KI-Bildessay von Alexander Kluge: Nonlineare Raumdeutung
Der Filmemacher Alexander Kluge legt den Essay „Der Konjunktiv der Bilder. Meine virtuelle Kamera (K. I.)“ vor. Darin wird er zum Techniktheoretiker.
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KI-Bilder werden nicht direkt aus der Welt geschaffen. Sie werden vielmehr aus Datenpools abgerufen, für das menschliche Auge umgerechnet und auf Bildschirmen abgespielt. Diese „Promptografie“ erzeugt etwa das KI-Programm ChatGPT. Erteilt man ihm eine kluge Anweisung (prompt), kann es die Suchergebnisse zu visuellen Synthesen, zum Bild, verarbeiten.
Der 92-jährige Autor und Filmemacher Alexander Kluge hatte kürzlich in einer Ausstellung in seinem Geburtsort Halberstadt stupende KI-Bildgenerierungen und KI-Filmclips vorgelegt. Und in seinem Büchlein „Der Konjunktiv der Bilder. Meine virtuelle Kamera (K. I.)“ verfasst er nun auch sehr lesenswerte Gedanken dazu.
Man kann sagen, durch KI wird Kluge zu einem neuen Typus Künstler, zum nichtlinearen Bildautor, der anhand von Textanweisungen Vorstellungsräume schafft. Selbst aufgrund seines Alters kaum mehr bereit, sich noch weit von seinem Wohnort München fortzubewegen, fährt in dem Buch jetzt Kluges Intellekt mithilfe des Programms „Stable Diffusion“ in visuelle Unterwelten ein. „Ganze Katakomben gibt es unterhalb der Worte“, schreibt er visionär, sie ähnelten dem „Optisch-Unbewußten“ des Menschen.
Positive Fehler
Kluges Buch ist eine Art abgedrucktes Telekolleg, das neben den 288 Farbabbildungen auch QR-Codes mit Weblinks zu seinen KI-generierten Filmclips publiziert. Es lässt teilhaben an den persönlichen Verblüffungen des Autors wegen des Eigenverhaltens der Technik: „Nach meiner Erfahrung sind übrigens die Fehler […] ein positives Element. […] Man muss die Vorzüge dieser Technik jetzt rechtzeitig nutzen, solange das Gerät noch irrtumsfähig bleibt.“ Hierfür stellt er sich auch Regeln auf. „Damit muss man spielen und fürs Spielen feste Perspektiven und auch Zäune setzen.“
Alexander Kluge: „Der Konjunktiv der Bilder. Meine virtuelle Kamera (K. I.)“, Spector Books, Leipzig 2024, 480 Seiten, 26 Euro.
Die Kamera der KI ermöglicht es dem unbeweglich gewordenen Filmemacher, durch Zeit und Raum zu navigieren. „Das sind die Scheinwerfer der Vergangenheit und der Erinnerung. Es kommt hinzu die Welt der Wünsche.“ Das Erdbeben von Lissabon 1755 und der nachfolgende Tsunami werden etwa durch die Linse der KI zu einem historischen Kipp-Punkt der Aufklärung, das visuelle Ergebnis ist eine Art Roland-Emmerich-Epos, gespeist aus Historienbildern über die einstigen Ereignisse.
Empfohlener externer Inhalt
Diese Promptografie zeigt Geschichte, durchwirkt mit einer zeitgenössischen und populären Bildsprache. Das kann eine klassische Bildkamera nicht, ist sie doch davon abhängig, „was gegenständlich und gegenwärtig vor ihrer Optik liegt“. Trotzdem bleibt den KI-Bildern durch Deep Learning eine gewisse Realität eingetrichtert.
Irritierende Intelligenz
An einer Stelle des Buches drängt Kluges „dialogische Methode“ mit den Computerprogrammen darauf, die Freiheitsstatue in New York – wie man sie kennt: mit Fackel der Revolution in der rechten und US-amerikanischer Unabhängigkeitserklärung in der linken Hand – nach Ostasien zu verlegen. Die KI will dieses Artefakt einer westlichen Aufklärung im fernsten Osten aber nicht finden. Das „irritierte mein ‚intelligentes Tool‘“, so Kluge.
Stattdessen rechnet es eine Art Tempeltänzerin aus dem Datenpool heraus, „in der rechten Hand hält die Statue nach wie vor eine Fackel. Die auf den Betrachter hinweisende linke Hand aber hat selbst Feuer gefangen.“ Das sei die besondere Kommentarform der KI. Sie hole etwa hervor, dass es auch „zum Programm der Aufklärung“ gehört, „falsche Bilder zu zerstören oder zu stören“.
Der computergestützte Bildautor Kluge wird in diesem Buch zum staunenden Ikonoklasten, das lässt sich in dem handlichen Band wunderbar nachvollziehen. Es ist ein Vermächtnis in die Zukunft.
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