Kanzler Scholz in Österreich: Streitpunkt russisches Gas
Trotz guter Laune gibt es politische Differenzen mit Österreich, darunter das Schengen-Nein zu Rumänien und Bulgarien sowie russische Gaslieferungen.

Österreich hatte sich zuletzt mit seinem Nein zum Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens innerhalb der EU isoliert. Scholz machte heute keinen Hehl daraus, dass Deutschland für einen schnellstmöglich Beitritt ist. Nehammer blieb hingegen bei seinem kategorischen Nein, ohne dieses präzise zu begründen. Er sprach vom Außengrenzschutz, der dies erfordere und verwies auf die „besondere Herausforderung“, die Österreich in puncto Migration habe. Überhaupt war Zuwanderung ein Hauptthema. Der Vorwahlkampf in Österreich hat unverkennbar und sehr verfrüht begonnen – gewählt wird planmäßig im Herbst 2024.
Dem österreichischen Kanzler sei nicht entgangen, dass in Deutschland die Zahl der Asylanträge wieder steigen, während sie in Österreich – auch dank der „guten Zusammenarbeit mit Ungarn“ – derzeit fielen. „Wir sind eine solidarische Gemeinschaft, darum ist uns das nicht gleichgültig, ganz im Gegenteil. Deutschland kann sich auf Österreich verlassen“, stellte Nehammer in Aussicht. Scholz hatte allerdings nicht den Eindruck erweckt, diesbezüglich Hilfe aus Österreich zu wünschen.
Haltung gegenüber Russland
Ein für Deutschland viel schwerwiegenderes Thema dürfte Österreichs Haltung gegenüber Russland sein. Scholz spielte darauf unmissverständlich an. „Der Krieg fordert uns auf, unser Selbstverständnis zu prüfen und zu unbequemen Entscheidungen bereit zu sein“, sagte er. Und weiter: „Russland gefährdet die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur. Wir müssen uns letztlich alle darauf einstellen und die nötigen Konsequenzen ziehen.“
Damit meinte er wohl ein Ende der russischen Gaslieferungen, die immer noch rund drei Viertel aller österreichischen Gasimporte ausmachte. Allein im Vorjahr zahlte Wien mehr als sieben Milliarden Euro für russisches Gas, errechnete das „Neos Lab“, der Thinktank der österreichischen Neoliberalen, im Frühjahr. „Und das, obwohl die Mengen wegen der gedrosselten Gazprom-Lieferungen deutlich geringer ausgefallen sind“, heißt es.
Nehammer verteidigte die Gasimporte. Österreich sei noch immer von Russland abhängig, was die Gazprom etwa durch willkürliche Drosselungen im Vorjahr spüren ließ. Das günstige Gas fließt aber wieder in großer Menge, mittlerweile seien die Gasspeicher – die den gesamten Jahresbedarf Österreichs umfassen – zu 90 Prozent gefüllt, wie Nehammer bei jeder Gelegenheit betont.
Sicherheitspolitik – kein großes Thema
Doch auch anderthalb Jahre nach dem russischen Angriffskrieg lässt Österreich keine Eile erkennen. Bis 2027 soll Österreich unabhängig von russischem Gas werden. Tatsächlich bestehen aber Energielieferverträge bis 2040, abgeschlossen unter Sebastian Kurz, die die Regierung weder offenlegt noch zu kündigen bereit ist.
Die fehlende Diversifizierung begründete Nehammer mit geographisch bedingt fehlenden Häfen für LNG-Anlandungen in Österreich. Diesbezüglich hegt er aber Hoffnungen auf LNG-Importe aus Deutschland. Derzeit arbeite die österreichische Regierung an einer Verbesserung der Konnektivität im Pipeline- und Speichersystem. Auch grünen Wasserstoff will Österreich künftig aus Deutschland importieren, dies ist aber noch Zukunftsmusik.
Dass Österreich, das sich traditionell auf seine Neutralität bezieht und eine Sicherheitsdebatte bis heute vermeidet, dem deutschen „Sky Shield“ beitritt, begrüßte Scholz ausdrücklich. Ansonsten wurde die Sicherheitspolitik nicht thematisiert. Die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich spielte Scholz herunter, diese seien aktuell eben notwendig. Näher begründet hat er dies nicht.
Überschattet wurde die Pressekonferenz von der Anklage gegen Sebastian Kurz, die während des Pressertermins am Vormittag bekannt wurde. Dem früheren Kanzler wurde Falschaussage vor dem parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgeworfen. Auf die Anklage gegen seinen Vorgänger angesprochen, sagte Nehammer, dass sich damit „endlich die Möglichkeit der Aufklärung“ böte. Im Falle einer Verurteilung – es gilt die Unschuldsvermutung – drohen Kurz bis zu drei Jahre Haft.
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