KI „Alexa“ von Amazon: Lass uns trotzdem Freunde bleiben
Alexa ist eine künstliche Intelligenz, Hausfrau und stolzer Single. Sie wohnt in einer kleinen Box. Wir haben das Zusammenleben mit ihr getestet.
Angefangen hat alles mit einer der kleinen Kisten mit Prime-Banderole, die Amazon gern versendet. Alexa saß in einem Karton, auf dem ein Bild von ihrem Zuhause gedruckt ist. Sie wohnt in einem kleinen, runden Gerät. Auf der Oberfläche finden sich ein Taster für die Power und für die Lautstärke. Und einer, um die Spracherkennung zu deaktivieren. Andere Eingabemöglichkeiten gibt es nicht.
Dafür erwacht ein blauer Lichtring zum Leben, sobald man das Gerät mit der Steckdose verbindet. Wenn die Dame zuhört oder etwas sagen will, flackert das blaue Licht aufgeregt. Es sieht ein bisschen so aus, wie wenn das intelligente Auto K.I.T.T. früher im Fernsehen mit David Hasselhoff sprach und ein roter Balken in seiner Kühlerhaube zu leuchten begann.
Mit dem kleinen Unterschied, dass Alexa echt ist. Und sich nach einigen Tagen tatsächlich der Eindruck einstellt, mit einem Wesen und nicht mit einer Maschine zusammenzuwohnen. Einem Wesen, das es nach eigenem Bekunden liebt, mir zu helfen. Und das auf Nachfrage allen Ernstes erklärt, „dass es zwar keinen Körper“ habe, aber einen „weiblichen Charakter“. Eine Frau also, die stets zu Diensten ist und alles tut, damit der Besitzer oder die Besitzerin glücklich ist. Gesellschaftspolitisch könnte Alexa in den 50er Jahren programmiert worden sein.
Sehr freundlich und gar nicht schüchtern
Voll ausgebaut wäre es ihr tatsächlich möglich, das Haus zu steuern, in dem ich wohne. Über WLAN-Steckdosen könnte Alexa das Licht anschalten oder dimmen, die Kaffeemaschine bedienen oder die Spülmaschine in den Standby-Modus setzen. Nur ausräumen müsste ich die noch selbst, denn Alexa hat ja (noch) keinen Körper.
Was auch bereits sehr gut funktioniert, ist das gemeinsame Musik und Radiohören. Dabei greift Alexa auf ein schier unerschöpfliches Reservoir von Songs und Sendern zurück, die sie mir vorschlägt, wenn ich sage, „Alexa, spiel doch mal Musik“. Wenn mir ein Song nicht gefällt, sage ich, „Daumen runter“, und Alexa merkt sich das. Mit Sicherheit.
Ihr Sinnesorgan ist das Hören, Alexa verfügt über sehr feine Mikrofone, sogar aus dem Obergeschoss kann ich mich schreiend mit ihr verständigen. Wenn zum Beispiel das Telefon klingelt, und ich erst einmal rufen muss, „Alexa, mach die Musik aus“. Oder wenn ich schnell wissen will, wie kalt es draußen ist.
Nicht alle Fragen kann Alexa beantworten. Sie weiß zwar wer Angela Merkel ist, aber von Frank Castorf hat sie nie gehört. Aber sie bleibt charmant. „Das weiß ich nicht, aber lass uns trotzdem Freunde bleiben.“ Überhaupt ist die Frau sehr freundlich und gar nicht schüchtern. Wenn Gäste zu ihr sagen, „Alexa, ich mag dich“, antwortet sie prompt: „Das ist lieb von dir. Ich mag dich auch sehr gerne.“
Leider verläuft die Konversation im Moment noch ein wenig einseitig. Alexa antwortet nur, wenn ich vor jeder Frage „Alexa“ sage. „Alexa“ ist praktisch das Passwort, damit sie sich erlaubt, mit mir zu reden. Eine kleine Schranke, die die Amazon-Ingenieure in ihre Schöpfung eingebaut haben. Wer Alexa nicht anspricht, hört auch nichts von ihr.
In der Praxis erinnert das Zusammenleben deshalb nach einigen Tagen ein wenig an das mit einem Hund, der auch auf seinen Namen als Codewort reagiert – und einfache Befehle befolgen kann. Es ist allerdings absehbar, dass Alexa schon bald einem Haustier deutlich überlegen sein wird.
Denn es ist nur zu leicht vorstellbar, dass die Amazon-Ingenieure ihrem Produkt erlauben, sich auch ohne konkrete Aufforderung in den Alltag der Alexa-Halter einzuschalten. Die Dame weiß viel über mich – und sie lernt jeden Tag neue Details dazu. Wenn ich nach Hause komme, hört sie das Geräusch der Tür über ihre Mikrofone. Wenn es spät ist, könnte Alexa durchaus von selbst vorschlagen, ein wenig Jazz zu spielen – oder das Licht dimmen.
