Kamerunische Botschaft besetzt: An die Gewalt erinnern
Exilgegner von Kameruns Langzeitherrscher Paul Biya erinnern an die Gewalteskalation in ihrem Land. Dort wird derweil scharf geschossen.
Auf Videos aus dem Botschaftsgebäude im Berliner Westend ist zu sehen, wie rund zehn junge Kameruner in den Räumen herumlaufen, es sich am Schreibtisch des Botschafters gemütlich machen und ein Bild des Oppositionsführers Maurice Kamto anstelle von Präsident Paul Biya aufhängen.
Die Berliner Polizei erklärte zwar, zu den Hintergründen könne sie „noch nichts sagen“ und „das müssen wir uns noch genauer ansehen“, doch die Hintergründe erscheinen klar.
Es geht um Kameruns politische Krise nach den Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2018, bei denen die Opposition den Sieg des Amtsinhabers Biya nicht anerkennt, und der Bürgerkrieg im anglophonen Landesteil an der Grenze zu Nigeria, wo Separatisten für eine unabhängige „Republik Amazonien“ kämpfen.
Wahlergebnis bleibt umstritten
Bei den Wahlen am 7. Oktober hatte Präsident Biya, der Kamerun seit 1982 regiert, offiziell mit 71 Prozent gewonnen; der wichtigste Oppositionskandidat Maurice Kamto von der „Bewegung für die Renaissance Kameruns“ (MRC) kam demnach auf 14 Prozent. Kamto erklärte sich demgegenüber selbst zum Sieger.
Seine Anhänger, insbesondere in Kameruns größter Stadt Douala, sehen ihn als legitimen Staatschef an. Proteste der MRC werden seitdem regelmäßig mit Massenverhaftungen im Keim erstickt.
Am Samstag wurden bei MRC-Aufmärschen in mehreren Städten 117 Menschen festgenommen, darunter Kamtos ehemaliger Wahlkampfleiter Paul-Eric Kingue. Kamtos Anwältin Michèle Ndoki erlitt einen Beinschuss.
Während die Behörden erklärten, die Sicherheitskräfte hätten in Douala keinen Gebrauch von der Schusswaffe gemacht, zirkulierten mehrere Videos, die das Gegenteil belegen sollen.
Auf einem von hinter einem Metallgitter aufgenommenen Handyfilm ist zu sehen, wie ein Uniformierter einen vor ihm laufenden unbewaffneten jungen Mann barsch auffordert, weiterzugehen, ihn von hinten in den Unterschenkel schießt, so dass er hinfällt, und ihm dann befiehlt, aufzustehen und weiterzulaufen, was er nur noch auf einem Bein kann.
Das Video sei in Douala am Samstag nachmittag entstanden, berichtete ein Oppositionsanhänger der taz.
Gewalt in „Ambazonien“ dauert an
Der Samstag war nicht zufällig ausgewählt: es ist der erste Jahrestag der Inhaftierung der wichtigsten anglophonen Separatistenführer, nachdem diese von ihrem Zufluchtsland Nigeria ausgeliefert worden waren. 47 Häftlinge, darunter der „Präsident“ der „Republik Ambazonien“, Julius Ayuk Tabe, sitzen seitdem in Kameruns Hauptstadt Yaoundé in Haft.
Gegen Ayuk Tabe und neun weitere begann im Dezember ein Terrorprozess, der mittlerweile auf Februar vertagt wurde. Die Angeklagten erkennen das Gericht nicht an, da sie keine Kameruner seien, und verlangen Verfahren in Nigeria, wo parallel gegen ihre Auslieferung geklagt wird. Rechtsanwälte gehören zum Kern der sich meist aus intellektuellen Kreisen rekrutierenden Amabazonien-Führer.
Die Gewalt in den anglophonen Provinzen, wo die Armee weitgehend freie Hand im Kampf gegen Rebellen hat, erzeugt derweil wachsende internationale Sorge. „Kamerun darf keine vergessene Krise mehr sein“, sagte am Donnerstag die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe in Kamerun, Allega Baiocchi, bei der Präsentation ihres Jahresplans.
Die UN rechnet damit, dass dieses Jahr 4,3 Millionen Menschen in Kamerun – ein Sechstel der Bevölkerung und 31 Prozent mehr als im Vorjahr – humanitäre Hilfe benötigen werden. Der Konflikt in den anglophonen Provinzen sei der Hauptgrund.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau