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Kapitalisierung des PflegesektorsKurze Lebenserwartung

Börsenorientierte Aktienunternehmen machen sich im Pflegesektor breit. Doch hohe Rendite verträgt sich nicht mit einer würdevollen Pflege.

Symbolfotos zur Pflege, davon gibt es mindestens so viele wie private Altenpflegeeinrichtungen Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

I n keiner anderen Gruppe fordert das Coronavirus so viele Todesopfer: Mehr als ein Drittel der Todesfälle in Deutschland betreffen die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen. Die Pandemie wirft ein Schlaglicht auf die zentrale gesellschaftliche Frage der Pflege. Rhetorisch herrscht hier Einigkeit – würdevoll soll der Lebensabend unserer Großeltern und Eltern sein. Doch unter welchen konkreten Voraussetzungen lässt sich dieses Ziel umsetzen?

In der öffentlichen Diskussion wird viel über Finanzierung und Mangel an Pflegekräften gesprochen. Unter den Tisch fallen dabei oft die voranschreitende Kommerzialisierung und Finanzialisierung der Pflege. Dabei lässt sich das öffentliche Gut Pflege nur zu hohen Kosten privatisieren. Das gesellschaftliche Ziel einer würdevollen Pflege ist mit dem privaten Ziel der Gewinnmaximierung unvereinbar. Deshalb brauchen wir nicht nur eine angemessene finanzielle Ausstattung der Pflege, sondern auch eine robuste „Industriepolitik“, die dem neuen Pflegekapitalismus Einhalt gebietet.

Wer trägt in Deutschland die Verantwortung für die Pflege? Hier ist es wichtig, zwischen Finanzierung und Trägerschaft zu unterscheiden. Die Finanzierung erfolgt über die Eigenanteile der Pflegebedürftigen und, seit 1995, über die Soziale Pflegeversicherung. Bei Pflegegrad 3 deckt die Soziale Pflegeversicherung knapp die Hälfte der stationären Pflegekosten. Das Geld aus den Pflegeversicherungen fließt an die Betreiber von Pflegediensten und Pflegeheimen. Unterschieden werden hier öffentliche, freigemeinnützige und private Träger. Öffentliche, überwiegend Kommunen, spielen als Träger von Pflegeheimen nur noch eine Nebenrolle: Ihr Anteil sank bis 2017 von 8 auf 5 Prozent. Führend sind mit einem Anteil von 53 Prozent freigemeinnützige Träger wie der Deutsche Caritasverband. Deutlich vergrößert hat sich hingegen der Anteil der privaten Träger – von 35 auf 43 Prozent bei den Pflegeheimen und von 26 auf 40 Prozent bei den Pflegeplätzen.

Da sich Kostenvorteile vor allem durch Größe realisieren lassen, überrascht es nicht, dass der private Sektor eine zunehmende Konzentration verzeichnet. Im vergangenen Jahr entfielen knapp 40 Prozent der Plätze in der vollstationären Pflege auf die 30 größten Pflegeunternehmen. Entscheidend ist hier die Eigentumsform: In der Vergangenheit handelte es sich bei profitorientierten Pflegeheimen um Unternehmen im Familien- oder Privatbesitz. Zunehmend dominieren hier jedoch börsennotierte Aktienunternehmen. Derzeit kontrollieren Privat-Equity-Gesellschaften etwa 13 Prozent der privaten Pflegeplätze in Deutschland.

Benjamin Braun

erforscht die politische Ökonomie des Finanzsystems am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Twitter: @BJMbraun

Philippa Sigl-Glöckner

ist Gründerin der Denkfabrik Dezernat Zukunft und bewirbt sich um die SPD-Bundestagskandidatur im Wahlkreis München-Nord. Twitter: @PhilippaSigl

PE-Gesellschaften konkurrieren darum, das Kapital von institutionellen Investoren und vermögenden Individuen gegen hohe Gebühren zu verwalten. Sie investieren dieses Kapital, indem sie Unternehmen aufkaufen, die aufgenommenen Schulden auf die Zielunternehmen übertragen und dort drastische Kosteneinsparungen durchsetzen. Nach vier bis fünf Jahren werden die Zielunternehmen mit möglichst hohem Gewinn wieder abgestoßen.

