnen kann. Aber die Debatte muss natürlich auch konstruktiv werden.

Inwiefern?

Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben sich auf das Auswalzen von Opferdetails kapriziert. Viele lesen das, ihr Angstlevel steigt und im schlimmsten Fall sind sie gelähmt oder gar retraumatisiert. Sie verlassen dann ihre Komfortzone erst recht nicht mehr. Dabei brauchen wir die Frauen in Führungspositionen dringend. Alle Studien zeigen, dass gemischte Teams, also Horizontale und Vertikale zusammen am besten arbeiten.

Wir reden nun über Kommunikationssysteme. Hat das Ganze mit einer Dominanz von Männern über Frauen, mit dem Patriarchat, für Sie nichts zu tun?

Doch, selbstverständlich. Allerdings ist der Anteil der Männer in Führungskreisen, die Frauen bewusst draußenhalten wollen, eher gering. Viele Männer sind einfach nur naiv. Sie machen ihr Rangspiel und sehen, dass die Frauen dabei verlieren. Sie übersetzen das mit: Die Frau bringt’s nicht. Das denken sie, weil sie keine Fremdsprachenkenntnisse in der Horizontalen haben. Man nennt das den doppelten Fluch der Inkompetenz: „Ich weiß was nicht. Und ich weiß nicht mal, dass ich es nicht weiß.“ Neulich erst war eine Anwältin aus einer großen Kanzlei bei mir, zwölf Männer und eine Frau. Sie wurde permanent fertiggemacht. Und die Kanzlei hatte ein sehr schönes Bekenntnis zum Thema Geschlechtergerechtigkeit auf ihrer Homepage.

Die haben sicher gedacht, sie hätten Pech gehabt mit der Frau, oder?

Ja, sie hatten ihre vertikale Testreihe gestartet: Füllt die ihre Führungsposition aus? Will die das wirklich? Und da ist der erste Sargnagel, dass man sie gleich ein paar Mal beim Reden unterbricht, wenn sie gerade eine Sitzung leitet – und sie das geschehen lässt. Sie denkt: Das geht doch nicht, wie ungehobelt. Und ist irritiert und verunsichert. Während ein Vertikaler denkt: Ich leite dieses Ding, ich bin der König – und mich unterbricht hier überhaupt keiner.

Wenn dieses Spiel mit dem Geschlecht eigentlich nur mittelbar etwas zu tun hat, dann wundert es auch nicht so sehr, dass wir in letzter Zeit von Fällen hörten, in denen auch Frauen Männer sexuell bedrängten und ausnutzten, die von ihnen abhängig waren, oder?

Ja. Eine Machtposition ist eine extrem hohe Herausforderung an die innere Verfassung eines Menschen. Dieser Verantwortung ist nicht jeder gewachsen. Und deshalb brauchen Sie als Institution Kontroll- und Schutzinstanzen. Das haben leider viel zu wenige. Was soll denn eine Mitarbeiterin machen, die von ihrem Chef sexuell erpresst wird? Im Moment kann sie zur Personalabteilung gehen. Der größte Teil dieser Abteilungen entblödet sich dann nicht, so etwas wie eine „klärende Aussprache“ zu versuchen. Da steht dann Aussage gegen Aussage. Es gibt eine Ermahnung. Und danach kann es sehr leicht geschehen, dass sich falsche Narrative und Gerüchte ausbreiten.

Was ist Ihr Vorschlag?

Man sollte unbedingt externe Kräfte einschalten. Wer möchte schon in den Ruf geraten, jemanden bei der Personalabteilung angeschwärzt zu haben? Mir als Externem erzählen die Opfer in der Regel sehr viel mehr. Die externe Stelle sollte eine anonyme Erhebung machen, um zu etwas objektiveren Aussagen zu kommen. Denn Menschen, die ihre Macht missbrauchen, tun dies meist nicht nur einmal. Wir haben solche Szenen dann in den Trainings anonym thematisiert und festgestellt, was in solchen Fällen zu tun ist.

Was konkret würden Sie als Chef tun, wenn eine Frau zu Ihnen kommt und sagt: Mein Vorgesetzter erpresst mich mit unerwünschter Annäherung?

Ich würde zuerst versuchen, den Hintergrund zu recherchieren. Ist der Mensch schon mal aufgefallen? Und dann würde ich mich mit dem hinsetzen und eine klassische vertikale Machtdemonstration durchführen. Rangbotschaften. Basic Talk. Keine Details. Ich würde ihm nur sagen, dass ich ihn jetzt unter Beobachtung habe. Und wenn ich nur das geringste Anzeichen von sexueller Erpressung mitbekomme, dann geht er.

Dann sagt Ihr Mitarbeiter: „Die lügt doch“. Und dann?

Dann sage ich: „Das mag sein. Aber ich beobachte Sie jetzt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Eine erfahrene Abteilungsleiterin hat aus dem Stand im Meeting eine brillante Analyse geliefert. Und dann sagt der jüngere Kollege: Wenn du noch ’nen Knopf mehr an der Bluse aufmachst, wird’s noch interessanter." An der Stelle empfiehlt sich auch Metakommunikation: "Wie, also so gut war mein Vortrag, dass du auf dieses schmierige Niveau zurückgreifen musst? Etwas anderes gibt es also nicht zu kritisieren? Danke für das Kompliment! Und jetzt möchte ich noch ein paar qualifizierte *inhaltliche* Anregungen." Und nie den Augenkontakt aufgeben! -- Bin Frau mit Männerberuf und habe das ausgetestet.

    • @miri:

      Das ist gut, dass das bei Ihnen funktioniert hat. Der Artikel hat außerdem noch eine andere wichtige, gar zentrale, Botschaft: Es gibt diese zwei zentralen Kommunikationsschemata, vertikal und horizontal. Und es ist für jeden, Mann und Frau, enorm wichtig sie zu erkennen und sich darin zu bewegen, um erfolgreich zu sein. Ein Mangel an Kompetenz in der vertikalen Kommunikation ist ein entscheidender Nachteil in hierarchischen Strukturen; Mangel an horizontaler Kommunikation in argumentationsgetriebenen Wahlstrukturen.

      Deshalb, (insbesondere für Frauen) im Beruf: Vertikal kommunizieren lernen oder kurz: Wenn einer rumkackt, zurück kacken.

      Deshalb auch: Vertikale Typen werden in Wahlstrukturen immer versuchen, Themen in Hinterzimmergesprächen zu klären.