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Kanzler will Bundeswehr aufrüstenDer getriebene Treiber

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Olaf Scholz diktiert der eigenen Fraktion eine neue Sicherheitspolitik. Die Überrumpelungsaktion zeugt nicht von Führungsstärke.

Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag Foto: Bildgehege/imago

O laf Scholz war in der Ukraine Krise lange zurückhaltend, fast unsichtbar. Die Ampel-Regierung wirkte getrieben – nicht nur von der Eskalation des Konfliktes, auch von Verbündeten und Medien. Scholz schien der Dynamik der Situation hinterher zu eilen. Das soll nun vorbei sein. Am Sonntag hat der Kanzler tabula rasa gemacht. Wohlgemerkt: Dass Deutschland nun Waffen an die Ukraine liefert und die Swift-Sanktionen des Westens unterstützt, ist richtig.

Ohne Geschlossenheit von Washington bis Warschau bleiben die Sanktionen zahnlos. Einheit ist derzeit eine politische Hartwährung.Doch der Kanzler hat die Gunst des Augenblicks genutzt, um die lästige Rolle des Getriebenen, des Abwartenden, der nur reagiert, abzustreifen und sich als Macher inszeniert. Die Idee, mit 100 Milliarden Euro jenseits des Haushalts die Bundeswehr aufzurüsten, soll ein Befreiungsschlag sein. Aber ist es das? Warum 100 Milliarden – und nicht 50 oder 150 Milliarden?

Scholz wirkt wie ein Mann, der in ein Geschäft stürmt, einen Batzen Geld auf den Tresen knallt, und sich danach mal überlegt, was er eigentlich kaufen will. Der Kanzler hat mit diesem Coup die SPD-Fraktion und die Grünen rüde überfahren und vor vollendete Tatsachen gestellt. Das bedient einen geradezu atavistischen Reflex. Wenn man sich angegriffen fühlt, (und dazu gibt es angesichts von Putins Atomdrohungen wirklichen Grund) braucht es innen den starken Mann, der sagt, wo es jetzt lang geht.

Faktisch gibt es zudem seit Sonntag keine Verteidigungspolitik der Ampel mehr, sondern, weil die Union für die Grundgesetzänderung gebraucht wird, die einer Art Allparteienregierung. Die Qualität von Demokratien ist es aber, sich genug Zeit zu lassen. Es ist kein Zeichen von Führungsstärke eine so weitreichenden Entscheidung wie eine im Grundgesetz verankerte Aufrüstung der Bundeswehr per Überraschungscoup ad hoc zu verkünden. Scholz Ankündigung ist keine souveräne, kluge Geste. Es ist die Geste eines Getriebenen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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18 Kommentare

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  • Scholz ist lange genug in der Politik, damit wir wissen können das Scholz nie ein Treiber war. Er ist ein Verwalter ohne irgend eine Vision. Frau Baerbock hat sich frühzeitig positioniert, da ist dann die SPD und Scholz dazwischengefahren und haben sie gebremst. Das Problem ist doch, das sich die Regierung isoliert hat, das man versucht sich Aufzublasen um es Vergessen zu machen. Sobald das Thema nicht mehr auf Seite 1 steht, wird wieder der Normalmodus eingelegt und das aktuelle Seite 1 Thema bearbeitet, was man bis dahin liegen gelassen hatte.

  • Eigentlich war Scholz schon am Ende, hatte er unser Land international in die Enge getrieben. Umso gewichtiger wird das plötzliche Umdenken in Bezug auf die militärische Unterstützung (es ist müßig darüber zu spekulieren, ob Putin bei einer anderen deutschen Haltung evtl. anders gehandelt hätte, zu spät) in seiner Wirkung auch auf die breite weltweite Isolierung des russischen Despoten. Die wirklichen Helden sind die Völker, allen voran der Durchhaltewillen des ukrainischen Volkes, aber auch der vielen Unterstützer, die das wahre Europa gegenüber sich immer wieder verhakelnden 'Politikern' mit den Eigeninteressen der jeweiligen Konzerne zum Ausdruck bringen. Lassen wir uns nicht weiter spalten nicht zuletzt durch Konzerne, die über Arbeitsplätze und Lebensbedingungen nach ihren Profitinteressen entscheiden wollen ! In Kriegszeiten rücken die Völker leichter zusammen!

    • @Dietmar Rauter:

      "In Kriegszeiten rücken die Völker leichter zusammen!"