Dieses Geschäftsmodell ist schwer vereinbar mit einer qualitativ hochwertigen Betreuung. Es ist jedoch überaus kompatibel mit der Gewinnmaximierungsstrategie im Pflegesektor, der Kostenminimierung. Die Vergütung der Träger ist durch die Verhandlungen mit Kassen und Staat weitgehend geregelt. Die wichtigsten Stellschrauben, um den Gewinn zu erhöhen, sind deshalb Kostensenkungen bei Personal, Ausrüstung und Qualität. PE-Gesellschaften können dabei besonders skrupellos vorgehen. Anders als für lokal oft langfristig gebundene Unternehmerinnen stellt verbrannte Erde für Heuschrecken kein Problem dar.

Die Grenzen der Legalität austesten: Verbrannte Erde stellt für Heuschrecken kein Problem dar

Studien zu den Auswirkungen von PE-Übernahmen auf die Pflegequalität in den USA lassen wenig Raum für Zweifel. Zwei Studien aus den Jahren 2015 und 2020 zeigen, dass PE-Pflegeheime weniger und schlechter ausgebildetes Personal beschäftigen und die PatientInnen signifikant schlechtere Gesundheitswerte aufweisen. Der Übergang in andere private Eigentumsformen verursache hingegen keine Qualitätseinbußen.

Vergleichbare Studien für Deutschland liegen bisher nicht vor. Bekannt ist, dass die höchsten Renditen nicht im Luxussegment, sondern mit Pflegeheimen am unteren Ende der Qualitätsskala erwirtschaftet werden. Recherchen zeigen außerdem, dass PE-Übernahmen auch hierzulande zu Lasten des Personals und der Patienten gehen. So etwa im Fall des Alloheims Ludwigsburg. Nach zwei Eigentümerwechseln im Jahr 2015 beanstandete die Heimaufsicht Schimmel, Fixierungen sowie fehlendes Fachpersonal.

Stellschraube Kostendruck

Wie könnte eine Politik aussehen, die solchen Entwicklungen entgegentritt? Eine entscheidende Stellschraube ist der Kostendruck, den der Staat bisher selbst verordnet: Nur Heime, die ausreichend „wirtschaftlich“ sind, bekommen einen Versorgungsvertrag und können damit von der Pflegekasse oder Sozialversicherung bezahlt werden. Ein staatlicher Rahmen, der Effizienz belohnt, ist grundsätzlich nicht falsch. Doch er nährt auch den Pflegekapitalismus, da er große Ketten begünstigt. Stattdessen sollte der Staat seine Kostenvorgaben an dem orientieren, was auch kleinere Pflegeanbieter einhalten können.

Zudem könnten Bund und Länder Kapital bereitstellen und die Rolle der Kommunen in der Pflege wieder stärken. Schon heute stellt der Bund Kapital bereit, indem die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau die Finanzierung von Pflegeimmobilien unterstützt.

Pflege ist keine Anlageklasse für Investoren, sondern eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung. Die Zahl der Pflegebedürftigen ist seit der Jahrtausendwende auf 3,7 Millionen Menschen angestiegen und wird bis 2050 auf 5,9 Millionen ansteigen. Statt diese Herausforderung an profitmaximierende, kurzfristig orientierte Finanzinvestoren zu delegieren, muss die Politik die Pflege nach Kriterien der langfristigen Nachhaltigkeit aktiv gestalten.

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3 Kommentare

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  • Reden wir doch vom Patriarchalen Wirtschaftskomplex! Vom UnrechstSystem21!

