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Karlsruhe zu VerfassungsschutzberichtenStigmatisierung erlaubt

Eine Burschenschaft und ein Frauenverband tauchten in Berichten des Verfassungsschutzes auf. Das war rechtens, sagen die Richter in Karlsruhe.

Vom Verfassungsschutz beobachtet: Courage bei einer Montagsdemonstration Foto: Steinach/imago

Karlsruhe taz | Die Burschenschaft Frankonia durfte 2015 wegen ihrer NPD-Nähe im bayerischen Verfassungsschutzbericht als extremistisch stigmatisiert werden. Der MLPD-nahe Frauenverband Courage 2013 durfte im Verfassungsschutzbericht von NRW als Verdachtsfall aufgeführt werden. Das entschied jetzt eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts in zwei getrennten Beschlüssen, die an diesem Dienstag – politisch ausgewogen – gemeinsam veröffentlicht wurden.

Dass die Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht ein Grundrechtseingriff ist, hat Karlsruhe bereits 2005 im Fall der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit entschieden. Damals ging es um die Pressefreiheit. Um welche Grundrechte es bei der Erwähnung von Organisationen wie Frankonia oder Courage geht, ließ das Verfassungsgericht nun offen. In Betracht komme die Vereinigungsfreiheit, die Meinungsfreiheit und die Allgemeine Handlungsfreiheit. Letztlich sei das „Schutzniveau“ aber immer das gleiche.

Bloße Kritik am Grundgesetz genügt nicht

Das Bundesverfassungsgericht nutzte die beiden Entscheidungen, um noch einmal die Maßstäbe für eine zulässige Erwähnung in Verfassungschutzberichten zusammenzufassen. So muss der Verfassungsschutz bei der Bewertung „politisch-weltanschaulich neutral“ und „sachlich“ bleiben. Außerdem ist eine gesetzliche Regelung erforderlich. Falls nur der „Verdacht“ besteht, dass es sich um eine extremistische Bestrebung handelt, muss dies im Bericht klargestellt werden.

Die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht darf nicht unverhältnismäßig sein, so die Richter:innen. Es genügt deshalb nicht, dass nur vereinzelte oder wenig belastbare Erkenntnisse gegen eine Organisation vorliegen. Bloße Kritik am Grundgesetz genüge nicht, erforderlich ist eine „aktiv-kämpferische Haltung“, die darauf abzielt, die freiheitlich demokratische Grundordnung (Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde) zu beseitigen – wobei kämpferische Meinungsäußerungen genügen, auf Gewaltanwendung kommt es nicht an. Bloße Kontakte zu extremistischen Organisationen oder personelle Verflechtungen genügen allein noch nicht für eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht.

Diese Maßstäbe haben die Gerichte in Bayern und Nordrhein-Westfalen korrekt angewandt, entschied nun das Bundesverfassungsgericht. Klagen von Frankonia und Courage seien aus zulässigen Gründen abgelehnt worden. So hatte die Burschenschaft einen NPD-Funktionär zum Vortrag eingeladen. Bei einer Büchermesse gab es Stände von NPD und anderen rechtsextremistischen Organisationen. Ein Verantwortlicher des Hausvereins der Burschenschaft war NPD-Mitglied.

Der Frauenverband Courage verfolge selbst zwar keine verfassungsfeindlichen Ziele, so die Gerichte, unterstütze aber die extremistischen Ziele der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), etwa durch gemeinsame Veranstaltungen und durch Grußworte im Wahlkampf.

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2 Kommentare

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  • Ach die Frankonia...

    Das wusste ich als Student doch schon in den 80ern. Hat ja mal wieder gedauert beim VS.

  • "Bloße Kritik am Grundgesetz genüge nicht, erforderlich ist eine „aktiv-kämpferische Haltung“, die darauf abzielt, die freiheitlich demokratische Grundordnung (Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde) zu beseitigen – wobei kämpferische Meinungsäußerungen genügen, auf Gewaltanwendung kommt es nicht an."

    Das ist eine für deutsche Verhältnisse erfreulich demokratische Position. Nach 1945 (oder 48) gab es eine Tendenz, das Grundgesetz als der Weisheit letzten Schluss, als bestmögliches aller Systeme, zu propagieren.

    Aber es ist lückenhaft, verbesserungs- und ergänzungsbedürftig. Ob es das System Hartz ist, die Schwächen bei der Bekämpfung des rechtsterroristischen Umstürzlertums, oder die Unterperformance bei der Verhinderung einer Klimakatastrophe - wir leben eben NICHT in der besten Demokratie aller Zeiten, sondern nur in der am wenigsten mangelhaften Demokratie, die Deutschland je hatte. Und die ist nicht gut genug für die Zukunft.

    Das dass BVerfG nun so ausdrücklich eine Grenze zieht zwischen Bestrebungen, die aktuelle Demokratie zu verbessern (was nicht ohne Kritik am status quo gehen kann), und solchen die danach trachten, sie zu beseitigen, ist eine sehr erfreuliche Nachricht.

    Das Grundgesetz darf nicht sakrosankt sein - aber Kritik an ihm darf andererseits auch nur in EINE Richtung legal sein, nämlich in die, die dahin geht, die gesellschaftliche Teilhabe auch der Ärmsten, die Verwirklichung eines für andere harmlosen selbstbestimmten Lebens und Entfaltung der individuellen Persönlichkeit, die sozioökonomische und ökologische Gerechtigkeit, die Macht des demokratischen Souverän relativ zur Macht seiner Repräsentant*innen, usw, zu verbessern.

    Denn da ist noch viel Arbeit nötig, bis wir Deutschen eine Demokratie aufgebaut haben, die zukunftsfest ist, und auf die man ohne Wenn und Aber stolz sein kann.