      Sofern sie nicht selbst direkt vom Krieg betroffen sind, mag das sein. Aber wenn ich mit Kriegsopfern gesprchen habe, kommen da auch Berichte wie: "Und von einem Tag auf den anderen war die Nachbarfamilie der Feind"

      Auch nicht ganz so gut ausgegangen war die Querfront im Spanischen Bürgerkrieg. Zwei sozialistische Strömungen, welche ganz andere Ansätze haben, beschliessen Seite an Seite zu kämpfen. Ich rede natürlich von Anarchisten und Kommunisten. Die einen wollen die Wirtschaftsdominanz schwächen, in dem Sie Arbeiter Ihre Chefs wählen lassen, die anderen wollen einer autokratischen Wirtschaft ein politischen Autokratischen Staat entgegenstellen. Harter, sehr harter Interessenskonflikt. Um gegen Franko`s Faschismus anzukommen, einigen sich beide Parteien darauf, das Kriegsbeil zu begraben, bis Franko besiegt ist. Sie rücken zusammen, wie sie so schön sagen.

      Wir wissen ja, wie das Ausgegangen ist. Falls Sie das nicht wissen:

      Homage to Catalonia, George Orwell, 1938.

      Lesenswert und eine Warnung vor unbedachtem Zusammenrücken.

  • Verquere Deutsch-Stunde, Angreifer- Vokabular



    „Eine Überrumpelungaktion, die Gunst des Augenblicks genutzt, er diktiert…, sich als Macher inszeniert, ein Coup und vollendete Tatsachen…“



    Von wem ist hier die Rede? Von einem Angreifer oder einem Verteidiger? Also vom Bundeskanzler…echt jetzt?



    Offenkundig haben der Autor und Gerhard Schröder dieselbe Rhetorikschule besucht, daher:



    Scholz soll sofort wieder aufhören, mit dem Säbel zu rasseln!

  • Die durchschnittliche Verzögerung bei der Lieferung von Rüstungsgütern beträgt derzeit um die 50 Monate. Das kommt noch auf die geplanten Lieferzeiten drauf.



    Wie man sich vor diesem Hintergrund innerhalb von 5 Tagen zu einem Sonderbudget von 100 Mrd. € nötigen lassen kann, erschließt sich mir nicht. Scheinen Waffen für den nächsten Krieg zu sein. Wer den anfängt ist derzeit noch offen.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Scholz wirkt wie ein Mann, der in ein Geschäft stürmt, einen Batzen Geld auf den Tresen knallt, und sich danach mal überlegt, was er eigentlich kaufen will.“



    Was er kaufen will? Er lässt kaufen. Da gibt es doch Frauen, die sich mit sowas auskennen. Und bei Bedarf haben die Berater:innen. (scnr)

  • Herr Reinecke, alle Militärexperten und Strategen, die ich bislang gelesen habe, sagen seit Jahren (1), daß die Ukraine militärisch gegen Rußland keine Chance hat (2). Waffenlieferungen erhöhen nur die Todeszahlen auf beiden Seiten, insbesondere die der ukrainischen Zivilisten, weil Rußland mittlerweile die Zurückhaltung beim Einsatz seiner Mittel der 1. Kriegswoche aufgibt, nachdem es erleben mußte, daß die ukrainische Armee durch Schulung und Waffen z. B. der US-Amerikaner und Briten stärker ist als erwartet. Was ist Ihre moralische, politische oder strategische Rechtfertigung für die erhöhten Todeszahlen, für die Sie plädieren?



    (1) Mearsheimer JJ. Don’t Arm Ukraine. The New York Times. www.nytimes.com/20...t-arm-ukraine.html. Published February 8, 2015. Accessed January 18, 2016.



    (2) Ukraine Conflict Update 11 | Institute for the Study of War. Accessed March 1, 2022. www.understandingw...conflict-update-11

    • @jghsr:

      Man kann natürlich seine Feindbilder bedienen, indem man die Aurüstung durch USA und Briten benennt. Ich weiß nicht wo die zu sehen ist, die Ukraine hat eine miserabel ausgestattete Armee, dass Putin glauben liess nach der Krim weitermachen zu können. Es stellt sich aber so dar, dass sich ein Volk nicht dem Agressor ergeben will. Die Problematik, dass dies den Krieg aktuell verlängert befürchte ich auch, solange die Ukraine sich aber gegen die Aggression wehrt, sollten wir sie dabei unterstützen. Ich hoffe das der Sanktionsdruck auf Russland, die Russen ermutigt Putin aus seiner Position zu kippen. Herr Putin ist der Kriegsverbrecher, dass hat er alleine zu vertreten. Der Macht des Stärkeren zu weichen nutzt wenig, er wird weitermachen, dass sollten wir aus der Geschichte gelernt haben.

  • Ja wie? Wat issen nu wieder ditte - wa!

    “Olaf Scholz diktiert der eigenen Fraktion eine neue Sicherheitspolitik. Die Überrumpelungsaktion zeugt nicht von Führungsstärke.“



    “Getriebener“??? Mach Bosse.



    Der Mann ist gelernter Juso & Stamokapist - wie sein damaliger Juso-Vorsitzender GazPromGerd - & das erklärt doch alles. Newahr. Aber Hallo!



    Deren abgebrühte - ja abgefuckte handstreichartigen OrgaTricks - vulgo die Mehrheit von drei schließt die Minderheit von vier aus - habe ich von sojet Sozialisierten - in der Friedensbewegung - beim Richterratschlag et al. xfach erlebt.



    Nicht immer scheiterten derartige Ansinnen!



    &



    Hier aber darf frauman gespannt sein - wieviel Arsch-im-Beinkleid vs knarrendes OS-Holzgewinde Oil of Olaf I. van HH zu G 20 - zu konstatieren ist! - 🙀🥳 -

    unterm——- vllt ja Spätfolgen—- 🪖🪖—



    Zwar Geschichte =>



    “ Seit den 1930er-Jahren war Rahlstedt ein bedeutender Garnisonsstandort in Hamburg mit zwei Kasernen (Boehn-Kaserne und Graf-Goltz-Kaserne) und einem Standortübungsplatz.…“



    But. Who knows. De Jaus - aus betuchtem Haus. - 🤔 - auch wenn er sich ja bekanntlich gern nur schwer erinnert & selten was sieht - 🙈🙉🙊 -

  • "Die Qualität von Demokratien ist es aber, sich genug Zeit zu lassen." Im Prinzip eine richtige Aussage, doch seit wenigen Tagen wird uns wieder brutal vor Augen geführt, dass man mit dem "Sichzeitlassen" über Nacht im Krieg drin steckt, obwohl man es nie wollte, doch kommen sehen musste: Das Kreml-Regime hatte mit dem Krim-Überfall der Ukraine und dem Westen klar den Stinkefinger gezeigt, den Krieg gegen die Ukraine begonnen und die Reaktionsgeschwindigkeit ausgetestet. Offenbar wurden die folgenden Jahre dort genutzt, um den Krieg großflächig vorzubereiten, während sich die EU im Brexit-Chaos verhedderte und die USA im Trump-Fake-Show-Koma versackten; eine goldene Zeit für Putin, um in Krimsekt zu baden und seinen stalinistisch getunten Neozarentraum militärisch noch besser für die Umsetzung planen zu lassen. Ihm kam das NATO-Desaster in Afghanistan passend zu Hilfe, sodass ein mit sich selbst beschäftigter "Westen" ihm wie die Watschengummifresse auf dem Jahrmarkt vorgekommen sein muss.



    Daher: Ein abruptes Umsteuern des Westens und der Ampel-Regierung ist daher m.E. das beste Signal, um noch Schlimmeres zu verhindern, denn Reden und Verhandeln funktioniert derzeit mit dem Kreml überhaupt nicht mehr: Die Propagandamaschinerie spiegelt das genau wider.

    • @denkmalmeckermalmensch:

      Wenn der Westen auf die Forderung der Russen nach Sicherheitsgarantien so schnell geantwortet hätte wie jetzt mit Sanktionen auf den russischen Überfall, hätte letzterer vermutlich nicht stattgefunden.

      • @jghsr:

        Glauben Sie allen Ernstes, die von Ru geforderten sogen. "Sicherheitsgarantien" hatten eine substantielle Bedeutung? Weit gefehlt! Das war offenbar reines Schaufenstergeschwafel für Dummies, um die eigene Propaganda zu füttern. Genauso ist die Behauptung "Entnazifizierung" der Ukraine, die Forderung nach "Neutralität und Entmilitarisierung" zu betrachten. Zarstalin Putins Regime will mit krassen Lügen seine Aggression garnieren. Ein blutverschmiertes Feigenblatt; nichts anderes.

