Kämpfe in Syrien: Einsatz gegen Assad-Anhänger
Drei Monate nach dem Sturz Baschar al-Assads kommt es in Alawiten-Hochburgen an der Küste zu heftigen Kämpfen. Die Alawiten bitten die UNO um Schutz.
Wie das Verteidigungsministerium in Damaskus am Freitag mitteilte, wurden zusätzliche Kräfte in die Küstenregion um Latakia und Tartus geschickt. Der Einsatz ziele auf „die Überreste von Assads Milizen und ihre Unterstützer“ ab, hieß es laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Sana aus Sicherheitskreisen.
Regierungskräfte erklärten laut Sana, den ehemaligen General Ibrahim Huweidscha festgenommen zu haben, der für „hunderte Morde“ zu Zeiten des Assad-Regimes verantwortlich sein soll.
Bei den bisher schwersten Kämpfen zwischen Kräften der islamistischen Übergangsregierung und Assad-Anhängern seit dem Sturz des syrischen Machthabers Assad Anfang Dezember wurden seit Donnerstag mindestens 124 Menschen getötet, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Sie berichtete zuletzt, syrische Regierungstruppen hätten mindestens 52 Alawiten in der Provinz Latakia „hingerichtet“.
Zivilisten berichten von andauernden Kämpfen
Bewohner der Stadt Latakia berichteten der Deutschen Presse-Agentur per Telefon von Kämpfen, die nun schon zwölf Stunden anhielten. Die Regierung habe Verstärkung geschickt. Ein Bewohner von Tartus sprach von schwerem Feuer beim Einzug von Sicherheitskräften. Zivilisten berichteten am Freitag von andauernden Kämpfen. „Wir haben die ganze Nacht lang Schüsse und Explosionen gehört“, sagte ein Bewohner der bei Latakia gelegenen Stadt Dschabla. In Latakia, Tartus und in der weiter im Landesinneren gelegenen Provinz Homs waren Ausgangssperren ausgerufen worden.
Die Beobachtungsstelle und Aktivisten veröffentlichten laut der Nachrichtenagentur afp Videos, die dutzende Leichen in ziviler Kleidung im Hof eines Hauses zeigten, während Frauen dort in der Nähe weinten. In einem anderen Video werden drei Menschen per Kopfschuss hingerichtet. Die Videos konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Alawiten fordern Schutz der UN
Die Region im Westen Syriens ist mehrheitlich von Mitgliedern der religiösen Minderheit der Alawiten bewohnt, der auch der gestürzte Machthaber Assad angehört. Während der jahrzehntelangen Herrschaft des Assad-Clans waren dort die Hochburgen von dessen Anhängern. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue syrische Führung wiederholt versichert, die Minderheiten im Land zu schützen. Die Alawiten fürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen.
Ein Klerikerrat der Alawiten machte die Regierung für die Gewalt verantwortlich. In einer Erklärung hieß es, Militärkonvois seien in die Küstenregion geschickt worden, um Syrer zu „terrorisieren und zu töten“. Der Rat forderte, die Region unter den Schutz der UN zu stellen.
Die Assad-Herrscherfamilie rekrutierte viele Mitglieder ihres Sicherheitsapparates und der Verwaltung aus den Kreisen der Alawiten. Zwar hat Al-Scharaa angekündigt, alle Bevölkerungsgruppen hätten einen Platz im neuen Syrien. Allerdings sind bislang keine Treffen zwischen ihm und führenden Alawiten-Vertretern bekannt geworden, im Gegensatz zu anderen Volksgruppen wie den Kurden oder Christen.
Warnungen aus der Türkei und Saudi-Arabien
Die Türkei warnte mit Blick auf die Assad-Anhänger vor „Provokationen“, die eine „Bedrohung für den Frieden in Syrien und in der Region“ sein könnten, wie ein Sprecher des türkischen Außenministeriums sagte. Die Spannungen in Latakia und Umgebung und die Angriffe auf Sicherheitskräfte der Übergangsregierung könnten die Bemühungen untergraben, „Syrien zu Einheit und Brüderlichkeit“ zu führen.
Die Türkei, die selbst mehrere tausend Soldaten in Syrien stationiert hat und dort vor allem gegen kurdische Milizen im Nordosten vorgeht, ist ein wichtiger Unterstützer der islamistischen Übergangsregierung in Syrien.
Das saudi-arabische Außenministerium verurteilte im Onlinedienst X die „Verbrechen gesetzloser Gruppen in der Syrischen Arabischen Republik und die Angriffe auf Sicherheitskräfte“. Riad bekräftigte zudem seine weitere Unterstützung für die neuen Machthaber in Syrien.
Sieben Millionen Vertriebene in Syrien
Innerhalb Syriens müssen laut den UN noch immer sieben Millionen Menschen ein Dasein als Vertriebene fristen. „Syrien bleibt eine große humanitäre Krise, und der Bedarf ist immens“, erklärte die Generaldirektorin der Internationalen Organisation für Migration, Amy Pope, am Freitag in Genf.
Seit November 2024 seien laut IOM-Untersuchungen fast 750.000 Binnenvertriebene an ihre Herkunftsorte in Syrien zurückgekehrt. Viele von ihnen bräuchten Unterstützung in dem Land, das sich von 14 Jahren Krieg erhole. Die Untersuchung hob einen bemerkenswerten Rückgang der Vertreibung seit Mitte Dezember 2024 hervor.
Laut einer zusätzlichen Umfrage des Flüchtlingshilfswerks UNHCR planen bis zu einer Million Binnenvertriebene, die im Nordwesten Syriens leben, innerhalb des nächsten Jahres in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren. Rund 600.000 von ihnen wollten das innerhalb der nächsten sechs Monate tun. Außerhalb Syriens leben laut UNHCR weitere Millionen Flüchtlinge, die sich vor der jahrelangen Gewalt in Sicherheit gebracht hatten.
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