Kämpfe im Donbass: Flucht im Panzerwagen
Russische Angriffe auf die ukrainisch kontrollierten Teile des Donbass nehmen zu. Hilfsorganisationen versuchen, Zivilisten zu evakuieren.
Münz ist der stellvertretende Vorsitzende der 2016 gegründeten Stuttgarter Hilfsorganisation Stelp und leitet eine Evakuierungsoperation, die die Hilfsorganisationen #LeaveNoOneBehind und Stelp kurzfristig gemeinsam auf die Beine gestellt haben.
„Heute konnten wir 36 Personen in Sewerdonezk abholen, drei von ihnen müssen liegend transportiert werden“, berichtet die Sprecherin von Münz in Kiew, Johanna Berghorn, über die Arbeit des Teams in dem umkämpften Sewerodonezk. Zuvor hatte die Gruppe Hilfsgüter nach Lisitschansk gebracht.
„Dort haben wir an der Schule Hilfsgüter ausgeladen, an der Feuerwehr gehalten und 35 Menschen eingeladen. Dann sind wir weiter mit dem Bullet-Proof-Wagen und einem Achtsitzer nach Sewereodonezk. Nur Minuten nach unserer Abreise sind vier Granaten bei der Feuerwehr eingeschlagen. Die Flüchtenden kommen dann nach Dnipro. Die älteste unserer Gäste ist 92 Jahre alt“, berichtet Patrick Münz von vor Ort.
Heftiger Artilleriebeschuss
Mit steigender Eskalation der Kämpfe im Donbass wird auch das Leben der Bevölkerung vor Ort zunehmend unerträglich. Am Dienstagmorgen hatte der Gouverneur des Gebietes Lugansk, Sergej Gajdaj, erklärt, dass mittlerweile das gesamte Gebiet Lugansk beschossen werde. Orte, die noch bis vor Kurzem als sicher und ruhig galten, leiden zunehmend unter heftigem Artilleriebeschuss. Immer wieder verhandelt die ukrainische Regierung „grüne Korridore“, über die Menschen aus bedrohten Ortschaften in Sicherheit gebracht werden können.
Neben diesen staatlich organisierten Evakuierungen gibt es auch Evakuierungen, die von Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen durchgeführt werden. Dazu gehören etwa auch die zwei in Deutschland ansässigen Organisationen #LeaveNoOneBehind und Stelp. Begonnen hatten die Stuttgarter ihre Ukrainearbeit mit der Lieferung von humanitären Gütern. Stelp hat, so Patrick Münz, allein seit Beginn des Krieges am 24. Februar 500 Tonnen an Hilfsgütern und Medikamenten in die Ukraine geliefert.
Seit Anfang April liegt ihr Schwerpunkt jedoch auf den Evakuierungen. „Für die Evakuierungen wurden von Stelp und #LeaveNoOneBehind gepanzerte Fahrzeuge gekauft. Vor Ort arbeiten wir mit einem Netzwerk von verschiedenen ukrainischen Organisationen zusammen“, berichtet Johanna Berghorn der taz.
Entscheidend für diese strategische Umorientierung der Arbeit war der 8. April. Dutzende Zivilisten waren an diesem Tag beim Beschuss des Bahnhofes der ostukrainischen Kleinstadt Kramatorsk ums Leben gekommen. „Innerhalb von 24 Stunden konnten von Patrick Münz 36 Fahrzeuge organisiert werden, aus Lwiw und Kiew, die sich in Dnipro getroffen haben und dann auch wieder in verschiedene Konvois mit verschiedenen Picking Points aufgeteilt wurden“, sagt Berghorn.
Nun gingen die Evakuierungen in Kramatorsk gut voran, berichtet Münz: „Ich bin gerade auf dem Weg nach Kramatorsk, morgen sind wir in Sewerodonezk, wo wir weitere Personen abholen werden, falls wir reinkommen. Viele werden liegend transportiert werden müssen, da sie verletzt sind. Der Artilleriebeschuss ist schon heftig.“
Derzeit sei man mit sechs Personen in drei Autos in Kramatorsk, zwei gepanzerten Fahrzeugen und einem Van. Erst vor wenigen Tagen hatte das Bündnis aus Slowjansk über hundert Menschen evakuiert.
In der Ukraine arbeite man unter anderem mit Haus der Hoffnung, Stiftung für das Gute und die Liebe und anderen ukrainischen Initiativen und Organisationen zusammen. Die gepanzerten Fahrzeuge stammen aus Deutschland, die Krankenwagen aus Großbritannien, die Kleinbusse aus der Ukraine, so Münz.
Auch wenn das Netzwerk auf eigene Faust Evakuierungen organisiert, arbeitet man in enger Abstimmung mit den ukrainischen Behörden. Die staatlichen Stellen, so Münz, seien informiert und eingebunden. Am meisten Sorgen mache ihm derzeit die Situation in Sewerodonezk. Dort wolle er Personen abholen und in Sicherheit bringen, die sich noch vor Kurzem entschieden hatten, in Sewerodonezk zu bleiben. Die zunehmende Eskalation zwingt sie, ihre Entscheidung zu überdenken. „Und so werde ich mit meinem Team die Keller und Schutzräume aufsuchen, um die Menschen davon zu überzeugen, doch mitzufahren.“
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