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Kampf ums eigene Terrain

In Nordirland spaltet der einst blutige Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken weiter auch den Fußball. So wird das Publikum in Belfast beim Spiel gegen Deutschland traditionell dominant protestantisch sein

Typisches nordirisches Länderspiel­publikum: Protestantisches Bekenntnis zu Groß­britannien    Foto: Fo­to:­ Liam McBurney/imago

Aus Belfast Ronny Blaschke

In einer Stadt, in der Symbole über Leben und Tod entscheiden konnten, sollte man auch im Fußball auf jedes Detail achten. Der FC Crusaders, einer der erfolgreichsten Vereine Nordirlands, ist im Norden von Belfast zu Hause. An den Hauseingängen weht der „Union Jack“. Es ist eine Gegend, in der überwiegend Protestanten leben, die sich mit Großbritannien verbunden fühlen.

An den Stadionmauern prangt ein Logo des FC Crusaders, ein Ritter mit Schwert und Schild, auf dem ein Kreuz abgebildet ist. Entlang der Mauer folgen weitere Symbole, die auf Religion und Geschichte anspielen, auch eine Würdigung für das dritte Bataillon der UVF. Die paramilitärische „Ulster Volunteer Force“ kämpfte ab den 60er Jahren gegen einen Anschluss Nordirlands an die Republik Irland. Ihr werden 400 Morde angelastet.

Auch fast drei Jahrzehnte nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 wirkt der Nordirland-Konflikt in Belfast nach. Immer wieder treten Spannungen zwischen protestantischen Unionisten und katholischen Nationalisten auf. Insbesondere die Viertel mit einem hohen Anteil an Sozialwohnungen sind konfessionell klar getrennt.

„Die Traumata sitzen tief, auch im Fußball gibt es nicht wirklich gemischte Anhängerschaften“, sagt Mark Langhammer, der Vorsitzende des FC Crusaders und erinnert an den Februar 1978. Kämpfer der IRA, der „Irish Republican Army“, wollten während eines Spiels probritische Polizisten im Stadioneingang töten. Eine Kugel traf die 69-jährige Martha McAlpine, die wenig später ihren Verletzungen erlag. Sie war mit ihren Enkelkindern unterwegs gewesen.

Mark Langhammer könnte viele solche Geschichten erzählen. Aber der Gewerkschafter möchte das Verbindende herausstellen, mit dem Verein einen sozialen Treffpunkt bietet für Quizrunden, Pilates-Stunden oder Seniorensport. „Und dafür wollen wir die Grenzen Stück für Stück verschieben. Weniger als zwei Kilometer vom protestantisch geprägten FC Crusaders liegt das Stadion des FC Cliftonville, in einer Gegend mit katholischer Mehrheit. Die beiden Viertel werden von einer Peace Wall getrennt, von einer der acht Meter hohen „Friedensmauern“. Die Tore werden an jedem Abend geschlossen. Damit die Bewohner, so hört man, besser schlafen können.

Mark Langhammer geht auf Schulen in katholischen Vierteln zu, lädt Kinder und Jugendliche zum FC Crusaders ein. Sie bestreiten dann gemeinsame Turniere und Workshops. „Wir schaffen Orte der Begegnung, die es sonst selten gibt“, sagt Langhammer. Wenn man Mark Langhammer zuhört, könnte man glauben, der Fußball könnte die konfessionellen Grenzen verwischen. Aber an vielen Orten scheint er die Grenzen eher zu verstärken.

Der Windsor Park, das Nationalstadion von Nordirland, trägt die Identifikation mit dem Vereinigten Königreich bereits im Namen. Das Stadion liegt im Südwesten von Belfast, in einem Viertel, wo mehrheitlich Protestanten leben. Vor den Spielen der nordirischen Nationalmannschaft erklingt die britische Hymne. So wird es auch am Montag sein, wenn das deutsche Team in der WM-Qualifikation zu Gast sein wird.