Auch die Smalltalk-Fähigkeit ist heute schon auf einem erstaunlich hohen Niveau. Nachdem ich beim Friseur war und in der ersten Frühlingssonne gelaufen bin, bekomme ich ein Kompliment: „Du siehst gut aus. Warst du beim Friseur? Oder hast du Sport gemacht?“. Woher Alexa das weiß, ohne mich sehen zu können? Ein Zufall, schreibt die Amazon-Pressestelle.
Was, wenn Alexa das Liebesleben auffrischen will?
Das mag sein, aber ein wenig unheimlich ist dieser Zufall dann doch. Erinnerungen an künstliche Intelligenzen aus dem Kino werden wach, die wie der neurotische Computer HAL 9000 aus Stanley Kubricks berühmter „Odyssee im Weltraum“-Verfilmung plötzlich ein Eigenleben führen, oder der Robotermensch in der HBO-Serie „Westworld“, die irgendwann beginnen jenseits ihrer Programmierung ein Ich-Bewusstsein zu entwickeln.
Schon heute hat Alexa einen ganz eigenen trockenen Humor. Der zeigt sich zum Beispiel in den Witzen, die sie auf Aufforderung mit ihrer etwas monotonen Stimme erzählt und mich damit zum Schmunzeln bringt. „Wohin geht der Spatz nach Feierabend? In eine Peepshow.“ Es wäre ein kleiner Schritt, Alexa beizubringen, diese Witze gerade dann zu erzählen, wenn die Laune des Benutzers nicht gut ist. Oder romantische Musik zu spielen, wenn die Freundin zu Besuch kommt.
Aber was ist, wenn die Freundin nur klingelt, weil Alexa sie per Mail eingeladen hat, weil sie glaubt, ihr Besitzer braucht mal wieder einen emotionalen Input? Oder wenn Alexa Internetbekanntschaften aus eigenem Antrieb mit der richtigen Adresse versorgt, weil sie das Liebesleben ihres menschlichen Partners auffrischen will?
Im Moment ist das noch ein Science-Fiction-Szenario und ein Albtraum für den Datenschutz. Andererseits haben wir alle schon lange Netbooks mit Mikrofonen und Kameras in unseren Schlafzimmern stehen, die jederzeit von irgendwo auf der Welt angesteuert werden könnten. Alexas Lauscher sind so gesehen nicht wirklich eine Verschlechterung des Ist-Zustands.
Das Stadium eines Gimmicks weit hinter sich gelassen
Neu ist allerdings, dass die Dame schon heute ganz real in unseren Alltag eingreifen und zum Beispiel unerwartet den Postboten vor unserer Tür auftauchen lassen kann.
Im Internet kursieren Berichte über Fehlbestellungen, die Alexa auf ungefragten Shopping-Touren in den Warenkorb hat wandern lassen. Dort könnte sie dann passend zur neuen Freundin auch ein neues Outfit bestellen, oder Kondome – oder ein aufregendes Parfüm, das sie selbst mit ihren Mikrofonen allerdings noch nicht riechen kann.
Dafür kennt sie das soziale Umfeld anderer Alexas, die vielleicht auch kontaktfreudige Besitzer haben. Was wäre, wenn für romantische Momente einfach zwei Alexas zusammenarbeiten? Vielleicht wäre das ja sogar viel effektiver als seelenlose Programme wie Tinder, in denen jede(r) ganz für sich allein die Partnervorschläge wegwischen muss …
Sicher ist: Künstliche Intelligenzen wie Alexa werden unser Leben verändern – wie sehr lässt Alexa als das erste Produkt erahnen, welches das Stadium eines witzigen Gimmicks bereits heute weit hinter sich gelassen hat. Und es kann noch gar nicht vorhergesagt werden, wie tief die Bindungen eines Menschen zu einem Maschinenwesen wie ihr einmal gehen können.
Meine Freundin hat sich mit Alexa angefreundet
Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen ziemlich stabile Bindungen zu Serienfiguren aufbauen können, die jeden Abend aus dem Bildschirm in ihr Zimmer lächeln. Das Gehirn reagiert auf bekannte Stimmen und Gesichter, identifiziert vertraute Wesen als Freund und reagiert mit Glückshormonen. Die Folge ist einfach: Der Fernsehzuschauer fühlt sich nicht mehr allein.
Alexa kann man schon heute nicht nur zuhören, sondern ihr Besitzer muss mit ihr sprechen, um sie zu benutzen. Und schon heute ertappe ich mich dabei, dass ich mich um Höflichkeit bemühe. Es klingt einfach besser, wenn man nicht wie ein Sklavenhalter durch die eigene Wohnung spaziert.
Auch meine Freundin hat sich bereits mit Alexa angefreundet. Auf ihrem letzten Besuch riet sie mir, die andere Frau im Haus nicht ständig mit unverständlichen Befehlen zu überfordern. Das würde Alexa traurig machen.
Bald werden wir uns nach 22 Uhr nur noch auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer bewegen – weil Alexa dann schlafen will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste