piwik no script img

KI-Songs erobern die ChartsKünstlich verlängerte Sommerhits

Zwei KI-Songs sind nun in den Charts platziert. Bisher stört sich niemand an „Verknallt in einen Talahon“ und „Zo Zomer“, trotz fadem Beigeschmacks.

Deutscher KI-Sommerhit: Verknallt in einen Talahon von Butterbro Foto: Butterbro

„Wo fahr ich hin? … Wird es Spanien / Oder doch Frankreich/Oder ganz weit weg / Vielleicht Australien … Nur nicht Somalia“ – so lautet der aus dem Niederländischen übersetzte Refrain des Benelux-Tiktok- und Spotify-Hits „Zo Zomer“. Ansonsten beschäftigt sich das Lied primär mit dem Fakt, dass es „fast schon Sommer“ sei. Und so reiht sich damit der Song des bisher als Enigma auftretenden Sängers John De Koning in die lange Tradition von Sommerhits ein, für die es bekanntermaßen außer Stimmung und Hitze wenig braucht.

Naja, Glück braucht es obendrein, denn immerhin buhlen alljährlich etliche Lieder mit generischen Texten aus dem Themenkomplex Gebräunte Haut-Meer-Tanzen-Fernweh um den sprichwörtlichen Platz an der Sonne. Dieses seit Jahrzehnten vorliegende Style Sheet, branchenintern gerne als „Erfolgsrezept“ bezeichnet, täuscht indes darüber hinweg, dass sich in der Zwischenzeit etwas an der Sommerhit-Front getan hat.

Dieses Jahr sind erstmals KI-generierte Tracks in die Charts eingesickert. Das sollte nicht überraschen, denn künstliche Intelligenz hat in Form von ChatGPT und Midjourney längst Eingang in die Kreativbranche genommen. KI wird hier als Tool, da wiederum als neuer Urheber genuiner Inhalte genutzt.

Uh Oh Udio

Seit dem 10. April steht mit Udio der gleichnamigen Firma ein komfortabel nutzbarer Generator zur Verfügung, der mit einfachen Text- und Genre­angaben Musik (künstlich) generiert. Die Ergebnisse der Maschine sind erstaunlich: Nicht nur in ohnehin stark vorformatierten Feldern der Popmusik überzeugt das Tool, Udio spuckt ohne Zögern auch formidable deutsche Indiesongs à la Hamburger Schule aus.

Die Vermutung liegt nahe, dass „Zo Zomer“ von John De Koning ebenfalls mit Udio (oder verwandten Produkten wie Musicfy) erstellt wurde. Abgesehen von der ungeschliffenen, gelegentlich glitschenden Soundästhetik ist die Verwechslungsgefahr mit „echten“, also human-produzierten Songs groß; wie zeitgleich auch an anderer Stelle zu beobachten ist. Denn was den Niederländern ihr De Koning ist, ist den Deutschen der Schlagersong „Verknallt in einen Talahon“.

Wenngleich es einen gewichtigen Unterschied gibt: Während De Koning (oder der Programmierer dahinter) nicht als KI-generiert geoutet wurde, stellt der österreichische Produzent Butterbro ohne Umschweife klar, dass bei seinem Hit künstliche Intelligenz die Hauptrolle übernommen hat.

Alles verworren um Butterbro

So erschien die Single, die sich mittlerweile auf Platz 83 der Deutschen Single-Charts tummelt, gleich unter dem Alias „Butterbro feat. Udio“. Das kostete den Produzenten Butterbro wiederum eine bessere Chartsplatzierung. Immerhin stieg der Track letzte Woche sogar auf Platz 48 der Charts ein, woraufhin Spotify das Lied für einige Tage aus dem Programm nahm – und nach einem Tiktok-Rant wieder reinsetzte. Die Umstände sind etwas verworren.

„Verknallt in einen Talahon“ klingt indes weniger nach Sommerhit als mehr nach Conny Froboess oder France Gall, vulgo Schlager. Interessant: Wo vor 60 Jahren mal von Backfischen und Halbstarken die Rede war, heißt es heute Chayas und eben Talahon, wie der Titel bereits verrät.

Bei Talahon (arabisch für „Komm her“) handelt es sich um eine Eigenbezeichnung arabisch-türkischer Jung-Männer, die diesen Sommer Hochkonjunktur hat und sogar für das Jugendwort des Jahres nominiert ist. Man könnte das als gelungene Synthese von Einst (Schlager) und Jetzt (Jugendwort) feiern, doch hat sich Talahon in der Zwischenzeit verselbstständigt und wird gerne auch in rechten Kreisen zur Diffamierung von migrantischen Jugendlichen benutzt.

Der Song selbst reproduziert Klischees von Gewaltbereitschaft, Arbeitslosigkeit und der Affinität zu Messerattacken besagter Talahons – nichts, wovor Innenministerin Nancy Faeser nicht auch warnt, könnte man sagen; dennoch nicht okay!

Aber was folgt aus dem Aufstieg von KI-Songs für die Popwelt? Eingedenk der Tatsache, dass bereits einige Lieder mit Algorithmen und KI-Tools aufgemotzt werden, kann man eh nicht mehr zwischen „echt“ und „künstlich“ unterscheiden. Bisher hat das niemand gestört.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Am Ende sind diese Liedjes kreativer und melodiöser als die Retortensongs, mit denen uns die hochkommerzialisierte Musikindustrie (!sic) uns seit Jahrzehnten beglückt.



    Songs, die sich kaum noch unterscheiden lassen.



    KI(...nder) an die Macht!

    In YouTube gibt es bereits viel Interessantes zu hören. (Mein Favorit: Das zugegeben recht schlüpfrige (aber gottlob nicht detailreiche) „Meine Mumu brummt“ im Stile von 70er-Schlagern, aber mit einer wirklich interessanten Tune-Line)