    Dieses wollte das Leisten der Frauen nie anerkennen und musste immer dann nach bessern, wenn peu a peu Leistungen in diesen Bereichen wegfielen, gleichzeitig denkt das Patriarchale immer Hierarchisch!



    Also geht Mann davon aus: privat ist besser als Staat! Ergo werden Unsummen in private Einrichtungen gesteckt (damit auf keinen Fall Frauen Geld kriegen!).



    Immer wieder ploppt auf -egal wo- in lebensnotwendigen Bereichen- dass da das patriachal-linear-Hierachische-Egoistische Denken komplett falsch ist!

    Das schwäbische Hausmannsdenken stimmt im kleinen abgegrenzten Ökonomie- Bereich..... Überall anders ist es falsch und schweineteuer und -weit schlimmer- zerstörerisch!!

    Wir haben große Teile unsere Gesellschaft incl Umwelt/Natur unter das ÖPP-Gewaltsystem gesetzt! Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert! Und die Gewinne sind in erster Linie Sozialtransfer-Gewinne!



    Egal wo wir diese ÖPPSysteme haben: die Gesellschaft zahlt und der Aktionär sammelt Gewinne ein!



    (HartzIV für Aktionäre!)

    (Mit m.E.dramatischen Effekten: denn die wohlstandsverwöhnten Branchen zapfen hier gigantische Summen ab.... Und gleichzeitig ist kaum noch Kraft und Spucke da um wirklich Innovationen in Gang zu setzen!)

  • Liest sich etwas ekelerregend.

  • Menschenwürde vrs. Renditesucht

    Zitat: „Börsenorientierte Aktienunternehmen machen sich im Pflegesektor breit. Doch hohe Rendite verträgt sich nicht mit einer würdevollen Pflege.“

    Die Folgen sind etwa an der vergleichsweise hohen Letalitätsrate in Schweden in der Anfangsphase der Corona-Epidemie abzulesen. Bis Ende April wurde das Virus in 75 % der Stockholmer Altenpflegeeinrichtungen nachgewiesen und stieß dort auf ein desolates Altenpflege-System. Daran hat dessen zunehmende Kapitalisierung den entscheidenden Anteil. Zwar noch immer steuerfinanziert, wurde die Bereitstellung der Wohlfahrtsleistungen inzwischen weitreichend privatisiert und damit v. a. im Großraum Stockholm, der am stärksten von Covid-19 betroffenen Region Schwedens, das System sehr fragmentiert. Wettbewerb unter den 80 privaten Pflegeanbietern und Gewinnmaximierung haben die Arbeitsbedingungen des überwiegend ungelernten Pflegepersonals, zumeist aus afrikanischen Einwanderern rekrutiert, zunehmend präkarisiert mit Niedriglöhnen und ohne Krankenversicherung, was viele infizierte Pflegekräfte daran hinderte, zu Hause zu bleiben und die Alten ansteckten. Dazu kommt die wachsende Arbeitsverdichtung. In 30 Jahren hat sich als Folge drastischer Kürzungen der öffentlichen Finanzierung der Altenpflege die Zahl der zu Pflegenden pro Pflegekraft verdreifacht.

    Das Beispiel Schwedens ist ein Beleg für die Hypothese, daß die anfangs tödlichen Folgen der Corona-Epidemie eher ein Problem des gesundheitspolitischen Managements im Kontext der neoliberalen Kapitalisierung des Gesundheitssektors war und nicht des ausgebliebenen Schrotflinten-Lockdowns, wie gern behauptet. Die Eskimos in ihren einsamen nordschwedischen Dörfern wochenlang einzusperren, hätte keinem der erkrankten Schwerstpflegebedürftigen in einem Altenheim im Großraum Stockholm das Leben gerettet, keinem, wohl aber ein funktionierendes öffentliches Gesundheitssystem. (Vgl. Enna Gerin vom Gewerkschaftsinstitut Katalys in IPG v. 27.05.2020)