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Kampf gegen Paragraph 353dWer darf publizieren?

Es ist verboten, Gerichtsdokumente während eines Verfahrens zu veröffentlichen. Jour­na­lis­t*in­nen klagen, mit dem Ziel, den Paragrafen abzuschaffen.

Nicht zur Veröffentlichung gedacht: Gerichtsakten während des Verfahrens Foto: Robert Poorten/imago

Darf man Gerichtsdokumente während eines laufenden Verfahrens veröffentlichen? Arne Semsrott, Journalist bei FragDenStaat, findet: Ja. Er hält einen entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch, der genau das verbietet, für verfassungsfeindlich, weil er gegen das Grundgesetz der Presse- und Wissenschaftsfreiheit verstoße. Um das vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen, hat er zwei Beschlüsse veröffentlicht, wurde angezeigt, musste vor Gericht und ist Mitte Oktober zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die er allerdings nur bei Wiederholung zahlen muss.

Semsrott freut sich über das Urteil. Denn nun kann er die Entscheidung anfechten und im ersten Schritt vor den Bundesgerichtshof, dann vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Bis der Fall dort landet, können allerdings Jahre vergehen.

Ruhig soll es um das Thema bis dahin nicht bleiben. „Heute habe ich die Her­aus­ge­be­r*in­nen der Neuen Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) angezeigt, weil sie einen Beschwerdebeschluss des Landgerichts München I veröffentlicht haben, der noch Teil eines laufenden Verfahrens war“, schreibt der Journalist Jean Peters von Correctiv bei LinkedIn. „Es besteht daher der Verdacht eines Verstoßes gegen § 353d StGB.“

Gegen genau den Paragrafen, wegen dem auch Semsrott verurteilt worden war. Peters schreibt weiter: „Mal sehen, ob das Gericht nicht nur Journalist*innen, sondern nun auch renommierte Bun­des­rich­te­r*in­nen verurteilen wird.“ Denn: Unter den Her­aus­ge­be­r:in­nen der genannten Fachzeitschrift sind mehrere Bundes- und Verfassungsrichter*innen. Genau jene also, die über die Recht- und die Verfassungsmäßigkeit des Paragrafen zu entscheiden haben. Unter ihnen ist auch der ehemalige BGH-Richter Thomas Fischer, bekannt durch seine Kolumnen und als häufiger Talkshow-Gast.

Zweierlei Maß?

In der NStZ diskutieren Ju­ris­t*in­nen aktuelle Gerichtsentscheidungen, die sie teils im Wortlaut veröffentlichen. In der Anzeige bezieht sich Peters auf einen Beschluss vom 16. November 2023 gegen Mitglieder der Letzten Generation. Die NStZ habe den Beschluss veröffentlicht, bevor das Gericht diesen selbst online publiziert habe, schreibt Peters. Gerichte selbst fallen nicht unter das Verbot.

Ganz überraschend kommt die Anzeige nicht. Im Prozess vor dem Landgericht Berlin um Semsrott hatte sein Verteidigerteam die Veröffentlichung in der Fachzeitschrift bereits angesprochen. Es gebe häufig „Entscheidungen aus laufenden Verfahren in Fachzeitschriften und in Justizdatenbanken, ohne dass uns bekannt ist, dass gegen die Au­to­r*in­nen ermittelt wird“, sagte Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die das Verfahren um Paragraf 353d unterstützt. Anwalt Lukas Theune sagte in seinem Schlussplädoyer mit Bezug auf die Veröffentlichung in der NStZ, dass konsequenterweise auch deren Her­aus­ge­be­r*in­nen verklagt werden müssten, und fragte: „Oder soll hier mit zweierlei Maß gemessen werden?“

Herausgeber Thomas Fischer sagte der taz auf Anfrage, eine entsprechende Strafanzeige sei ihm nicht bekannt. Ob die NStZ den Beschluss vor Veröffentlichung durchs Gericht veröffentlicht habe, wisse er nicht. Über Veröffentlichungen entscheide die „Schriftführung“ – also die Redaktion. Dazu verwies er auf seinen Gastbeitrag im Online-Rechtsmagazin LTO vom März. Darin schreibt er, dass er den Paragrafen für verfassungsmäßig hält, vor allem, weil das Bundesverfassungsgericht dies zweimal bestätigt habe. Semsrott und seine Verteidigung wiederum halten das Urteil von 1985 für veraltet und das zweite Urteil von 2014 habe sich nicht mit der Pressefreiheit befasst.