    • @denkmalmeckermalmensch:

      Die Fakten, die DIESE Woche, und vor dem Wochenende geschaffen werden, sind die, die noch einen Einfluss auf die Zukunft unseres Europa haben können. Es geht nicht um Perspektive für ein paar Jahrzehnte oder für eines, nicht um das, was wir mal für demnächst überlegen sollten, um Bereitstellen von Finanzmitteln für 2022/23. Zukunft werden wir erst planen können, falls und nachdem wir das Jetzt bestehen.



      Es geht um Anfang März. Jetzt. Oder nie mehr. Der Wecker tickt nicht mehr. Er klingelt. Seit Donnerstag.



      [ Sofort, das bedeutet z.B. auch, dass die Beschaffung des Notwendigsten für die Bundeswehr auf garkeinen Fall Koblenz überlassen werden kann. Das muss der Finanzminister erledigen, Bundesvermögensamt, die Lufthansa, werweißwer. Das BMVg jedenfalls nicht.]



      [ Sofort, das bedeutet auch, der EU-ropäische Status der Ukraine muss diese Woche grundlegend verändert werden, nicht nächste Woche, nicht im April, nicht bis 2025 ... ]

  • "eine so weitreichenden Entscheidung wie eine im Grundgesetz verankerte Aufrüstung der Bundeswehr "

    Was soll bitte das GG damit zu tun haben?



    Was hat die Festlegung eines Budgets überhaupt mit irgendeinem Gesetz zu tun?

    Der Sinn von Gesetzen ist zum einen Konstanz, zum anderen die Berücksichtigung aller Eventualitäten. Aber sicher nicht als Einkaufslisten missbraucht zu werden.

    • @danny schneider:

      Die Anwendung des Haushaltsrechtes allein reicht nicht, um dieses Vermögen für Jahre als "Verfügbares Vermögen" der Bundeswehr zu deklarieren.

  • ich denke wir sind alle Getriebene. Aus freien Stücken wäre diese Entscheidung nie gefallen....

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    "Die Qualität von Demokratien ist es aber, sich genug Zeit zu lassen."

    Haben wir Zeit? Nicht wirklich, oder?

    • @49732 (Profil gelöscht):

      Man hatte bekanntlich sehr viel davon und sollte die hastige Kehre jetzt belastbar sein, dann ja auch viel zuviel. Problem ist dass man verlorene Zeit ohne Zeitmaschine nicht korrigieren kann und für die reichen leider auch keine 100 Mrd, schon gar nicht einmalig und als bis hierhin bloße Ankündigung. Gerade wo es um Zeit geht, ist das ja sowieso kein Ansatz, weil wir hier von Jahren sprächen, eher Jahrzehnten, die eine so komplizierte und träge Megatruktur wie die Bundeswehr bräuchte und alles um sie herum, um das auch nur zu absorbieren. Von den Zeiträumen, die erst mittlere bis große Rüstungsprojekte beanspruchen, nicht zu reden, der "aktuelle" Allzweckjet heißt Jäger '90. Und absorbieren heißt auch nur das, über tatsächliche Erfolge oder Folgen ist damit natürlich noch nichts gesagt, es könnte im schlimmsten aber nicht unwahrscheinlichsten Fall auch einfach nur Verschwendung sein. Aber das ist bis jetzt reine Fantasie, es wird m.E. gar nicht dazu kommen, ich sehe einen klassischen Fehlstart, eine geradezu panische parl. Überreaktion die viele noch bereuen werden und den Anfang vom schnellen Ende der Kanzlerschaft Scholz. Letzteres wird sich gar nicht unbedingt hier entscheiden, es ist nur so dass diese Posse ja sofort in der ganzen Welt rezipiert wurde. Also wenn er das nicht 1:1 liefern kann und schnell, malt euch mal die Amerikaner aus. Der hat sich glatt abgeschossen und wenn wir Pech haben unsere Koalition gleich mit. Ich sehe ihn auch nicht als Treiber und wohl mehr noch hilf- und ratlos als getrieben, aber das gilt für alle dort und fast alle haben ja wohl auch erst geklatscht, also jetzt auf einmal zu tun, als sei man gar nicht da gewesen, leuchtet mir auch nicht ein. Wenigstens für die Grünen dürfte es nur noch innerparteilich Risiko bergen, denn wer ihnen als bisher Wähler jetzt noch treu war, der würde das auch schlucken. Bei mir an dem Punkt schon Indifferenz und wenn es sie zerreißen sollte, interessant schon eher, wie die SPD da wieder rauskommt.