Kai Gehring über den Bildungsausschuss: „Es ist ein Umsetzungsproblem“
Der Bildungsausschuss tagt ab sofort öffentlich. Ausschussvorsitzender Kai Gehring (Grüne) erklärt, warum das gut für die Demokratie ist.
taz: Herr Gehring, Sie leiten den Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, der wie fünf andere ab sofort öffentlich tagt. Was versprechen Sie sich davon?
Kai Gehring: Öffentliche Debatten in den Bundestagsausschüssen führen dazu, dass mehr Menschen mitbekommen, wie parlamentarische Arbeit funktioniert. Wie Entscheidungen zustande kommen. Die Öffentlichkeit unserer Ausschusssitzungen schafft Transparenz und Nahbarkeit. Sie bewirkt im Idealfall, dass Bildung, Forschung und Wissenschaft mehr Aufmerksamkeit erlangen. Die Themen, die wir in unserem Ausschuss behandeln, bewegen ja viele Menschen: Die Bildungsleistungen sinken, der Fachkräftemangel verschärft sich. Wir schlittern in eine der größten innenpolitischen Problemlagen hinein. Das sind Themen, über die wir im Ausschuss diskutieren – und jetzt öffnen wir dabei die Türen.
Die Ausschüsse konnten aber bereits schon vorher entscheiden, öffentlich zu tagen. Warum braucht es die Reform?
Es stimmt, wir haben Anhörungen schon aufgezeichnet und zur Verfügung gestellt. Aber jetzt ist die Regel: Alles ist öffentlich. Das umfasst grundsätzlich alle Tagesordnungspunkte, Regierungsvorhaben genauso wie Anträge der Opposition. Das kann auch interessant sein für andere Bundestagsausschüsse, wenn wir hier mit externen Sachverständigen über neue wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen. Vor allem ist es aber ein Angebot für Bürger:innen, die parlamentarische Arbeit und Wege der Entscheidungsfindung besser kennenzulernen. Ich bin gespannt, wie viele Menschen es annehmen.
Laut einer Studie im Auftrag der Körber-Stiftung von 2021 vertraut in Deutschland nur jede:r Dritte politischen Organen wie Bundestag und Bundesrat. Wie viel können Live-Übertragungen im Parlamentsfernsehen bewirken, um eine politskeptische Mehrheit zurückzugewinnen?
Mitte Dezember hat der Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP für eine Reform seiner Geschäftsordnung gestimmt. Danach werden zunächst sechs Ausschüsse öffentlich tagen – darunter der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (ABFTA). Ende Januar hat der ABFTA den öffentlichen Sitzungen zugestimmt. Weiter sieht die Reform vor, dass sich die Regierungsbefragung von 60 auf 90 Minuten verlängert, die Fragestunde von 90 auf 45 Minuten verkürzt. Künftig sollen der Regierungsbefragung zwei Mitglieder der Bundesregierung (statt einem) beiwohnen. Die Reform trat zum 1. Januar in Kraft. (taz)
Es ist zumindest ein Angebot, über Transparenz das Vertrauen zu stärken. In einzelnen Gruppen gründet das Misstrauen ja darauf, dass da etwas hinter verschlossenen Türen beraten werde. Jetzt öffnen wir diese Türen und jede:r kann sich ein eigenes Bild machen. So hatten wir eine inspirierende Sitzung zur Rolle der Wissenschaft für die Parlamentsberatung, in der klar wurde: Die Politik muss auch dann Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen, wenn die Wissenschaft noch nicht alles vollständig weiß. Das Thema hat uns als Gesellschaft zuletzt ja sehr beschäftigt. Natürlich können wir jetzt keine Wunder erwarten. Aber wir können mit Transparenz und guter Kommunikation allen entgegentreten, die Debatten manipulieren wollen oder Verschwörungsmythen stricken.
45, ist grüner Bildungspolitiker und seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 2021 leitet er den Bildungsausschuss.
Wäre dafür nicht auch gut, wenn der Bildungsausschuss einen Account bei Youtube, Instagram & Co hätte?
Die Öffnung unserer Sitzungen ist nur der erste Schritt hin zu einer besseren Kommunikation. Als Ausschussvorsitzender ist es mir wichtig, auch auf Social Media Einblicke in unsere Arbeit zu geben. Auf meinem Instagram-Profil erkläre ich beispielsweise in wöchentlichen Kurzvideos, welche Schwerpunkte und Ergebnisse unsere Sitzungen hatten. Mit solchen Formaten können wir mehr Menschen mit dem parlamentarischen Betrieb vertraut machen. Auch der Bundestag hat diese Notwendigkeit erkannt und baut seine Angebote und Personalstellen im Bereich Social Media gerade aus.
Am Mittwoch berät der Bildungsausschuss über einen Antrag der Union, Hochschulen wegen der Energiekrise stärker zu unterstützen. Als Sachverständige reden vier Professor:innen und der Generalsekretär des Studierendenwerks. Es geht um Härtefallregelungen und energieintensive Forschung. Klingt nicht sehr bürgernah.