Eine Abschaffung von 353d, die Semsrott fordert, hält Fischer für falsch. Der Paragraf schütze die Verfahrensbeteiligten vor Beeinflussung von außen. Vorstellen kann er sich allerdings Ausnahmen für bestimmte „Zwischenentscheidungen“, die die Gerichte zuvor selbst veröffentlicht haben. Das wäre nicht ganz so weit entfernt von den Vorstellungen des Verteidigungsteams von Semsrott. Das will zwar im besten Fall eine Abschaffung des 353d, wenigstens aber kein generelles Verbot, sondern eine Einzelfallabwägung.

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5 Kommentare

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  • Anwalt Lukas Theunes Frage, ob hier mit zweierlei Maß gemessen werden soll, ist eine rein rhetorische, denke ich. Hier und heute wird nämlich nicht nur mit zweierlei Maß gemessen, wie der Mann sicher ganz genau weiß. Er will nur dran erinnern, denn er will das Schlechte Gewissen für sich arbeiten lassen.

    Es gibt Millionen verschiedene Maßstäbe hierzulande heutzutage. Jeder und jede legt seine bz. ihre eigenen an an seine bzw. ihre Lieblingsthemen. Und vermutlich will auch Herr Sensrott nicht gleiches Recht für alle. Er will nur exakt die Privilegien für sich selber, die bisher nur Gerichte haben.

    Was es letztendlich für Verfahrensbeteiligte bedeuten würde, wenn alle dächten wie er, ist ihm vermutlich völlig egal. Er will unbedingt mehr Einfluss. Und wer ernsthaft mehr Einfluss will, der darf sich um andere und eventuelle negative Konsequenzen keine zu großen Gedanken machen in unserer Wettbewerbsgesellschaft. Das Ergebnis des „Trends“ können wir alle jeden Tag neu unseren Lieblingsmedien entnehmen. Aber Verantwortlich ist dafür natürlich niemand.

  • Hier steht m. E. ein zentrales Rechtsgut zur Disposition, nämlich die Unabhängigkeit der Justiz. Werden während eines laufenden Verfahrens Gerichtsdokumente veröffentlicht, wird schon die Entscheidungsfindung des Gerichts Thema öffentlicher Debatten. Man mag sich nicht ausmalen, zu welchen Weiterungen das führen kann, denn die Vorstellung, dass Gericht bleibe davon unberührt, ist schlicht naiv. Das ist nämlich genau das Ziel von Leuten wie Semsrott.

  • Wenn schon Wissensfreiheit, dann sollen Journalisten auch ihre. Quellen offen legen. Nicht Namen der Redaktion bekannt ,oder Name geändert sondern Butter bei die Fische.

  • In der Sache kann man hier ja gerne dieser oder jener Meinung sein. Aber das Argument, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1985 "veraltet" sei, ist kaum relevant. Gibt es etwa so etwas wie ein Verfallsdatum für Verfassungsentscheidungen? Die Verfassung selbst ist ja noch viel älter und ist was dieses Thema betrifft auch nicht verändert worden. Über richtig und falsch darf gerne gestritten werden, aber doch bitte mit inhaltlichen Argumenten!

    Dass heute ein anderer Zeitgeist herrscht, mag ja sein. Aber ist das nicht auch der Sinn der Verfassung, der Gesellschaft Stabilität zu geben und vor den wankelmütigen Launen des Zeitgeistes zu schützen, der sich morgen schon wieder nach dem Wind drehen kann?

  • Mit dem ergangenen Beschwerdebeschluss war das Verfahren bereits abgeschlossen. Eine Strafbarkeit käme insoweit nur in Betracht, wenn die Veröffentlichung vor der Zustellung an die Prozessparteien erfolgt ist.