Kampf um den Weserdeich: Im Gestrüpp der direkten Demokratie
Der Bremer Senat verbietet einen Volksentscheid zum Hochwasserschutz – gegen den Willen der Linken. Nun muss das Verfassungsgericht entscheiden.
Ja, natürlich, sagt die mitregierende Bremer Linke. Nein, sagen die Grünen und ihre Ministerin, denn hier gehe es um „Leib und Leben“. Und da möchte sie, da möchte ihre Partei das Volk lieber nicht entscheiden lassen: „Deichschutz ist nicht verhandelbar“, sagt Frau Schaefer. In der SPD denkt man da ähnlich.
Und weil dieser Konflikt SPD und Grüne auf der einen und Linke sowie eine starke Bürgerinitiative (BI) auf der anderen Seite in Bremen schon länger auseinander treibt, hat die Bremer Koalitionsregierung nun vor Weihnachten den heiligsten aller Koalitionsregierungsgrundsätze über den Haufen geworfen. Nämlich den, dass die Parteien in der Regierung – in diesem Falle: im Senat – stets einheitlich abstimmen. Dieser Grundsatz wurde nun in Bremen, „als besonderer Ausnahmefall“, wie es heißt, außer Kraft gesetzt.
Hintergrund ist eine Volksbegehrensinitiative, welche die BI gestartet hat, mit Unterstützung von rund 26.000 Bremer:innen. Sie vertreten, anders als vor allem SPD und Grüne, anders als die zuständige Behörde und der Deichverband die Auffassung, dass der Hochwasserschutz sehr wohl möglich ist, wenn man die 136 Platanen nicht fällt. Und zwar dann, wenn man hinter die Bäume am Deich eine hohe Spundwand einlässt. Dazu hat sie ein 37-seitiges Gutachten des Ingenieur- und Bauunternehmens CDM Smith eingeholt, das diese Sicht der Dinge bestätigt.
Keine Abstimmung bei der Wahl 2023
Der Plan der BI: Wenn im kommenden Mai in Bremen ein neuer Landtag gewählt wird, dürfen die Bremer:innen über das Volksbegehren abstimmen. Also über die Frage, ob die Bäume gefällt werden dürfen, oder eben nicht.
Daraus wird nun nichts. Denn die Linken im Senat sind unterlegen, das Volksbegehren wird erst mal nicht zugelassen, weswegen die Frage, ob die Wähler:innen bei der Deichsicherheit mitbestimmen dürfen, nun zum Bremer Staatsgerichtshof getragen wird, zu Bremens Verfassungsgericht. Die Richter:innen dort müssen nun entscheiden, ob das Volksbegehren erlaubt wird oder nicht. Wenn das Urteil fällt, ist die nächste Bürgerschaftswahl natürlich längst gelaufen. SPD und Grünen ist das ganz recht. Der Volksentscheid müsste dann wohl bis zur Europawahl 2024 warten.
Das Plebiszit bringt insbesondere die Grünen politisch in Bedrängnis: Gerade für sie gehört die positive Einstellung zur Volksgesetzgebung ja zum Wesenskern. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag steht deshalb auch: „Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern belebt und bereichert die repräsentative Demokratie.“ Im konkreten Falle ist gerade den Grünen die Gefahr aber zu groß, dass das Volk falsch, also zugunsten der 136 Bäume abstimmt. Die Linke ist da zuversichtlicher.
Schon einmal ist das grüne Bau- und Umweltressort mit seiner Politik an einem Volksbegehren gescheitert: Obwohl es in der Bremischen Bürgerschaft eine breite Mehrheit dafür gab, dass die ehemalige Galopprenbahn in der Vahr mit Wohnungen für 1.200 Menschen bebaut wird, hat eine im Stadtteil initiierte Volksabstimmung 2019 genau das verhindert.
„Wir nehmen das Volksbegehren sehr ernst“, sagt Schaefer nun. „Es kann aber keine Abstimmungen geben, deren Ergebnis Menschen in Gefahr bringt und der in der Verfassung verankerten Pflicht der Regierung zum Schutz der Bevölkerung zuwiderläuft“, sagen die beiden grünen Bremer Parteichefs. Ein Kompromiss zwischen der Deichsicherheit und direkter Demokratie sei da „nicht möglich“.
Der gerade von den Grünen vorgetragene Gegensatz ist gar keiner, sagt indes die BI, die natürlich auch in Anspruch nimmt, für den sicheren Hochwasserschutz zu sein. „Es ist schon erschreckend, mit welcher Schamlosigkeit die Öffentlichkeit von Seiten des Senats getäuscht wird, um einen Volksentscheid zur Bürgerschaftswahl 2023 zu verhindern“, heißt es in einer Presseerklärung. Der Bremer Senat habe damit „einen weiteren Tiefpunkt in Sachen Bürgerbeteiligung und demokratischer Mitbestimmung erreicht“, Politik- und Demokratieverdrossenheit werde „ungerührt in Kauf genommen“, kritisiert die BI.
Es könnten neue Platanen gepflanzt werden
Inhaltlich geht es um die Frage, wie das Alternativkonzept der BI fachlich zu bewerten ist. Die Linken halten die Spundwand für „keine zumutbare Lösung“, weil sie so hoch sein müsste, das keiner drüber wegsehen könne und am Ende wohl nur ein Teil der Bäume gerettet würde. Die Grünen sprechen von einem „gewagten Experiment“. Und das Ingenieurbüro mochte sein Konzept nicht dem Runden Tisch vorstellen, der in Bremen den seit 2016 zunehmend erbittert geführten Streit um die Platanen moderieren soll.
Die Baubehörde hat das Gutachten zuvor schon in Gänze verworfen. CDM Smith rechne noch nicht mit den aktuellen Zahlen des Generalplans Küstenschutz von 2021, die vorgeschlagene Spundwand sei nicht hoch genug. Zudem bleibe das Risiko, dass die Bäume den Bau nicht überleben oder aber im aufgeweichten Deich umkippen und ihn destabilisieren.
Der Baubeginn war ursprünglich für 2021 geplant – zuletzt ging Schaefer davon aus, dass ab 2024 abgeholzt werden kann. Der Deich, bisher eine begrünte Böschung aus Trümmern, soll dann durch ein höheres, massiveres Bauwerk ersetzt werden. Davor soll eine Promenade entstehen – mit kleineren Bäume, die die 136 dann Gefällten ersetzen. Es könnten sogar wieder Platanen sein.
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