Es gibt rund drei Millionen Studierende und Hunderttausende Beschäftigte an unseren Hochschulen und Forschungsinstituten. Für die sind das hochrelevante Fragen. An dem Programm des Ausschusses im letzten Jahr sehen Sie, dass wir sämtliche Themen der Bildungs- und Wissenschaftslandschaft abdecken – und auch hier mit den direkten Betroffenen sprechen, möglichst vielfältige Perspektiven einbeziehen. Bei einer Anhörung zu den Folgen der Coronapandemie habe ich als erster Ausschussvorsitzender die Bundesschülervertretung eingeladen. Bei den BAföG-Reformen haben wir natürlich auch Studierendenorganisationen angehört. Von der Astronautin über das Handwerk bis zum Nobelpreisträger: Diversität der Gäste ist unser Markenzeichen.
Die Studierenden wurden gehört, sind aber dennoch unzufrieden mit Ihrer Politik. Die BAföG-Reform hat die Inflation aufgefressen, und auf den versprochenen Energiekostenzuschuss warten sie nun schon seit Monaten. Hat die Politik vielleicht weniger ein Kommunikations- als ein Umsetzungsproblem?
Da haben Sie recht, das ist hier eine Umsetzungsfrage. Bei der einmaligen Energiepauschale ärgert mich auch, dass es so lange dauert. Wir haben als Gesetzgeber erstmals im September darüber diskutiert. Ich gehe weiter davon aus, dass die 3,5 Millionen Studierenden und Fachschüler:innen die 200 Euro bis zum Ende des Winters erhalten. Aber es hätte viel früher ausbezahlt werden sollen. Wir entlasten die Studierenden auch an anderer Stelle, etwa über Zuschüsse zu den Heizkosten.
Und das BAföG? Muss das nicht auch nachgebessert werden?
Die Ampel hat die größte BAföG-Reform der jüngsten Zeit durchgeführt. Darauf bin ich stolz. Dennoch ist derzeit noch mehr als jede:r dritte Studierende armutsgefährdet. Das treibt mich sehr um. Deshalb muss die große Strukturreform, die das BAföG elternunabhängiger macht, noch in diesem Jahr angestoßen werden. Und dann wird sicher auch noch mal über die Höhe der Sätze diskutiert. Bessere Ausbildungsförderung sorgt für mehr Durchlässigkeit und Chancen für alle.
Aktuell wird vor allem über fehlende Lehrkräfte diskutiert – und die Länder suchen verzweifelt nach Lösungen. Sachsen-Anhalt verdonnert sein Personal zu Mehrarbeit, Sachsen will ab Sommer die Teilzeitmöglichkeiten einschränken und Bayern möchte tausende Lehrkräfte aus anderen Bundesländern abwerben.
Wenn jedes Land auf eigene Rechnung werkelt, ist das zu kurz gesprungen. Das brutale Headhunting von Söder ist genauso wenig sinnvoll wie verordnete Mehrarbeit. Wir brauchen ja Entlastungen für Lehrkräfte und attraktivere Arbeitsbedingungen. Ich halte es für unerlässlich, dass sich die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit dem Bund auf einen Kanon an wirksamen Maßnahmen verständigt, wie sie den Fachkräftemangel bundesweit bekämpfen kann.
Zum Beispiel?
Wir brauchen mehr multiprofessionelle Teams in unseren Schulen, aus Lehrkräften, Schulsozialarbeiter*innen und administrativen Fachkräften. Wir müssen zügiger ausländische Abschlüsse anerkennen. Viele ukrainische Lehrkräfte sprechen gut Deutsch, dürfen aber noch nicht überall ins Klassenzimmer. Auch mehr Flexibilität bei Vertretungslösungen in den vom Mangel besonders stark betroffenen Regionen kann helfen. Vor allem braucht es eine längerfristige gemeinschaftliche, gesamtstaatliche Planung. Dazu gehört, dass wir mehr junge Menschen für das Lehramtsstudium gewinnen und die Abbruchquotensenken. Damit das gelingt, müssen wir NCs senken und Studierende schon früher in die Praxis schicken – damit sie schneller den Unterrichtsalltag erleben. Der Bildungsgipfel im März kann ein Format sein, um diese Fragen gemeinsam zu diskutieren.
Die Bundesregierung möchte 4.000 Schulen in besonders schwieriger Lage unterstützen. Los geht es aber frühestens zum Herbst 2024. Ist das in der jetzigen Lage nicht zu spät?
Natürlich wäre es gut, wenn das Startchancenprogramm schon dieses Jahr starten würde. Investitionen, Chancenbudget und zusätzliche Stellen für Schulsozialarbeit könnten die Schulen sehr gut gebrauchen. Wichtig ist aber, das Programm finanziell ordentlich auszustatten. Die eine „Startchancen-Milliarde“, die der Bund zugesagt hat, ist jedenfalls zu wenig.
Die Länder sollen ja auch noch mal so viel dazugeben.
Die Summe muss überzeugen. In Zeiten der multiplen Krisen dürfen wir nicht an der Bildung sparen. Wenn wir uns in diesem Jahr im Bildungsausschuss mit dem Startchancenprogramm beschäftigen, wird das ein wichtiger Punkt sein.
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