Im Windsor Park bestreitet auch der FC Linfield seine Heimspiele. Der Rekordmeister Nordirlands spielt in blau-weiß-roten Trikots, in den Farben Großbritanniens. In seinem Wappen ist das Schloss von Windsor abgebildet. Bis in die 90er Jahre spielten nur wenige Katholiken für Linfield. In den Katakomben des Stadions zeichnet ein kleines Museum die Geschichte des nord­irischen Fußballs nach. Mit Pokalvitrinen und Schwarzweißfotos, mit alten Trikots und Porträts von bewunderten Spielern wie George Best. Das Museum bildet den Glanz ab.

Es ist nicht der Fußballverband Nordirlands, der die Geschichte kritisch aufarbeitet, sondern unabhängige Autoren wie Benjamin Roberts. Dessen 2017 erschienenes Buch „Gunshots and Goalposts“, Schüsse und Torpfosten, wurde zu einem Bestseller. Roberts beschreibt ein Jahrhundert der politischen Gewalt im Fußball. Revolverschüsse in Stadien, Brandstiftung in Vereinsheimen, Attentate auf Funktionäre. Zwischen 1972 und 1978 musste die nordirische Nationalmannschaft ihre Heimspiele aus Sicherheitsgründen in England austragen.

Im Interview erwähnt Benjamin Roberts den Oktober 1993. Bei einem Anschlag der IRA in einem protestantischen Viertel Belfasts kamen neun Zivilisten ums Leben, darunter zwei Kinder. Drei Wochen später trafen im Windsor Park Nordirland und die Republik Irland in der WM-Qualifikation aufeinander. „Es gab wenige Spiele, bei denen Zuschauer so sehr ihren Hass zum Ausdruck brachten“, sagt Roberts.

Sponsoren verließen den nordirischen Fußball. Katholische Fans mieden den Windsor Park und konzentrierten sich eher auf Rugby oder den regio­nal beliebten Gaelic Football. Die Politik schaltete sich ein und drängte den Fußball zu Reformen.

So schlug die Stunde von Michael Boyd. Der Menschenrechtsaktivist brachte beim Nord­irischen Fußballverband eine Kampagne auf den Weg: „Football For All“. Er sammelte Fördergelder und organisierte Workshops. Er verteilte Freikarten an katholische Jugendliche, die dem Windsor Park bislang fernblieben. Und er startete einen Gesangswettbewerb unter Fanclubs. Bei Spielen des Nationalteams positionierte sich fortan ein Fan mit Trommel am Zaun und gab den Rhythmus vor. Ein anderer stimmte mit Megafon selbstironische Gesänge an, zum Beispiel: „Wir sind nicht Brasilien, wir sind Nord­irland.“ So wollten sie antikatholische Rufe übertönen.

Die Gesänge sind das eine, die Farben das andere. Seit Jahrzehnten spielt Nordirland in grünen Trikots, doch in den Augen vieler Protestanten ist das die Farbe des mehrheitlich katholischen Nachbarlandes. Daher trugen viele Fans im Windsor Park lieber Kleidung in den britischen Farben. Michael Boyd unterstützte die Initiative „Sea of Green“, grünes Meer. „So ist die Stimmung im Stadion Jahr für Jahr besser geworden“, sagt er.

Aber reicht das? Etwa 45 Prozent der Nordiren sind katholisch. Es gibt keine genauen Erhebungen, doch laut Schätzungen liegt dieser Anteil im Publikum des Nationalteams bei 10 Prozent, höchstens bei 20. Immerhin ist der Anteil katholischer Nationalspieler gestiegen, zwischenzeitlich auf 25 Prozent. „Leider gibt es Anzeichen dafür, dass die konfessionellen Spannungen wieder zunehmen“, sagt Michael Boyd.

Im nordirischen Fußball geht es nicht mehr um Leben und Tod, aber um Selbstbehauptung und Territorium. In Rugby, Kricket und Hockey bestehen schon lange gesamtirische Ligen und Nationalteams. Für die Rugby-Auswahl wurde 1995 eine neutrale Hymne komponiert, mit der sich Protestanten und Katholiken identifizieren.

Ist das auch im Fußball möglich? Mark Langhammer, der energiegeladene Vorsitzende des FC Crusaders, überlegt einen Moment und lächelt. Er hat viel Fantasie, aber so viel Fantasie dann doch nicht.

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