Kampf um Rohstoffe in Libyen: Ölstaat exportiert wieder
Nach der Eroberung von Ölverladehäfen wird der Export wieder aufgenommen. Dabei machen auch die Stämme ihren Einfluss geltend.
Die sogenannten Ölwächter des ehemaligen Milizenchefs Ibrahim Dschadran verschwanden binnen Stunden aus den Terminals, trotz ihrer Stärke von offiziell 21.800 Mann. So viele Namen hatte Dschadran zumindest der Einheitsregierung von unter Fajes Serradsch nach Tripolis gefaxt. Er forderte die Bezahlung seiner Dienste, mit der in Libyen zurzeit üblichen Methode, der Blockade der Ölanlagen.
Dass Öl aus Sidra und Ras Lanuf zuletzt nicht über die offiziellen Wege verladen wurde, spürten die Bürger im ganzen Land. Der Staatshaushalt wird fast nur aus dem Verkauf des Rohöls gespeist. Leere Banktresore führten zu langen Schlangen, nur 200 Dinar (40 Euro) kann man derzeit in Tripolis monatlich abheben.
„Dass eine selbsternannte Miliz wie die von Dschadran die Hauptgeldquelle Libyens bewacht und gleichzeitig die Regierung erpresst, sagt alles über die Lage im Land aus“, kommentiert der Journalist Ala Drissi aus Bengasi.
Der Stamm lehnt das Angebot ab
Wie wichtig Ras Lanuf und Warlord Dschadran sind, erfuhr auch der in der Provinz Cyreneika im Osten des Landes ungeliebte UN-Sondergesandte Martin Kobler. Vor dem Handstreich Hafters versuchte Kobler mit einem Überraschungsbesuch in Dschadrans Hauptquartier bei Adschdabija, seinen Clan davon zu überzeugen, die Pipelines wieder freizugeben, damit Geld in die Regierungskasse fließt. Dabei half auch ein mehrere Millionen schwerer Scheck, den Premier Serradsch an Dschadran schickte, wie aus Regierungskreisen verlautete. Doch der Margharba-Stamm, dem die Dschadrans angehören, lehnte das Angebot ab.
Die Familien- und Stammesstrukturen in der Cyreneika ließen Kobler ihre Macht spüren, indem sie Dschadran fallen ließen. Hafters Armee konnte fast unblutig in die Ölhäfen einmarschieren, weil die Ölwächter auf Wunsch der Stammesältesten desertierten.
Auch wenn mit Hafter ein immer strengeres Militärregime in Bengasi nach ägyptischem Modell Einzug hält, ziehen viele Libyer nach fünf Jahren Milizenwillkür jede Form von Ordnung dem Chaos vor. „Die Islamisten, das Militär und die Milizen haben die zunächst erfolgreiche Übergangsphase zur Demokratie zerstört. Jetzt zählt für die Bürger nur noch die persönliche Sicherheit“, so Drissi.
Militärparade zur Abschreckung
Nachdem die Nationale Ölagentur NOC die Übernahme von Ras Lanuf durch Hafter begrüßte, stiegen der Wert des Dinar und die Hoffnung, die Milizen doch noch loszuwerden. Deren Kommandeure befahlen zur Abschreckung eine Militärparade in Tripolis.
Immer wieder donnern MIG-Kampfflugzeuge im Tiefflug über Ras Lanuf mit seinen 30.000 Einwohnern. Dschadran kämpfte sich unterdessen mit den „Verteidigern Bengasis“, einer aus Islamisten zusammengesetzten Anti-Hafter-Truppe, wieder bis an den Stadtrand vor, während seine Anhänger Stellungen Hafters angriffen.
Die Aktivistin Noura Jerbi berichtet von heftigen Straßenkämpfen in Bengasi um die Villen, die Dschadran seinen Anhängern mit dem Geld aus Tripolis zur Verfügung gestellt hat. 40 Prozent der Einwohner von Ras Lanuf stünden auf seiner Lohnliste, so Jerbi. „Solange sie glauben, dass Dschadran zurückkehren könnte, wird dieser Kampf weitergehen“, sagt sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen