Käuflichkeit der Medien: "Natürlich sind wir abhängig"
Die Presse ist käuflicher als wir denken, sagt der preisgekrönte Reporter Christoph Scheuring. Seine Lösung: Er produziert Magazine für Unternehmen.
sonntaz: Herr Scheuring, Sie haben vor einigen Jahren behauptet, dass sich Verlage echten Journalismus bald nicht mehr leisten können. Ist es so weit?
Christoph Scheuring: Da war ich ein bisschen voreilig, aber an dem Problem hat sich nichts geändert.
Welches Problem meinen Sie?
Das Problem, dass Journalismus eine Ware ist, mit der die Verlage Geld verdienen müssen. Journalismus ist heute nicht an erster Stelle der Aufklärung verpflichtet, sondern der Wirtschaftlichkeit.
Beides geht nicht zusammen?
Das ist genauso, wie wenn ich Margarine verkaufen will. Wenn den Leuten mein Produkt nicht mehr schmeckt, kaufen sie es nicht. Also muss ich die Rezeptur verändern.
Wie geht das?
Wenn die Menschen meine Nachrichten nicht lesen wollen, muss ich eben andere Nachrichten bringen, die sie lesen wollen. Deshalb steht selbst in seriösen Medien die Nachricht, dass Hape Kerkeling "Wetten, dass ..?" nicht moderiert, auf der ersten Seite. Wohlgemerkt: nicht moderiert. Und die Hungerkatastrophe in Somalia kommt gar nicht erst vor.
Und das soll bei Medien, die von Unternehmen finanziert werden - dem sogenannten Corporate Publishing - besser sein?
Nicht wirklich. Aber Corporate Publishing muss kein Geld verdienen. Es ist erst mal keine Ware.
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Aber es unterliegt einem Interesse.
Sie haben recht. Aber mir fallen hundert Unternehmen ein, deren Interesse es sein könnte, sich mit gutem, sauberem Journalismus zu schmücken. Banken, Versicherungen, Unternehmensberater. Jetzt im Moment die Ratingagenturen. Oder Unternehmen wie Apple oder Google.
In einer Publikation von Google gäbe es keine Geschichte über die Datenkrake Google.
Genauso wenig wie in der Bild eine Geschichte über die Methoden der Bild steht. Oder im Spiegel etwas über die eigenen Recherchefehler. Dafür würde vielleicht in einer Google-Publikation eine Geschichte stehen über den Kampf der Netzaktivisten gegen die mexikanischen Drogenkartelle.
Wie unabhängig waren Sie persönlich bei Ihrer Zusammenarbeit mit Unternehmen?
Natürlich waren wir abhängig. Natürlich dient jede Publikation, die wir für eine Firma realisieren, dem Zweck, die Firma in einem besseren Licht erstrahlen zu lassen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Je hochwertiger ein Produkt ist und je mehr sich ein Unternehmen seiner gesellschaftlichen Verantwortung stellt, desto wichtiger ist eine inhaltliche Kommunikation darüber. Je mehr ein Unternehmen durch solche Werte geprägt ist, desto mehr brauchen sie glaubwürdige journalistische Inhalte in der Firmenkommunikation.
Das heißt, Sie simulieren den Eindruck von Unabhängigkeit?
Korrekt. Aber dieser Eindruck wird überall simuliert, auch in den konventionellen Medien. Nehmen wir das Feuilleton. Da werden Bücher gelobt, weil ein alter Freund darum bittet oder weil der Redakteur selbst für diesen Verlag schreibt oder schreiben möchte oder weil er mit dem Regisseur befreundet ist und so weiter. Auch Bücher, Filme, CDs sind zuerst Produkte, die jemand verkaufen will. Und das Feuilleton ist ein verwobenes Dickicht von persönlichen Beziehungen und Interessen und in Wahrheit eine einzige riesige PR-Maschine.
Vielleicht ein Einzelfall.
