Debatte über 9-Euro-Ticket in Berlin: Wann, wer, wo und wie teuer?
Die SPD hat mit ihrem „9-Euro-Ticket AB“ die Konfusion noch erhöht. Viele würden eine Fortsetzung des Angebots begrüßen – doch es gibt auch Kritik.
Berlin taz | Nur noch bis Mittwochmitternacht gilt das 9-Euro-Ticket – doch wie eine Anschlusslösung aussehen könnte, bundesweit und regional, ist weiter unklar. Jede Menge Vorschläge stehen im Raum, und sie sind fast so verwirrend wie das Tarifangebot der Deutschen Bahn. Auch die Berliner SPD hat dazu ihren Beitrag geleistet, als sie Ende vergangener Woche ein 9-Euro-Ticket für Oktober bis Dezember nur für den Berliner Tarifbereich AB forderte – als Übergangslösung bis zu einem bundesweiten Nachfolger für das Billigticket und zur Entlastung der von der Energiekrise gebeutelten Bürger*innen.
Doch der Vorschlag war weder mit den Koalitionspartnern, Grüne und Linke, noch mit Brandenburg und dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) abgestimmt. Dabei müsste der VBB, der die Tarife mit rund 50 beteiligten Verkehrsbetrieben in beiden Ländern aushandelt, auch einer berlininternen Lösung zustimmen.
Aber die ist vielleicht gar nicht mehr gewollt. Am Montagmorgen erklärte die SPD-Landes- und Berlins Regierungschefin Franziska Giffey im RBB-Hörfunk, sie würde ein Ticket, das das direkte Berliner Umland und damit viele Pendler*innen einschließt, vorziehen. „Schöner wäre, bis ins Tarifgebiet C reinzugehen“, so Giffey. Das müsse man jetzt mit dem Verkehrsverbund klären.
Beim VBB selbst will man die Vorschläge nicht bewerten und auch keine Aussagen treffen über mögliche Kosten und die Umsetzung. „Der VBB beobachtet und begleitet die Diskussion um die Nachfolge des 9-Euro-Tickets“, erklärt Sprecherin Elke Krokowski auf taz-Anfrage. Immerhin deutet sie eine Präferenz an: Grundsätzlich sei man an einer „verbundweiten Lösung für Berlin und Brandenburg“ interessiert. Ob dazu bereits ein ABC-Ticket gehört, ließ sie offen.
Brandenburg winkt schon mal ab
„Wir müssen das Ticket fortführen, weil es ein Gamechanger ist“
Offen ablehnend reagierte Brandenburg am Wochenende auf den Vorstoß der Berliner SPD – bislang hat sich daran nichts geändert. Regierungschef Dietmar Woidke, immerhin selbst Genosse, erklärte: „Hier muss ein bundeseinheitliches, attraktives und seriös finanziertes Modell gefunden werden, das für Flächenländer ebenso funktioniert wie für Stadtstaaten.“ CDU-Verkehrsminister Guido Beermann will erst grundsätzliche Fragen geklärt wissen: „Wir müssen sehen, wie wir das aktuelle Angebot trotz der massiven Preissteigerungen im Energiesektor aufrechterhalten können. Erst dann können wir über Tarife sprechen.“ Dazu müsse der Bund einen Vorschlag machen – und ihn ausfinanzieren.
Offenbar war die Berliner SPD auch nicht in die Gedankenspiele der SPD-Bundestagsfraktion eingebunden. Wie am Sonntag bekannt wurde, schlägt Letztere als Nachfolgeregelung ein bundesweites 49-Euro-Ticket vor, die Kosten sollten je zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden. Wie passt da ein Berliner 9-Euro-Übergangsticket ins Konzept?
Gar nicht, findet Grünen-Fraktionschef und -Verkehrsexperte Werner Graf. Er fordert eine „Harmonisierung“ der Tarife. Heißt: Erst müsse klar sein, was der Bund als Anschlusslösung umsetzt, um in der Zwischenzeit nicht noch ein anderes Ticket auf den Markt zu werfen. Graf glaubt, dass diese Entscheidung schnell kommt trotz des bisherigen Zauderns von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP): „Da kann sich der Bund nicht drum drücken.“
Die Grünen setzen sich für ein bundesweites 49-Euro-Ticket ein, gleichzeitig sollen regionale All-inclusive-Verbünde wie das VBB-Tarifgebiet 29 Euro kosten. Aber wenn ein Berliner oder Berlin-Brandenburger Sonderticket, wie von Rot-Grün-Rot am Freitag besprochen, bereits im Oktober kommen soll, müsse es jetzt „schnell gehen“, so Graf. Er sieht grundsätzlich Einigkeit in der Koalition: „Wir sind uns einig, dass wir die Berliner*innen entlasten wollen, vor allem jene mit niedrigem Einkommen.“
Kritik vom BUND
Menschen entlasten, die wenig Geld haben, das findet auch der Landesgeschäftsführer des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), Tilmann Heuser, gut – aber eben nicht jede und jeden: „300 bis 400 Millionen Euro Steuergelder lassen sich deutlich effizienter und zielgenauer einsetzen“, twitterte Heuser unter Bezugnahme auf die Summen, die für ein Berliner 9-Euro-Ticket gehandelt werden. Das gelte auch für die Ziele Energiesparen und Klimaschutz.
Gegenüber der taz bemühte Heuser das Wort vom „Gießkannenprinzip“, er vermisse eine klare Entlastungsstrategie. Viel besser fände er es, wenn nur Einkommensschwache beim Ticketkauf deutlich weniger zahlten und mit dem übrigen Geld Maßnahmen wie eine Jobticket-Kampagne oder Energiesparberatungen finanziert würden. Ganz zu schweigen vom Ausbau des ÖPNV: „Was haben wir von einem 9-Euro-Ticket für alle, wenn gleichzeitig die BVG wegen Personalmangels den Betrieb von Buslinien einstellen muss?“
Ganz anders argumentiert der Verein Changing Cities. Sprecherin Ragnhild Sørensen fordert, dass die günstige Fahrkarte für alle unbedingt fortgesetzt wird. „Natürlich muss auch das ÖPNV-Angebot verbessert werden, natürlich brauchen die MitarbeiterInnen gute Arbeitsbedingungen“, sagt sie. „Aber wir müssen das Ticket fortführen, weil es ein Gamechanger ist.“
Das 9-Euro-Ticket habe eine Dynamik ausgelöst: „Da ist richtig Schwung drin.“ Sollte sich später – entgegen ihren Erwartungen – herausstellen, dass das anfängliche Interesse abflaue, könne man ja noch nachsteuern. Das Argument, es gebe zu wenig Geld, um den Nahverkehr für alle gleich billig zu machen, lässt Sørensen nicht gelten: „Es gibt so viele klimaschädliche Subventionen, die noch abgebaut werden können.“