Kampf ums 9-Euro-Ticket: „Schub in die Debatte“

Ein breites Bündnis in Hamburg fordert mit einer Petition an die Verlängerung des 9-Euro Tickets. Sabine Hartmann und Jens Deye erklären warum.

Fahrgäste steigen am Hamburger Hauptbahnhof in eine S-Bahn

Billig und begehrt: öffentlicher Nahverkehr in Zeiten des Neun-Euro-Tickets Foto: Christian Charisius/dpa

taz: Frau Hartmann, Herr Deye, wie groß ist die Chance, dass das 9-Euro-Ticket bleibt?

Sabine Hartmann: Der Kanzler hat sich ja erstaunlich weit aus dem Fenster gelehnt, indem er gesagt hat, dass das eine der besten Ideen ist, die es je gab. Ich glaube, es macht einfach kein gutes Bild, wenn die Politik zurückrudert und sagt: Es ist nicht ­finanzierbar. Das stimmt ja nicht.

Bislang ist laut Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) das höchste der Gefühle ein deutlich teureres Monats- oder Jahresticket.

Und das wäre von Nachteil. Ich habe viele Leute getroffen, die gesagt haben: Mensch, zum ersten Mal kann ich mir noch mal eine Fahrt in den Garten leisten. Beim 9-Euro-Ticket geht das super, bei 69 Euro wären sie wieder draußen.

Ein Dämpfer in der Diskussion war, dass viele der Fahrten mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zusätzlich stattfinden, nicht alternativ zum Autoverkehr.

Sie erreichen uns gerade auf dem Land. Hier kann ich nur mit dem Fahrrad zum nächsten Bahnhof fahren, um dann wieder in den ÖPNV zu steigen. Meine Nachbarn sagen: Es wäre so toll, wenn wir nicht mit dem Auto in die Stadt fahren müssten. Wenn jetzt hier regelmäßig ein Bus fahren würde, der dann auch die Mobilität auf dem Land sicherstellt, würde das Ganze noch mal einen ganz anderen Drive kriegen.

Dieser Ausbau im ländlichen Raum ist gerade eines des Gegenargumente zur Verlängerung des 9-Euro-Tickets: Dafür bliebe dann kein Geld mehr.

Das halte ich für Fake News. Das Bundesumweltamt hat wunderbare Statistiken, wie viel Subventionen es für fossil betriebene Mobilität gibt. Da kommen wir auf eine Summe von 60 Milliarden. Der Verkehrssektor muss sich umstrukturieren, der erreicht seine CO2-Einsparziele nicht. Der ÖPNV ist ein wesentlicher Schlüssel dazu.

Das sind sehr alte Forderungen, siehe etwa die Dienstwagensubventionen. Was macht Sie optimistisch, dass die jetzt umgesetzt werden?

Das hängt natürlich von der Gesellschaft ab, wie sehr sich die Bür­ge­r:in­nen selber informieren. Ich finde es nicht zielführend, die Diskussion alleine auf das Dienstwagenprivileg zu verengen. Man muss den ganzen Sektor betrachten. Man könnte meinetwegen auch übers Ehegattensplitting reden, das sind, glaube ich, 20 Milliarden.

Sabine Hartmann

57, ist Sprecherin der Hamburger Initiative „HVV Umsonst“.

Würden Sie sich da von Anjes Tjarks, dem grünen Hamburger Senator für die Mobilitätswende, noch lautere Worte wünschen?

Ja, ich würde mir von Anjes Tjarks wünschen, dass er sich im Bundesrat, bei der Bundespolitik stark macht. Bisher haben er und auch der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) immer gesagt: Wir können billiger werden, wenn wir alles ausgebaut haben. Gerade bei den steigenden Preisen, die wir im Moment erleben, ist es doch toll, wenn man einen Haushaltsposten hat, nämlich meine persönliche Mobilität, der bei neun Euro liegt.

Sie beißen sich seit Jahren die Zähne aus an der Forderung nach einem kostenlosen HVV. Ist das für Sie die Stunde, wo sich endlich etwas bewegt?

Das hat noch mal richtig Schub in die Debatte gebracht.

Jens Deye: Laut HVV ist die Pkw-Nutzung um zwölf Prozent zurückgegangen.

Hartmann: In der Vergangenheit war es ja auch schon so, dass die HVV-Preise über den Inflationsraten lagen. Irgendwann war der Bogen so überspannt, dass der HVV mit seinen Fahrgastzahlen nicht mehr gewachsen ist. Das ist natürlich nicht das, was wir wollen – wir wollen, dass die Pendler umsteigen.

Jens Deye

42, ist Vorstand im Verkehrsclub Deutschland (VCD) Nord.

Ich fand es auffällig, wie breit das Bündnis für die Demo morgen in Hamburg ist – von der ­alevitischen Gemeinde bis zum Fanladen St. Pauli. Ist das eine neue Enwicklung?

Deye: Es zeigt, wie breit der gesellschaftliche Wille ist, dass das Ticket weitergeführt wird, und wie wichtig auch der soziale Aspekt bei dem Thema ist. Ganz viele soziale Gruppen sagen jetzt: Das ist ein wichtiger Teil der Teilnahme an der Mobilität, die ganz vielen verwehrt wurde. Etwa der Familie, die jetzt einfach mal am Wochenende an die Ostsee fahren kann.

In Berlin gibt es eine Initiative, die einen Fonds für Schwarzfahrer aufgelegt hat, um das 9-Euro-Ticket bereits jetzt fortzuführen. Ist das für Hamburg zu radikal?

Für so einen Fonds muss man organisatorisch gut aufgestellt sein. Falls man in der Politik doch wieder zu seinem Weiter-so übergeht, müssen wir da in Zukunft vielleicht über eine breite Bündnisebene herangehen. Es braucht eine ganze Menge Spender:innen, um das zu bestücken. Wünschenswert ist das mit Sicherheit.

Wie geht es nach der Demo weiter?

Hartmann: Wir hoffen ja, dass die Politik noch den Drive findet. Und zwar nicht erst, wenn im November von Herrn Wissing irgendwelche Zahlen evaluiert worden sind. Wir haben auf unserer Petitionsseite auch noch eine Eingabemöglichkeit, wo man die Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft auffordern kann, sich für das 9-Euro-Ticket einzusetzen.

Demonstration „9-Euro-Ticket forever“, 16 Uhr Hamburg, Jungfernstieg

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