Nein. Das Gleiche gilt für die Medienberichterstattung. Wir leben in einer Mediengesellschaft. Man müsste denken, dass es eine der wichtigsten und vornehmsten Aufgaben der Medien ist, anderen Medien auf die Finger zu schauen. Aber die Medien kommen in der Berichterstattung kaum vor. Mit weitreichenden Folgen.
Klingt bedrohlich. Welche Folgen meinen Sie denn?
So aufklärerisch das Image der meisten Verlage ist, so rückständig sind ihre inneren Strukturen. Ohne das jetzt statistisch im Einzelnen nachweisen zu können, würde ich behaupten, dass die Medien zu den Branchen gehören mit der niedrigsten Frauenquote in verantwortlichen Positionen. In den Verlagen herrschen außerdem Hierarchien wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Und das Verhalten gegenüber freien Autoren ähnelt oftmals dem Umgang mit bulgarischen Leiharbeitern. Bei identischer Bezahlung. Das alles ist möglich, weil kein Verlag die Missstände anderer Verlage anprangern würde. Auch das ist PR-Dickicht.
Der Spiegel hat vor kurzem immerhin einen Titel über die Bild gemacht?
Und das Geschrei danach war groß. Alle waren entrüstet.
Haben Sie aktive Einflussnahme von Unternehmen auf Medien persönlich erlebt?
Ich wurde einmal von einer PR-Agentur angesprochen, ob ich eine große Geschichte über ein Architekturbüro in AD oder Architektur und Wohnen platzieren könnte.
Und?
Ich habe noch nie Verbindung zu diesen Redaktionen gehabt. Aber es hätte ein "Honorar" von 25.000 Mark gegeben. Ich glaube allerdings, dass so etwas ein Einzelfall ist. Und dass nicht der einzelne Journalist das Problem ist. Das Problem liegt eher bei den Verlagen.
Inwiefern?
Verlage mit Publikationen, die sich eher durch das Anzeigengeschäft als durch den Einzelverkauf finanzieren, sind immer erpressbar und werden auch oft erpresst: "Wir schalten zwei Anzeigenseiten bei Ihnen, dafür erwarten wir einen zusätzlichen wohlwollenden redaktionellen Artikel im Blatt." Viele Zeitschriften können es sich nicht leisten, da nein zu sagen.
Wer macht so etwas?
Augenfällig ist es vor allem bei den People-, Frauen- und Style-Zeitschriften. Da wird eine Handcreme als "Innovation des Monats" gefeiert oder gewinnt den "Publikums-Award" oder ähnlichen Quatsch. Und ein paar Seiten weiter findet sich dann die doppelseitige Anzeige dazu. So dumm kann kein Journalist sein, dass er das freiwillig macht.
Verlage fordern ihre Journalisten auf, PR zu machen?
Natürlich. Und ganz perfide ist dabei, dass diese Verlage dann ein Redaktionsstatut haben, das den einzelnen Redakteuren genau dieses verbietet. Auf der einen Seite wird die strikte Trennung von Redaktion und Anzeigen und die finanzielle Unabhängigkeit der Redaktionen gefordert. Steht so in den Statuten. Und auf der anderen Seite sagt dir dein Chefredakteur, dass du über ein neues Auto oder eine neue Uhr schreiben sollst. Aber bitte schön nicht negativ. Und auch nur, wenn das Unternehmen den Flug und das Hotel finanziert.
Sprechen sie vom Boulevardjournalismus?
Nein. Da gibt es andere Deals. Eher in dem Stil: Sie geben uns ein paar pikante Details über die Trennung von Ihrer Frau. Dafür schreiben wir was Nettes über Sie und Ihr Unternehmen.
So etwas haben Sie erlebt?
Ich habe zwar nicht den Deal eingefädelt. Aber ich habe den Jubelartikel verfasst.
Gibt es Auftraggeber, für die Sie niemals arbeiten würden?
Ja. Waffenhersteller, Schlecker, Lidl, Atomkraftwerke, die FDP, Wiesenhof-Hähnchen, Biogas-Anlagen. Ich fürchte, die Liste wird ziemlich lang.
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